Gelsenkirchen. Mehrfach knallt es gewaltig in Gelsenkirchen, als Kriminelle Geldautomaten sprengen. Trotz „Live-Schaltung“ zur Polizei entkommen die Täter.

Mit einer „Live-Schaltung“ zur Tat, noch während diese geschieht, hat es die Polizei auch nicht alle Tage zu tun. So geschehen vor einem Jahr in der Nacht zum 26. Oktober 2023, als eine kriminelle Bande in Gelsenkirchen-Heßler mehrfach Explosionen herbeiführt, um die Geldautomaten der dortigen Sparkasse aufzusprengen.

Aufgeschreckt vom Lärm auf der Straße ruft eine Anwohnerin die Polizei an und beschreibt dem Beamten in der Leitstelle, was sich unten auf der Straße abspielt, während sie das Ganze mit ihrem Handy filmt. Doch trotz der minutenlangen Versuche der Gangster und der frühen Warnung durch die Anruferin, gelingt es der Polizei in dieser Nacht nicht, die Täter zu schnappen. Bis heute fehlt von ihnen jede Spur, dabei war eine Streife sogar nah dran.

Krasses Video zeigt Geldautomaten-Sprengung in Gelsenkirchen

Rückblick: Dreimal knallt es laut, dann fährt ein BMW gegen 3.15 Uhr mit aufheulendem Motor davon. Darin sitzen drei Täter (augenscheinlich Männer) und ein Fluchtfahrer oder eine Fahrerin, die zusammen zuvor einen Sparkassen-Geldautomaten in Heßler gesprengt haben.

Ein Video einer Anwohnerin zeigt, wie kaltschnäuzig und professionell die Männer zuvor vorgehen. Zu sehen sind in der ersten Sequenz zwei Männer mit Stirnlampen, die aus der Filiale hinausrennen, während ein dritter Mann draußen in aller Seelenruhe eine schwarze Sporttasche zur Seite räumt, in der die Bankräuber Einbruchs- und Sprengwerkzeug mitgebracht haben. Sekunden später detoniert es gewaltig, dichter, weißer Rauch kommt aus dem Foyer der Sparkassenfiliale. Die Polizei bekommt diese Informationen von den filmenden Anwohnern live mitgeteilt.

Nur wenige Sekunden später detoniert es ein zweites Mal. Die Täter rufen sich lautstark etwas zu. Bald darauf knallt es ein drittes Mal. Die Männer gehen abermals in die Sparkasse, das Fluchtauto, ein BMW mit dem Kennzeichen D-ID 183, kommt angefahren. Ermittlungen ergeben, dass die Nummernschilder kurz zuvor in Herten gestohlen worden waren. Die Männer steigen in den Wagen mit der beigen Lederausstattung ein, der Fahrer setzt das Fahrzeug zurück und fährt donnernd los. Das Video endet an dieser Stelle nach vier Minuten und einer Sekunde. Nach Angaben einer Sprecherin wurde die Polizei in etwa zum selben Zeitpunkt angerufen, zu dem die Aufnahme beginnt. In dieser Nacht ist das offenbar nicht genügend Zeit für die Polizei, um rechtzeitig am Tatort zu sein.

Die Aufnahmen der Anwohner werfen später die Frage auf, ob Gelsenkirchen nachts überhaupt genügend Polizisten auf Streife hat. Die Gewerkschaft der Polizei antwortet Wochen später im WAZ-Gespräch darauf mit einem Nein und skizziert einen dramatischen Schwund in den vergangenen Jahren. „Nicht nur dieser Fall legt den Verdacht nahe, dass die Polizei in Gelsenkirchen nicht ausreichend Kräfte hat“, sagte Mitte Oktober 2024 auch der Ratsfraktionschef der Gelsenkirchener SPD, Axel Barton.

Polizei hat noch Sichtkontakt zum Fluchtauto, verliert aber den Kontakt

Damals wie heute äußert sich die Polizei auf Nachfrage nicht dazu, wie viele Streifenwagen in jener und in anderen Nächten in Gelsenkirchen im Einsatz sind. „Die Frage hinsichtlich der Gesamtzahl unserer Einsatzmittel kann mit Verweis auf einsatztaktische Gründe nicht beantwortet werden“ heißt es lediglich.

Die für Automatensprengungen in NRW zuständige Polizeibehörde in Münster erklärt, dass ein Streifenwagen sogar kurzen Sichtkontakt zum Fluchtauto hatte, als dieses über die Kreuzung Kurt-Schumacher-Straße / Emil-Zimmermann-Allee raste. Die weitere Flucht sei augenscheinlich in Richtung A 2 erfolgt.

Genaueres kann die Polizei nicht sagen, weil sie seither keine Spur von den Tätern hat. „Die Ermittlungen wurden ohne eine Festnahme oder Verdächtige an die Staatsanwaltschaft Essen abgegeben“, erklärt eine Polizeisprecherin ein Jahr nach der Explosions-Nacht von Heßler. Ähnlich ist das Ergebnis auch in vielen anderen Fällen, wenngleich viele Banken inzwischen aufgerüstet haben und die Polizei in NRW das Phänomen der Angriffe auf Geldautomaten als strategisches Schwerpunktthema festgelegt hat. 2023 wurden landesweit 153 Taten registriert, denen 26 Festnahmen gegenüberstehen.

Sparkassen und Banken rüsten auf und sichern ihre Geldautomaten

Ein Großteil der Angriffe auf Geldautomaten in Deutschland wird durch niederländische Tätergruppierungen verübt. „Begründet durch die unmittelbare Grenznähe zu den Niederlanden, der Vielzahl von Tatgelegenheiten (mehr als 10.000 Geldautomaten), das gut ausgebaute Autobahnnetz und die hohe Abdeckung an Geldautomaten auch im ländlichen Raum, liegt der Anteil der Taten, die durch diese Klientel verübt wird, in NRW bei über 80 Prozent“, erklärt die Polizei.

Wie viel Geld die Räuber bei dem Überfall in Heßler erbeutet haben, ist nicht bekannt. Häufig schweigen sich Banken darüber aus, um mögliche Trittbrettfahrer nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Die Beutesummen und Sachschäden, die durch solche Taten entstanden sind, lagen laut Polizei NRW-weit im Jahr 2023 bei über sieben Millionen Euro.

Seit 2021 rüstet daher auch die Sparkasse Gelsenkirchen immer weiter auf und setzt dabei auf Geldautomaten mit einem Schutzpanzer. Nach der Sprengung in Heßler wurde an Ort und Stelle der vierte gepanzerte Sparkassen-Automat installiert. Zuletzt schlugen im Mai 2024 Automatensprenger in Gelsenkirchen in der Volksbank-Filiale in Horst zu. Doch auch dort hatte die Bank bereits ihre Vorsichtsmaßnahmen hochgefahren, sodass die Beute der Täter ausgesprochen klein gewesen sei, so das Geldinstitut damals. Aber: Auch hier fehlt von den Tätern jede Spur. „Wir haben derzeit keine konkreten Hinweise auf Personen oder Fahrzeuge, die in Verdingung mit der Tat in Gelsenkirchen stehen“, so die Münsteraner Polizei.