Gladbeck.. Ein Jahr Jugendstrafe auf Bewährung - so lautet das Urteil im Fall Kevin Schwandt. Der 22-Jährige war beim Stadtfest Gladbeck Total durch den 19-Jährigen Erdinc K. schwer verletzt worden. Bis heute liegt Kevin in einer Duisburger Klinik. „Keine Mutter der Welt könnte mit diesem Urteil leben“, sagte Kevins Mutter nach der Verhandlung.
Ein Jahr Jugendstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, und 120 Sozialstunden – so lautet das Urteil des Jugendschöffengerichts gegen den Angeklagten Erdinc K. (19) im Fall Kevin Schwandt. Wie berichtet, hat der türkische Jugendliche den 22-jährigen Kevin in der Nacht zum 8. Mai mit einem Faustschlag, dem ein Sturz folgte, schwer verletzt. Kevin erlitt Hirnverletzungen und wird bleibende Schäden davontragen.
Der Vorfall am Rande des Stadtfests Gladbeck Total hat in den letzten Monaten bekanntermaßen viel Aufsehen erregt, im Gerichtssaal war die emotionale Anspannung aller Prozessbeteiligten deutlich zu spüren. Viele Freunde von Kevin waren gekommen, ebenso natürlich die Familie. Für sie alle war es im Laufe der zweistündigen Verhandlung nicht leicht, die Fassung zu wahren. Zum ersten Mal sahen Kevins Eltern den Angeklagten, der ihrem Sohn und ihnen dieses Leid zugefügt hat.
Mit gesenktem Gesicht saß der schmächtige junge Mann neben seinem Verteidiger Thomas Wings. Auf die Fragen von Richter Friedrich Korf antwortete er mit leiser Stimme. Kevins Eltern blickte er nicht an. Er sei in seiner Reife verzögert, hat die Jugendgerichtshilfe festgestellt. Erdinc ist das jüngste von fünf Geschwistern, hat die Förderschule nach der neunten Klasse ohne Abschluss verlassen und arbeitet seitdem in einem 400-Euro-Job. Seine Freizeit habe er mit Freunden verbracht, dabei oft Alkohol getrunken.
Detailliert wurden die Ereignisse in dieser Stadtfest-Nacht geschildert. Erdinc K. hatte mit Freunden bereits am Nachmittag getrunken, war später um Mitternacht zu dem Platz hinter dem Rathaus gegangen. Zu dem Zeitpunkt befand sich Kevin mit Freunden dort. Auch er hatte getrunken, eine spätere Blutprobe ergab 2,4 Promille. Es kam zu einer Rangelei zwischen ihm und zwei Freunden von Erdinc, in deren Verlauf einer von ihnen Kevin in den Schwitzkasten nahm. Obwohl sich dann alles beruhigt hatte, schlug Erdinc dem Opfer unvermittelt mit der Faust ins Gesicht und brach ihm das Nasenbein. Kevin stürzte, blieb blutend und bewusstlos liegen. Erdinc rannte weg, vier Tage später stellte die Polizei ihn.
Warum er den Schlag ausgeführt habe, will der Richter wissen. Erdinc: „Es gab keinen Grund. Ich war wohl besoffen.“ Ganz so betrunken sei er nicht gewesen, haben Zeugen angegeben.
„Keine Mutter der Welt könnte mit diesem Urteil leben“
Für die Verletzungen sei der „wuchtige Faustschlag“ die Ursache, lässt Staatsanwalt Joachim Lichtinghagen keinen Zweifel an der Schuld des Angeklagten. Dieser Schlag sei keinesfalls zu bagatellisieren, die Folgen seien vorhersehbar gewesen. Doch Lichtinghagen mahnt zur Objektivität, das sei ein „unlucky punch“ gewesen, benutzt der Staatsanwalt einen Begriff aus dem Boxsport.
„Erdinc ist ein anderer Mensch geworden“, plädiert sein Anwalt. Er leide unter der Tat, habe sich von den Freunden losgesagt, seitdem nicht mehr getrunken. In seiner Familie werde er geschnitten. Alfred Voigt als Vertreter der Nebenkläger forderte drei Jahre Haft.
Trotz Volljährigkeit wird bei dem Angeklagten wegen der Reifeverzögerung das Jugendstrafrecht angewendet. Richter Korf erklärt in der Begründung die Bedeutung der Strafe: „Vergeltung hat im Jugendstrafrecht nichts zu suchen.“ Trotz aller Schuld sei allein der erzieherische Gedanke maßgeblich. Und Erdinc sei zuvor nie straffällig geworden.
Das Urteil zu akzeptieren fällt Familie und Freunden schwer. „Keine Mutter der Welt könnte mit diesem Urteil leben“, sagte Cornelia Schwandt. „Lächerlich“, lautet der Kommentar eines Freundes von Kevin.
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