Gelsenkirchen. Als Gebärdensprachen-Dolmetscherin erlebt die Expertin alle Facetten des Lebens. Jedes Land hat eigene Gebärdensprache mit eigener Grammatik.

  • Es gibt in ganz Nordrhein-Westfalen nur ungefähr 100 Gebärdensprachen-Dolmetscher
  • Jedes Land hat seine ganz eigene Gebärdensprache mit eigener Grammatik
  • Für taube Menschen hat das Vereinsleben einen ganz anderen Stellenwert als für Hörende

„Es ist der schönste Beruf, den man sich vorstellen kann, weil er so vielfältig ist“, sagt Melanie Bloemkolk. Denn sie erlebt das Leben in all’ seinen Facetten täglich neu. Kein Tag ist wie der andere. Mal liegt der Schwerpunkt im sozialen Bereich, mal auf Verwaltungsebene, mal im Juristischen. Die 46-Jährige ist Gebärdensprachen-Dolmetscherin und so eingespannt und gefragt, dass sie es manchmal nicht schafft, spontane Termine wahrzunehmen.

Melanie Bloemkolk wuchs mit einer gehörlosen Mutter und einem hörenden Vater auf. Insofern war ihr die Gebärdensprache bestens vertraut. „Früher war es nicht schick, sich in Gebärdensprache zu unterhalten. Da hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel getan“, sagt die Mutter zweier Kinder. Insofern nahm ihre Mutter, die sprechen gelernt hatte, obwohl sie gehörlos war, die Gebärden nur zur Unterstützung.

Ursprünglich Bürokauffrau gelernt

Gelernt hat die Dolmetscherin einen ganz normalen Beruf: Bürokauffrau. 2001 entschied sie sich aber, ihre bereits vorhandene, eher seltene Kenntnis zum Beruf zu machen. Doch bevor sie ihre Ausbildung begann, musste sie noch Kurse besuchen, damit sie überhaupt starten durfte. Denn man muss Kenntnisse der Gebärdensprache nachweisen, wenn man diese spezielle Ausbildung beginnt. Das war für Melanie Bloemkolk natürlich kein Problem, für sie war diese Art der Verständigung ja vertraut.

„Jedes Land hat seine eigene Gebärdensprache mit einer eigenen Grammatik“, erklärt sie. Es gibt zwar auch eine internationale Sprache, mit der man sich unterhalten kann, aber in Deutschland wird die eigene Sprache gelehrt.

Zwischen Gebärden und Mimik

„Sie ist nicht identisch mit unserer Sprache, es ist ein Zusammenspiel zwischen Gebärden und Mimik“, schildert die Expertin. Kenntnis müsse man auch über den kulturellen Hintergrund haben, um die Tauben zu verstehen. Weil sie nicht mal eben zum Bäcker gehen können und ein Quätschchen halten oder zum Nachbarn und über die neuesten politischen Ereignisse reden, hat das Vereinsleben von Gehörlosen einen ganz anderen Stellenwert. Denn bei Hörenden ist der Verein längst nicht mehr Lebensmittelpunkt. Sie können ja auch jederzeit mit Freunden und Verwandten kommunizieren.

Ich bin gehörlos, zeigt diese Gebärde an.
Ich bin gehörlos, zeigt diese Gebärde an. © Thomas Schmidtke

Weite Wege in Kauf zu nehmen, um mit Verwandten sprechen zu können, ist für Taube daher eine Selbstverständlichkeit. Denn bisher lernten sie schon im Kindesalter, dass weite Wege zu ihrem Leben gehören. Das Gehörloseninternat in Essen ist zum Beispiel für ein riesiges Gebiet von tauben Kindern zuständig. „Erst jetzt durch die Inklusion wird es langsam möglich, dass gehörlose Jungen und Mädchen in eine nahe gelegene Grundschule gehen können“, sagt die Gebärdensprachen-Dolmetscherin. Gebraucht werden ihre Fähigkeiten in jedem Lebensbereich. Oft rufen Firmen an, weil sie eine Betriebsversammlung haben und für die gehörlosen Mitarbeiter eine Übersetzerin brauchen. Oder es stehen Arzttermine an, die begleitet werden müssen.

Taube sind weite Wege gewohnt

Manchmal wird es auch anstrengend in ihrem Beruf. „Wenn zum Beispiel komplizierte Sachverhalte vermittelt werden müssen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund zwar ein deutsches Mundbild haben, aber eine ausländische Gebärdensprache in die Unterhaltung einfließt. Das ist dann irritierend.“ Einen zweiten Kollegen forderte die Expertin auf der Polizeiwache an, als eine taube Frau eine Vergewaltigung anzeigen wollte. „Da kommt es natürlich darauf an, dass man ganz genau übersetzt, Mimik und Gebärde richtig deutet.“