Gelsenkirchen. Einzigartig für Gelsenkirchen und die Region: Die erste türkischsprachige Demenz-Schulung der Caritas hilft Angehörigen, sensibel zu pflegen.

„Mein Vater war immer ein sehr humorvoller Mensch. Als Familienoberhaupt stand er stets im Mittelpunkt. Das ist jetzt nicht mehr so. Wenn die Familie zusammenkommt und die Männer sich unterhalten, dann sitzt er abseits. Es schmerzt mich, das zu sehen. Erst hier habe ich gelernt, in solchen Momenten meine Stimme für ihn zu erheben und zu sagen: Das ist noch immer unser Vater. Er gehört zu uns und er liebt euch!“ Es sind berührende Szenen, von denen Sevgi Kohraman erzählt. Ihr Vater hat Demenz. Um damit besser umgehen zu können, hat sie eine Schulung der Gelsenkirchener Caritas für Angehörige von Erkrankten besucht. Es war die Erste, die komplett in türkischer Sprache angeboten wurde – in der ganzen Region.

Demenz-Beratung: Kaum Angebote für die türkische Community in Gelsenkirchen

Dass ein solches Angebot dringend benötigt wird, das habe erst die Erfahrung gezeigt, sagt Johanna Lütke Hockenbeck, die Leiterin der Fachstelle Demenz der örtlichen Caritas. „Wir bieten in den Evangelischen Kliniken eine Beratung für Angehörige an. Da haben neun von zehn Familien türkische Wurzeln. In den gemeinsamen Gesprächen wurde deutlich, dass es für die türkische Community nicht viele Angebote gibt.“

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Die jedoch seien erforderlich. Ein Beispiel: „In der Demenz verlieren Betroffene oft die erlernte deutsche Sprache. Es bleibt nur die Muttersprache. Die meisten Einrichtungen sind damit überfordert.“ Und so verbleiben die demenziell Erkrankten vielfach in den Familien. Das liege weniger an dem innerfamiliären Zusammenhalt. „Ich hatte den auch immer für die Ursache gehalten, warum viele Menschen mit türkischen Wurzeln in den Familien gepflegt werden. Mehr und mehr jedoch denke ich, es fehlen die Alternativen.“

Einzigartiges Beratungsangebot: „Alleine die Referenten zu finden, das war nicht einfach“

Um wenigstens die Angehörigen zu befähigen, mit ihren Lieben bestmöglich umzugehen, entstand vor gut zwei Jahren die Idee, einen Kursus in türkischer Sprache anzubieten. Bis zur Umsetzung aber waren einige Hürden zu nehmen. „Alleine die Referenten zu finden, das war nicht einfach. Es sollten alles Muttersprachler sein“, so Johanna Lütke Hockenbeck. Und dann musste ein neues Konzept entwickelt werden. Die pflegerischen Inhalte sind wie in der deutschen Schulung. Andere Inhalte unterscheiden sich aber deutlich.

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„Gerade bei der Demenz geht es auch um den kulturellen Hintergrund“, sagt Necla Karabas, Gerontotherapeutin und eine der Referentinnen. „Es geht um den Einsatz von Geschichten, Liedern und Musik in der Betreuung der Angehörigen.“ Einen weiteren Aspekt ergänzt Meral Aslan, Leiterin des Mehrgenerationenhauses in Ückendorf, dem Austragungsort des Kurses. „Wir erleben es oft, dass die Angehörigen, die auch die deutsche Sprache beherrschen, bei so emotionalen Themen automatisch in ihre Muttersprache wechseln.“

Vom neuen Wissen soll nun die ganze Familie profitieren

Sevgi Kohraman hat das Angebot in türkischer Sprache auf jeden Fall die Sicherheit gegeben, sich mit der Erkrankung und den Bedürfnissen ihres Vaters auseinander zu setzen. Sie ist glücklich, durch mehr Fachwissen nun souveräner sein zu können. „Ich habe zum Beispiel gelernt, wie wichtig für meinen Vater Bewegung ist. Solange er fit ist, möchte ich ganz viel mit ihm unternehmen.“ Im Fachvortrag einer Medizinerin habe sie zudem viel über die Medikamentengabe gelernt. Von ihrem neuen Wissen solle nun die ganze Familie profitieren. „Das erzähle ich ihnen zu Hause.“

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Wie viel sie intuitiv richtig macht, das hat Sevgi Kohraman in diesem Kursus auch erfahren. „Ich kümmere mich oft darum, meinen Vater zu beschäftigen. Wir spielen zum Beispiel zusammen Memory. Da hat er Freude dran – und es hilft ihm, sich zu erinnern.“ Dann erzählt die Tochter noch von einem berührenden Vorhaben, für welches sie in der Schulung den Mut gefasst hat: „Mein Vater liebte immer Tiere. Als wir Kinder waren, ist er oft mit uns in den Zoo gegangen. Dort hatten wir viel Spaß gemeinsam. Das ist eine sehr wertvolle Kindheitserinnerung für mich. Und demnächst will ich mit meinem Vater in den Zoo gehen.“

Die Caritas bietet auch künftig Schulungen an für Angehörige von Menschen mit Demenz. Kontakt: johanna.luetkehockenbeck@caritas-gelsenkirchen.de.