Gladbeck.. Dorothee Schwers sorgte knapp fünf Jahre daheim für ihre Mutter. Sie möchte auch anderen Angehörigen Mut machen, sich dafür zu entscheiden.
Irgendwann war Dorothee Schwers’ Mutter einfach lebenssatt. Am liebsten saß sie in ihrem Sessel, schaute sich von dort aus das Treiben draußen an. Tage lang war sie manchmal nicht ansprechbar.
Sechs Jahre begleitete Schwers ihre Mutter in dieser Zeit – bis sie mit 93 Jahren starb. Zu Hause, in ihrem Lieblingssessel. „95 Prozent der Menschen möchten zu Hause sterben, nur ein kleiner Teil schafft das“, sagt die 70-Jährige. Sie konnte diesen Wunsch ihrer Mutter ermöglichen, wollte sie nicht aus ihrer gewohnten Umgebung herausholen. „Sie hing sehr an ihrem Haus.“
Jahrelange ehrenamtliche Arbeit beim Hospiz-Verein
Die Trauer sei viel leichter, wenn die Hinterbliebenen das Gefühl haben, die Betreuung gut gemacht zu haben, sagt Schwers. Das weiß sie aus eigener Erfahrung. Und aus ihrer jahrelangen ehrenamtlichen Arbeit beim Hospiz-Verein Gladbeck, dessen Vorsitzende sie seit zwei Jahren ist.
Viele würden sich ärgern, wenn sie ins Krankenhaus gerufen würden und dann fünf Minuten zu spät kämen. Fünf Minuten zu spät, um sich noch von der eigenen Mutter, dem Mann oder Kind verabschieden zu können. „Da haben Angehörige dann lange dran zu arbeiten.“
„Niemand ist perfekt, jeder macht mal Fehler.“
Deshalb möchte die Vorsitzende des Hospiz-Vereins Angehörigen Mut machen. Mut, den Pflegebedürftigen zu Hause zu betreuen. Mut, auch mal Schwächen zuzulassen. „Niemand ist perfekt, jeder macht mal Fehler.“ Doch man solle sich immer die Frage stellen: Wie würde es demjenigen gehen, wenn er jetzt im Heim wäre? Schwers ist sich sicher: „Woanders wäre es meiner Mutter schlechter ergangen.“
Doch die Betreuung konnte auch zur Belastung werden. „Wenn ich mal zwei oder drei Stunden weg war, zog es mich wieder nach Hause.“ Lange Urlaubsreisen waren in dieser Zeit auch nicht möglich. Überfordert fühlte sich Dorothee Schwers mit der Betreuung ihrer Mutter jedoch nie. „Ich habe mir meine Freiräume geschaffen.“
Unterstützung von einem Pflegedienst
Unterstützung hatte die heute 70-Jährige von einem Pflegedienst, sie selbst kochte für ihre Mutter, wusch ihre Wäsche, kümmerte sich um Organisatorisches. Durch ihr Ehrenamt wusste sie, wie und wo sie Hilfe bekommen konnte. „Ich kannte die Schritte des Sterbens und deren Anzeichen – das half mir.“
Mit der Zeit lernte sie, ihre Mutter auch sein zu lassen. Dass sie nicht trinken musste, wenn sie nicht wollte. Nicht essen, wenn sie nicht wollte. „Man muss nicht alles regeln. Die Würde des Menschen bleibt bis zuletzt.“
Mitten in der Nacht die Feuerwehr gerufen
Schwers lebte gemeinsam mit ihrer Mutter in ihrem Elternhaus. Ihre Mutter wohnte oben. „Wenn sie aus dem Bett fiel, hab ich das gleich gehört“, sagt sie. Einmal hatte die Gladbeckerin selbst ihr Knie kaputt, durfte nicht schwer heben. Also rief sie mitten in der Nacht die Feuerwehr, die ihr half, die Mutter wieder ins Bett zu heben. „Das ist alles möglich“, sagt sie.
Je älter ihre Mutter wurde, desto mehr Betreuung brauchte sie, schlief viel. Im Alter arbeitete sie ihre Erlebnisse aus der Kriegszeit auf. Einer ihrer Söhne war 1943 gestorben – nach einer Scharlach-Epidemie in der Stadt und mit nur zweieinhalb Jahren.
„Manchmal sah meine Mutter ihren Sohn draußen stehen, wollte dann raus und ihm etwas Warmes anziehen.“ Dorothee Schwers schloss dann manchmal die Tür ihrer Mutter ab, so dass sie nicht einfach hinauslaufen konnte.
Plädoyer: sich mit dem Tod auseinandersetzen
Die 70-Jährige setzt sich dafür ein, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. „Lange wurde der Tod immer ausgeklammert, das hat sich inzwischen geändert“, sagt sie.
Als ihre Mutter 2013 starb – am Pfingstsonntag in ihrem Lieblingssessel – rief sie nicht gleich den Hausarzt. Kinder und Enkel konnten in Ruhe von ihr Abschied nehmen. Zwei Tage später informierte Schwers den Arzt, das Beerdigungsinstitut holte ihre Mutter dann ab. „Auch das geht.“