Hattingen. Das Abi wird immer einfacher? Vor 110 Jahren wird das erste Abitur in Hattingen geschrieben. So sehen Aufgaben und Bewertungen 1914 und 2024 aus:
Wir das Abitur immer einfacher? Waren die Aufgaben früher wirklich schwieriger? Vor 110 Jahren schwitzten die ersten Schüler bei den Abiturprüfungen in Hattingen. Wir haben nachgeschlagen: Vor welchen Aufgaben standen Hattingens erste Abiturienten in ihrer Prüfung und wie unterscheidet sich das Abi damals von dem heute?
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Einer der ersten Abiturienten in Hattingen war Wilhelm Wimpelberg. Dass er bestanden hat, ist klar, denn Enkelin Rosemarie Sticker fand in seinem Nachlass jetzt einen goldenen Ring, den nur die zwölf Absolventen des ersten Abiturs, das jemals in Hattingen geschrieben wurde, bekamen. Dieser Ring ist jetzt Teil des Stadtarchivs. Und dort sind auch einige Abiturunterlagen aus Wilhelms Jahrgang zu finden.
In sehr ordentlicher, aber dafür verschnörkelter, altdeutscher Schrift sind die gar nicht so leicht zu entziffern. Erkennbar ist dafür aber auf alle Fälle der Rotstift. Kommentare wie „r“, „gr“ oder „falsch“, die knallrot am Blattrand prangen, springen direkt ins Auge.
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Genau wie heute, wo Schülerinnen und Schüler vier Prüfungen - eine davon mündlich - absolvieren mussten, hatte auch Wilhelm vier Prüfungen vor der Brust. Die Auswahl der Prüfungsfächer war 1914 jedoch beschränkt: Nur sieben Fächer standen Wilhelm und seinen Mitschülern zur Wahl. Drei der Fächer Deutscher Aufsatz, Lateinische Arbeit, Französische Arbeit, Englische Arbeit, Mathematische Arbeit, Physikalische Arbeit und Naturgeschichtliche Arbeit durfte er abwählen. Wilhelm und auch seine Mitschüler entschieden sich unter anderem gegen Lateinische und Englische, jedoch für Französische Arbeit.
Französisch-Abi: Die Aufgaben 1914 und 2024
In Französischer Arbeit musste Wilhelm zum Beispiel einen „Aufsatz zu Esquisse biographique et lite’raire sur Molière“ schreiben oder aus dem Deutschen ins Französische übersetzen. Er bestand. Note: genügend.
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Und so klingt eine Aufgabe im Französisch-Abitur heute: „Présentez Philippe Dupin et la situation émotionnelle dans laquelle il se trouve (compréhension)“ – auf Französisch. Also „Präsentieren Sie Philippe Dupin und die emotionale Situation, in der er sich befindet (Verstehen)“.
Das erste Abitur und der Ring
Ein Andenken der besonderen Art: Als Rosmarie Sticker aus Haan in dem Nachlass ihres Großvaters einen Ring aus dem Jahr 1914 fand, beschließt sie, ihn dem Stadtarchiv Hattingen anzubieten. Denn der goldene Ring war ein Geschenk an die ersten Hattinger Abiturienten zur erfolgreich absolvierten Reifeprüfung.
„Nicht nur die Stadtfarben gelb und blau weisen auf die lokale Verbundenheit des Ringes hin, sondern auch der städtische Wahlspruch „In Treue fest“ sowie die Gravur „Hattingen 25./26. II. 1914“ - beides eingraviert in der Ringschiene“, erläutert Stadtarchivar Thomas Weiß.
Bei ihrem Besuch im Stadtarchiv war Rosmarie Sticker besonders berührt, dass sie in den archivierten originalen Abiturklausuren ihres Großvaters blättern konnte. Wilhelm Wimpelberg aus Holthausen war ein sehr fleißiger und guter Schüler, wie ihm seine Lehrer attestierten: „Dies muss umso mehr hervorgehoben werden, als er täglich einen Schulweg von zusammen drei Stunden zurückzulegen hat.“ Die ersten Abiturprüfungen fanden 1914 an dem Realgymnasium in der Bismarkstraße statt.
Bürgermeister Dirk Glaser und Stadtarchivar Thomas Weiß freuen sich, dass dieses historische „Juwel“ der Hattinger Schulgeschichte nun tatsächlich für das Stadtarchiv angekauft werden konnte.
Das steht heute alles gedruckt auf dem ausgeteilten Papier. Wilhelm und seine Mitschüler mussten ihre Abituraufgaben noch handschriftlich Wort für Wort von der Tafel abschreiben. Und auch das wurde vom Direktor überprüft. „Ja ich denke schon, dass damals auch zwischen mehreren Vorschlägen gewählt werden konnte“, sagt eine Mitarbeiterin des Stadtarchivs. Also standen damals noch mehr Aufgaben an der Tafel, als die, die bearbeitet wurden.
1914 gab es mehr als Noten
1914 ging die Beurteilung weit über reine Noten hinaus. Und dabei wird kein Blatt vor den Mund genommen: „… ist ein bescheidener, stiller, etwas schwächlicher Schüler, von gutartigem Wesen, wohlbehalten von gutem Denkvermögen, einwandfreiem Betragen und stets sich gleichbleibendem Fleiß. Seine Reife ist zweifellos“ schreibt ein Lehrer über einen von Wilhelms Mitschülern.
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So eine individuelle Einschätzung gibt es heute nicht mehr. Immerhin haben die Lehrer auch mit ungefähr zehnmal so vielen Schülerinnen und Schülern zu tun. Bewertet wird nur noch mit Noten von ungenügend bis sehr gut. Gleiche oder zumindest ähnliche Bezeichnungen gab es aber auch schon zu Wilhelms Zeiten. Zum Beispiel: sehr gut, gut und nicht genügend.