Gelsenkirchen-Bulmke-Hüllen. Keine Musik, keine Lieder: Wie die taube Gelsenkirchener Familie Vukic für ihre vier Kinder Weihnachts-Atmosphäre zaubert. Das ist ihr Highlight.

Die Englein jubeln, die Glocken klingen, durch die Lüfte tönt froher Schall: Weihnachtslieder haben in diesen Tagen Hochkonjunktur. Chöre bescheren unvergessliche Konzert-Erlebnisse, vor dem Christbaum wird inbrünstig das Jesuskind in der Krippe angesungen, aus zahlreichen Lautsprechern säuselt es nahezu rund um die Uhr. Das Fest hat eben auch musikalisch seinen Reiz. Für gehörlose Menschen hingegen ist immer „Stille Nacht“ – wie für Familie Vukic aus Bulmke-Hüllen. Doch auch dort erliegen die Eltern und erst recht ihre vier kleinen Kinder diesem ganz besonderen Weihnachts-Zauber.

Eduardo (6) kann es schon seit Wochen nicht erwarten: Wann, bitteschön, kommt endlich der Weihnachtsmann mit den Geschenken? Der aufgeweckte blonde Junge hat nun wirklich sein Bestes gegeben, um mehr Tempo in die Sache zu bringen, erzählt seine Mutter Andreea Vukic (30) lachend in Gebärdensprache, übertragen von Gebärden-Dolmetscherin Melanie Bloemkolk.

Wie Sohn Eduardo (6) dem Weihnachtsmann Beine machen wollte

„Wir hatten Anfang Dezember kaum den Christbaum aufgestellt, da packte er seine Dinosaurier-Figuren in Toilettenpapier ein und legte sie unter den Baum in der Hoffnung, den Heiligabend früher feiern zu können.“ So rührend sie seinen Versuch auch fand: Die Enttäuschung konnte sie ihm nicht ersparen.

Zwar haben sie und ihr Mann Mirko Vukic (33) sich vor einigen Jahren entschlossen, das Aufstellen des Tannenbaums um einige Wochen vorzuziehen („sonst haben wir doch so wenig davon“). Aber in Sachen Bescherung lassen sie als Katholiken dann doch nicht mit sich reden.

Wie die Eltern ihren gehörlosen Kindern Buch-Inhalte vermitteln

Familie Vukic mit drei gehörgeschädigten Kindern und Gebärden-Dolmetscherin Melanie Bloemkolk in Gelsenkirchen
Familie Vukic aus Gelsenkirchen genießt die Weihnachtstage auch ohne Musik und Lieder. Die gehörlosen Kinder fiebern Heiligabend genauso entgegen wie hörende Mädchen und Jungen. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Die dunklen Augen der schmalen Frau blitzen vergnügt, als sie ihrem Sohn über die kurzen Haare streicht und zu seinen drei Schwestern (3, 4, 8) blickt, die mit am Tisch sitzen und malen. Diese fiebern Weihnachten genauso ungeduldig entgegen – die sonst im Advent allgegenwärtige Musik als Stimmungs-Verstärker brauchen sie überhaupt nicht.

Welche Traditionen die Familie rund ums Fest pflegt? Die gebürtige Rumänin, die bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater in Gelsenkirchen aufwuchs und ihren Mirko, einen Kroaten, via Facebook kennenlernte, klopft auf das Weihnachts-Bilderbuch vor sich. „Wir lesen den Kindern viel vor“, sagt sie und demonstriert, was sie meint.

Die Kinder verfolgen die Gebärden der Eltern gebannt

Im Nu sitzt Tochter Elissia (3) auf ihrem Schoß, und Estella (4) schmiegt sich an die kleine Schwester. Evelina (8) und Eduardo drücken sich auch noch an ihre Mutter, so dass kaum Platz bleibt für ihre teils ausladenden Gebärden: Was da im Buch über Jesu Geburt in der Krippe steht, übersetzt die 30-Jährige mit beiden Händen in Gesten, während sie mit ihrem Mund überdeutlich lautlose Worte formt.

Die Kinder blicken gebannt mal auf die Bilder, dann wieder auf die Hand-Bewegungen ihrer Mutter. Ab und an zeigt Papa Mirko auf einige Figuren im Buch: Auch er ist trainiert im Vermitteln der Geschichte via Gebärden, kümmert sich als Hausmann gar hauptsächlich um Kinder, Küche und den Rest, während seine Frau als selbstständige Gebärdensprachdozentin arbeitet.

Gebärden sind die Muttersprache der gehörlosen Kinder

Was auf Hörende ungewohnt wirken mag, ist für sie ihre Muttersprache: Während hörende Babys durch die direkte Ansprache ihrer Eltern sprechen lernen, bekommen nicht hörende Kinder im Alter ab sechs Monaten die Gebärdensprache vermittelt.

„Als Estella neun Monate alt war, hat sie gleichzeitig angefangen zu laufen und zu gebärden. Also alles ganz normal“, berichtet Andreea Vukic und strahlt ihre Tochter an. Dass die Welt der Klänge sowohl den Eltern als auch den Kindern von Geburt an verschlossen ist, bedauern sie nicht, betont sie. „Wir kennen sie ja nicht, also vermissen wir sie auch nicht.“

Das ist das größte Weihnachtsgeschenk für die Gelsenkirchener Familie

In Weihnachtsstimmung kommt die Familie auch ohne Glöckchen-Klang und Geigenspiel: Die Oma mütterlicherseits backt im Advent mit den zwei großen Kindern Plätzchen, während Andreea und Mirko Vukic mit den jüngeren über den Weihnachtsmarkt bummeln. Der Lichterglanz dort, die geschmückten Hütten auf dem Heinrich-König-Platz und Neumarkt, die Düfte von gebrannten Mandeln, Glühwein und Bratwurst, all das sorgt für eine magische Atmosphäre – und strahlende Kinderaugen.

Heiligabend feiern die Vukics wie immer mit einem Teil der Verwandtschaft mal bei der einen, mal bei der anderen Seite: „Dieses Jahr sind wir bei meinen Eltern eingeladen. Dort gibt es ganz traditionell Rouladen, Klöße und Rotkohl. Das lieben alle, auch die Kinder“, so die 30-Jährige. „Wir sind als Familie zusammen, essen miteinander, erzählen uns viel, es gibt Geschenke, und wir schauen gemeinsam einen Weihnachtsfilm mit Untertiteln. Das ist das Besondere und macht uns glücklich.“

Einen Heiligabend-Gottesdienst in Gebärdensprache zu besuchen, ist den jungen Eltern der kleinen Kinder wegen zu (zeit-)aufwendig. Bis Bünde in der Nähe von Bielefeld fährt es sich nun mal nicht so fix. Ohnehin sitzen die zwei schönsten Weihnachtsgeschenke überhaupt mit am Tisch: Tochter Evelina kam am 9. Dezember zur Welt, Sohn Eduardo am 22. Dezember. „Ich war froh, dass ich Heiligabend aus dem Krankenhaus kam und mit meiner Familie feiern konnte. Das Baby vor dem Tannenbaum im Arm zu halten, war einfach nur großartig.“