Gelsenkirchen. „Geht immer weiter nach unten“: Schon jetzt ist der Offene Ganztag in Gelsenkirchen teilweise am Limit. Ab 2026 könnte es noch schlimmer kommen.

Es ist nicht nur ein riesiges, derzeit noch ungelöstes Problem, sondern wird auch zu einem extremen Kraftakt werden: Ab 2026 gilt für den ersten Jahrgang an Grundschulen ein Rechtsanspruch auf den Offenen Ganztag, bis 2029 sukzessive dann für alle Jahrgänge. Heißt: Nach derzeitigem Stand müssten bis dahin in Gelsenkirchen fast 7000 zusätzliche Plätze geschaffen werden. Wie soll das gehen?

Das fragen sich auch die OGS-Träger dieser Stadt, die im Gespräch mit der WAZ schon jetzt deutlich machen: Das System ist aktuell schon nicht mehr nur auf Kante genäht. Die Träger, sie schlagen Alarm, sprechen sogar von einer Katastrophe, wohlgemerkt nicht allumfassend und an allen Standorten. „Viele Dinge sind nicht mehr korrigierbar“, sagt beispielsweise Christoph Grün, Fachbereichsleiter der Caritas, einem der vier Träger, die für den Offenen Ganztag in Gelsenkirchen verantwortlich sind.

OGS in Gelsenkirchen: Träger zeichnen ein düsteres Bild

„Der Rechtsanspruch beschäftigt uns“, das sagt Christoph Grün demnach auch. Und seine Kolleginnen Katja Heitmann (Referatsleiterin beim Evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen/Wattenscheid), Jasmin Budasz (Fachberatung OGS bei der AWO Gelsenkirchen/Bottrop) und Bärbel Rakowski (Koordinatorin OGS beim Bauverein Falkenjugend) als weitere Verantwortliche der Träger für den Offenen Ganztag können ihm da nur zustimmen. Zusammen betreuen die vier Verbände und Einrichtungen derzeit knapp 4200 Kinder – Tendenz deutlich steigend – und haben sich im Trägernetz Gelsenkirchen zusammengeschlossen.

„Eine Spirale, wo es immer weiter nach unten geht“: Katja Heitmann (Evangelischer Kirchenkreis), Jasmin Budasz (AWO Unterbezirk), Christoph Grün (Caritas) und Bärbel Rakowski (Bauverein Falkenjugend, von links) sind Träger des Offenen Ganztags in Gelsenkirchen.
„Eine Spirale, wo es immer weiter nach unten geht“: Katja Heitmann (Evangelischer Kirchenkreis), Jasmin Budasz (AWO Unterbezirk), Christoph Grün (Caritas) und Bärbel Rakowski (Bauverein Falkenjugend, von links) sind Träger des Offenen Ganztags in Gelsenkirchen. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Die finanziellen und die personellen Ressourcen würden immer knapper – „das ist wie eine Spirale, wo es immer weiter nach unten geht“, sagt Christoph Grün auch. Freilich sei sich die Stadt der prekären Lage bewusst, schildern die Träger, es würden auch Gespräche laufen. Darüber sind sie glücklich, denn es habe auch Zeiten gegeben, wo es nicht so gewesen ist.

Es ist eine einfache Formel: Es gibt immer mehr Kinder bei immer weniger Personal und auch „die Räume sind nicht mehr geworden“, schildert Katja Heitmann. So werden die Räume in Gelsenkirchens Schulgebäuden demnach auch multifunktional genutzt, also von Schule und OGS – doch was so schön und so modern klingt, bedeutet für die Kinder auch: Dass sie ihren Schul- und OGS-Tag über vielleicht acht Stunden in Klassenräumen verbringen müssen. Dabei sei es doch so wichtig, dass die Kinder den Ort der Benotung und Bewertung auch einmal verlassen könnten, führt Bärbel Rakowski beispielsweise an.

Der Alltag der OGS-Träger besteht vielfach aus einer Menge Zahlenschieberei: Da werden etwa die Gruppengrößen erhöht oder das Angebot von externen Kräften reduziert. „Das Problem ist nicht nur, dass kein Geld da ist, wir müssen auch gucken: Wo kriegen wir die Fachkräfte her?“, sagt Bärbel Rakowski. Den Betrieb überhaupt aufrechtzuerhalten, das sei nach Angaben der Träger in Gelsenkirchen, (noch) kein Thema. Natürlich sei immer gewährleistet, dass Personal da ist, versichern sie, auch, dass jedes Kind ein warmes Mittagessen bekomme. Doch mancherorts sei die OGS mittlerweile „nur eine Betreuung“, wie Katja Heitmann es nennt, das räumen sie ein.

OGS in Gelsenkirchen: „Individuelle Förderung fällt häufig hinten rüber“

„Die individuelle Förderung, die fällt tatsächlich häufig hinten rüber“, sagt Christoph Grün. Und Bärbel Rakowski fügt einen weiteren, wichtigen Punkt hinzu, wenn es ums Kümmern und nicht mehr nur die reine Betreuung geht: „Viele Kinder haben einen Rucksack“, und meint damit die Erfahrungen, Prägungen, Erlebnisse, aber auch die familiären Hintergründe, die zu diesem oder jenen Verhalten, mitunter auch zu Konflikten führen können. Vielfach kann kaum bis gar nicht auf die jeweiligen Bedürfnisse eingegangen werden. Ein gewisses „herausforderndes Verhalten“ der Kinder sei mittlerweile derart gestiegen, erläutert Jasmin Budasz zudem. Und weil die Ressourcen fehlten, werde es immer schwieriger, beispielsweise intensive Elternarbeit zu ermöglichen.

Hinter vorgehaltener Hand berichtet manche OGS-Leitung in der Stadt auch bereits davon, dass man schon froh sei, wenn alle Kinder den Tag heil überstehen. Zu wenig Betreuer für zu viele Kinder in zu wenig und zu kleinen Räumen seien heute schon vielfach die Realität, die dazu führe, dass die Kinder oft „nur“ verwahrt werden könnten. Für pädagogisch sinnvolle Arbeiten bliebe im Wort- und im übertragenem Sinne kaum Platz. Das frustriert schließlich Kinder und Betreuer gleichermaßen.

Und doch: Mit dem Fachkräftemangel umzugehen, „das gelingt uns gut“, sagt etwa Christoph Grün. Bei der Caritas beispielsweise setzen sie vielfach auf Studentinnen und Studenten als Ergänzung. Grün mahnt: „Nur auf Erzieherinnen zu setzen, wird uns nicht weiterbringen.“ Katja Heitmann sieht das ähnlich – schon jetzt würden die Träger, und das ist mitnichten nur auf Gelsenkirchen beschränkt, in einem Wettbewerb zueinander stehen und um das Personal „buhlen“.

„Diese Sorge treibt uns alle um“ – OGS-Träger mit Blick auf den Rechtsanspruch ab 2026

Denn darum geht es ja auch: Bislang fehle es an ausgearbeiteten Rahmenbedingungen, wie es ab 2026 weitergehen soll. „Schon jetzt gehen die Mitarbeitenden wegen mangelnder Perspektive“, berichtet Katja Heitmann.

Hinter der Frage der Finanzierung sehen Heitmann, Rakowski, Budasz und Grün allesamt ein Fragezeichen. Sie sind sich einig: Gibt es darauf keine ausreichende, sprich für die Träger auskömmliche Antwort, dann sei die Arbeit nicht mehr zu verantworten. Denn darauf verweisen sie im Gespräch mit der WAZ ebenfalls: „Da hängt ja auch was dran“, so Christoph Grün und meint damit unter anderem die Kosten für und die Verantwortung gegenüber seinem Personal.

Was die OGS-Träger, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, Bärbel Rakowski bringt es auf den Punkt: „Die Sorge treibt uns alle um: Wie geht‘s weiter?“