Gelsenkirchen. „Nerv getroffen“: 2400 Gelsenkirchener wurden befragt – wie einsam fühlen sie sich? Gleich mehrere Ergebnisse überraschen.
Mitten in dieser Stadt gibt es eine ganze Reihe Menschen, die sich mitunter völlig ausgegrenzt fühlen, nicht zugehörig, zu häufig einsam und allein – und das Überraschendste: Unter ihnen sind viele junge Menschen. Diese Ergebnisse lieferte jetzt eine Befragung der Stadtverwaltung, an der sich im vergangenen Jahr knapp 2400 Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener beteiligt hatten. Ein weiteres Fazit: Alter, ein möglicher Migrationshintergrund und die Einkommenssituation sind „generell entscheidende Faktoren für das Gefühl von Einsamkeit“, heißt es seitens der Stadt.
Einsamkeit in Gelsenkirchen: Fast 50 Prozent der jungen Menschen fühlen sich einsam
Einsamkeit ist ein nicht zu unterschätzendes gesellschaftliches Problem – das sogar krank machen kann. Denn: Einsamkeit verursacht seelischen und körperlichen Stress. Laut der beiden Krankenkassen AOK und Barmer beispielsweise kann diese Empfindung zu Kopfschmerzen, Verspannungen, zu Bluthochdruck, aber auch zu Depressionen führen. Auch das Bundesfamilienministerium warnt vor zunehmender Einsamkeit. Es ist ein globales Problem: So warnt beispielsweise auch der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesu, davor, dass Menschen ohne starke soziale Kontakte einem höheren Risiko von Schlaganfällen, Angststörungen, Demenz, Depressionen und Suizid ausgesetzt seien. Er ging sogar noch einen Schritt weiter: Das Risiko eines vorzeitigen Todes sei für einsame Menschen so hoch wie oder höher als das Todesrisiko durch Tabakkonsum, Fettleibigkeit oder Luftverschmutzung, heißt es.
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
Insgesamt hatte die Stadt rund 8000 Einwohnerinnen und Einwohner angeschrieben, 2400 hatten sich schlussendlich beteiligt. Stichwort „junge Menschen“ – laut Stadt liefert deren Befragung ein auf den „ersten Blick überraschendes Ergebnis“: Fast die Hälfte der Gelsenkirchener unter 30 Jahren hatten angegeben, dass sie sich moderat einsam oder einsam fühlen. Diese Ergebnisse, sie würden sich nach Angaben der Verwaltung zurzeit in vielen Studien bestätigen. Als Ursache führen Stadt und auch übergeordnete Stellen nicht nur die Corona-Pandemie, sondern auch die weltweiten Krisen verbunden mit Zukunftsängsten, sozialer Unsicherheit, Veränderung von sozialen Beziehungen in einer Phase der Identitätsbildung und dem Beginn der eigenständigen Lebensführung an.
Weniger einsame Menschen im Alter zwischen 65 und 80 Jahren in Gelsenkirchen
Ein weiterer auffälliger Punkt: Menschen im Alter zwischen 65 und 80 Jahren seien laut den Ergebnissen der Befragung hingegen die am wenigsten einsame Gruppe, „was dem gängigen Stereotyp widerspricht, dass Einsamkeit mit dem Alter zunimmt“, heißt es in dem Ergebnis-Bericht der Befragung. Ein zusätzlicher Punkt: Auch die Einsamkeit bei Hochaltrigen liege im Durchschnitt der Gelsenkirchener Bevölkerung. „Neben stabilen sozialen Beziehungen spielen möglicherweise auch geringere soziale Erwartungen als bei jüngeren Menschen eine Rolle“, so die Stadt.
Die Befragung macht gleichsam deutlich, dass Einsamkeit in klarer Abhängigkeit zur Einkommenssituation steht. In konkreten Zahlen bedeutet das: 46 Prozent der armen Menschen fühlten sich mindestens moderat einsam, während nur 14 Prozent der wohlhabenden Menschen dieses Gefühl angeben würden.
Gelsenkirchener mit Migrationshintergrund deutlich stärker von Einsamkeit betroffen
Ein weiterer entscheidender Einflussfaktor beim Thema Einsamkeit: die Erwerbssituation. Im Zuge der Befragung wurde klar: Zwei von drei Arbeitslosen sind mindestens moderat einsam, fast die Hälfte einsam. Hier finden sich noch höhere Werte als unter armen Menschen – sie machen deutlich: Arbeit ist nicht nur wichtig zur wirtschaftlichen Absicherung, sondern auch entscheidend für die soziale Eingebundenheit und Teilhabe.
Die Befragung hat außerdem gezeigt, dass Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener mit Migrationshintergrund deutlich stärker von Einsamkeit betroffen sind. „Dabei ist die Zuwanderungsgeschichte relativ unabhängig: Migrantinnen und Migranten ohne eigene Zuwanderungsgeschichte sind sogar etwas häufiger (moderat) einsam als Migrantinnen und Migranten, die selber zugewandert sind“, so die Stadt.
Weiterhin betont die Verwaltung: „Die außergewöhnlich hohe Rücklaufquote von 31 Prozent bei der Befragung zeigt, dass die Themen Teilhabe, Zusammenhalt und Einsamkeit einen Nerv bei den Menschen in Gelsenkirchen getroffen haben.“ Silvia Bader von der Koordinierungsstelle strategische Sozialplanung und Quartiersmanagement erklärt: „Wir sind bei den Fragen in die Tiefe gegangen, weil wir wirklich verstehen wollten, wie die Situationen in Gelsenkirchen ist. Daher mussten sich die Menschen durchaus intensiv mit den Fragen beschäftigen. Wir sind sehr dankbar, dass dennoch so viele Personen mitgemacht haben, denn so haben wir wirklich belastbare Ergebnisse.“
Sozialdezernentin Andrea Henze sagt: „Zum einen haben wir in Gelsenkirchen bereits viele Angebote für Menschen, die sich einsam fühlen. Hier müssen wir daran arbeiten, diese noch bekannter zu machen.“ Zudem werde aktuell bei der Stadtverwaltung daran gearbeitet, Modellprojekte gegen Einsamkeit umzusetzen. „Einsame Menschen finden trotz aller Angebote häufig nicht von alleine aus Ihrer Situation heraus. Hier müssen wir gemeinsam mit Partnerorganisationen in den Quartieren und auch online Lösungen entwickeln, wie wir diese Personen dennoch erreichen.“ Erste Erkenntnisse der Befragung sollen bereits in die Aktionswoche gegen Einsamkeit einfließen, die vom 26. Mai an startet.
Weitere Infos zur Befragung, zu den städtischen Angeboten für Menschen, die sich einsam fühlen, ebenso wie ein ausführlicher Bericht zum Download gibt es im Netz gelsenkirchen.de/einsamkeit