Gelsenkirchen. Gelsenkirchen: Apotheken-Notdienste verzeichnen bis zu 200 Einsätze pro Nacht. Diese Forderung hätte deutliche Folgen für Patienten.

Asthma-Anfall, Mittelohrentzündung, schier unerträgliche Migräne: Die 51 Gelsenkirchener Apotheken helfen in Notsituationen mit Medikamenten, immer zwei von ihnen auch spätabends und nachts, 365 Tage im Jahr. Nun schlagen die Inhaber aber selbst Alarm, weil die Zahl der Notdienste im Jahr massiv zugenommen hat und sie an ihre Belastungsgrenze bringe. Jetzt haben sie einen Hilferuf an die Apothekerkammer in Münster geschickt - der auch Folgen haben könnte für den Service vor Ort.

Es ist noch nicht so lange her, da waren es weniger als zehn Notdienste im Jahr, die Gelsenkirchens Apotheker schultern mussten. „Nun sind es 15 und damit mehr als einer im Monat. Das ist zu viel“, sagt Christian Schreiner, Sprecher der hiesigen Apotheken. Grund für dieses Plus an Diensten sei das Apotheken-Sterben. Wie berichtet, hat sich die Zahl der Apotheken in Gelsenkirchen in den vergangenen 15 Jahren um ein Drittel verringert. 2010 gab es vor Ort noch 75 Apotheken, heute sind es nur noch 51 - die dann mehr Notdienste übernehmen müssen.

Gelsenkirchener Apotheken-Sprecher: Notdienste fordern extrem

Der Inhaber der Buerschen Falken-Apotheke veranschaulicht: „Notdienst heißt für die allermeisten Apothekerinnen und Apotheker, dass wir erst einen Arbeitstag bis Geschäftsschluss bewältigen und dann bis zum nächsten Morgen um 9 Uhr vor Ort in Bereitschaft bleiben müssen. Und danach geht‘s normal weiter bis zum Abend, wenn man keinen angestellten Apotheker hat, der die Präsenzpflicht übernimmt. Das fordert extrem.“

Zum Schlafen im Ruheraum nebenan kämen die Apotheker während des Notdienstes oft kaum oder nur kurz. „Werktags verzeichnen wir normalerweise bis etwa 23 Uhr um die 20 Kundinnen und Kunden, in der Zeit bis 9 Uhr sind es dann um die sechs. Aber es gibt auch Notdienste mit Medikamenten-Anfragen in dreistelliger Höhe.“

Gelsenkirchener Pharmazeuten fühlen sich in Notdiensten mitunter ausgenutzt

Christian Schreiner, Sprecher der Gelsenkirchener Apotheker, hofft auf Entlastung bei der Zahl der Notdienste. Diese hat sich in den vergangenen Jahren aufgrund des Apotheken-Sterbens nahezu verdoppelt, sagt der Bueraner.
Christian Schreiner, Sprecher der Gelsenkirchener Apotheker, hofft auf Entlastung bei der Zahl der Notdienste. Diese hat sich in den vergangenen Jahren aufgrund des Apotheken-Sterbens nahezu verdoppelt, sagt der Bueraner. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

„Wir helfen gerne, wenn es etwa darum geht, ein Antibiotikum für ein hoch fieberndes Kind oder Cortison bei Entzündungsreaktionen zur Verfügung zu stellen. Aber immer öfter sind es keine Notfälle, für die wir angefragt werden, und das ist ärgerlich!“

„Seit ein paar Jahren werden unsere Notdienste zunehmend als erweiterte Öffnungszeiten missverstanden. Da kommen die Leute nachts um 2 Uhr, um etwa Nasenspray zu besorgen. Es wollte auch schon mal jemand nachts eine Impfberatung. Ich erinnere mich an einen Extremfall, bei dem jemand um 1.30 Uhr ein Badethermometer kaufen wollte. Und dann gibt‘s auch noch Diskussionen über die Notdienstgebühr von 2,50 Euro.“

Gelsenkirchener Apotheker fühlen sich als Lückenbüßer

Alle Hände voll zu tun hat so mancher Apotheker im Notdienst: Mitunter müssen die Gelsenkirchener Pharmazeuten zwischen abendlichem Geschäftsschluss und 9 Uhr am nächsten Morgen an die 200 Mal raus.
Alle Hände voll zu tun hat so mancher Apotheker im Notdienst: Mitunter müssen die Gelsenkirchener Pharmazeuten zwischen abendlichem Geschäftsschluss und 9 Uhr am nächsten Morgen an die 200 Mal raus. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Für Unmut sorgt auch, „dass wir niedergelassene Apotheken als Lückenbüßer herhalten müssen, wenn es um Notdienste geht, sich viele Patienten aber sonst über Online-Apotheken versorgen.“ Diese erhielten die lukrativen Aufträge der Regelversorgung. Aufwändige und nicht so rentable Spezialaufträge wie das Herstellen von Rezepturen oder die Lieferung von Betäubungsmitteln, die mit strengen Auflagen verbunden seien, würden hingegen auf die Pharmazeuten vor Ort abgeschoben.

Angesichts der Tatsache, dass die Vergütung in den letzten zwei Jahrzehnten nur einmal minimal angepasst worden sei, sei der Betrieb einer Apotheke für viele nicht mehr rentabel genug und das wirtschaftliche Risiko zu groß, betont Schreiner - und hofft, dass die Kammer Westfalen-Lippe wenigstens in Sachen Notdienste für Entlastung sorgt.

Diese Lösung schlagen die Gelsenkirchener Pharmazeuten vor

Diese erstellt immer ein Jahr im Voraus den Notdienstplan für die einzelnen Städte. „Vorstellbar wäre nun eine Lösung, dass nicht alle Notdienst-Apotheken in einem bestimmten Kreis von mehreren Städten rund um die Uhr bereitstehen, sondern nur einige vorher festgelegte. Die übrigen Notdienst-Apotheken könnten etwa nur bis 22 oder 23 Uhr öffnen“, so Schreiner.

Dass solche Änderungen bei den Öffnungszeiten in Gelsenkirchen kurzfristig umgesetzt werden, ist freilich laut Kammer-Sprecher Sebastian Sokolowski unwahrscheinlich. „Wir nehmen den starken Wunsch Gelsenkirchener Apotheken nach Teildiensten zwar ernst und tragen ihn auch dem Kammer-Vorstand vor, der ihn dann diskutieren und über weitere Schritte entscheiden wird. Aber es gilt, die gesetzlich vorgeschriebene Versorgung mit Medikamenten rund um die Uhr gegenüber dem Bedürfnis nach Arbeitsentlastung abzuwägen.“ Bisher sei die Vorgabe, dass die Distanz zur nächsten Notdienst-Apotheke vom geografischen Mittelpunkt einer Stadt nur acht Kilometer betragen dürfe.

So bewertet die Apotheker-Kammer den Vorschlag aus Gelsenkirchen

Jährlich 15 Notdienste hält er für durchaus „zumutbar“ und rät zum Blick etwa in ländliche Regionen, „wo manche Apotheke 30 oder 35 Notdienste im Jahr hat.“ Überdies gebe es so manche Pharmazeuten, „die froh wären über so viele Notdienste.“ Im Schnitt würden diese mit jeweils rund 400 Euro aus einem speziellen Fonds vergütet. Gespeist werde dieser über Cent-Beträge, die bei jedem verschreibungspflichtigen Medikament aufgeschlagen würden.

Die von den Gelsenkirchenern vorgetragene Lösung bedeute „mehr Verwaltung und viele unzufriedene Patienten“, da auf sie weitere Anfahrtswege zukommen würden. „Betroffen wären besonders Familien mit Kindern, die vergleichsweise oft Apotheken-Notdienste in Anspruch nehmen müssen und nicht immer ein Auto haben“, so Sokolowski weiter. Derartige „Teildienste“ würden zwar auch in anderen Städten diskutiert, aber nur intern. „Aktuell sind sie auf Landes- und Bundesebene eher kein Thema.“