Gelsenkirchen-Scholven. Der Kohle-Ausstieg am Industrie-Standort Gelsenkirchen nimmt Fahrt auf. Doch der Ukraine-Krieg durchkreuzt weiter Unipers Energiewende-Pläne.
Eine ganze Zeitungsseite und zwischen den Zeilen jede Menge Sprengstoff: Die Bundesnetzagentur informierte jetzt auch in Gelsenkirchen über die Höchstspannungsleitung aus Norddeutschland nach Marl-Polsum. Im Fokus: die Trasse zum geplanten Standort des Konverters in Dorsten - gegen den viele Altendorf-Ultkotter Sturm laufen. Dieser sei auf dem Gelände des Scholvener Uniper-Kraftwerks besser als in ihrem Dorf aufgehoben, argumentieren sie. Dass das Unternehmen dies nach längeren Verhandlungen ablehnte, hängt auch mit dem Ukraine-Krieg zusammen. Der durchkreuzt noch über Jahre Pläne zur Weiterentwicklung des Industrie-Standorts. Trotzdem geht es weithin sichtbar weiter mit dem Ausstieg: Das ist der Stand.
Es war Mitte 2021, als Netzbetreiber Amprion begann, mit Uniper über die Platzierung des Konverters auf dem Kraftwerksgelände in Scholven zu verhandeln. Zwei Hallen zur Umwandlung von Gleich- in Wechselstrom galt (und gilt) es unterzubringen. Platzbedarf: unter zehn Hektar.
Uniper-Kraftwerk in Gelsenkirchen-Scholven galt als möglicher Standort für Amprion-Konverter
Das Vorhaben ist zentraler Bestandteil eines bundesweiten Energiewende-Projekts, das an der Nordseeküste in Windparks erzeugten Strom über Erdkabel in den Süden Deutschlands transportieren soll. Korridor B mit den beiden Trassen Heide/West - Polsum sowie Wilhelmshaven - Hamm soll Anfang der 2030er Jahre an den Start gehen.
Es waren freilich andere - weil friedliche - Zeiten damals, als die zwei Unternehmen noch einen Konverter-Standort Scholven für möglich hielten: Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 entstand plötzlich eine Gasmangel-Lage mit gravierenden Folgen nicht nur für die Verbraucher, sondern auch für das Düsseldorfer Unternehmen. Es geriet in wirtschaftliche Schräglage und musste Ende 2022 durch einen Staatseinstieg gerettet werden. Und die Bundesnetzagentur erklärte jene Kraftwerksblöcke B und C, die im Zeichen des Kohle-Ausstiegs eigentlich vom Markt genommen werden sollten, zunächst bis 2031 für systemrelevant.
Darum sind Uniper am Kraftwerks-Standort Gelsenkirchen Scholven jetzt „die Hände gebunden“
Seither sind Uniper „die Hände gebunden“, wie es eine Sprecherin formuliert, jedenfalls was die Flächen der beiden Kraftwerksblöcke und der beiden Kühltürme angeht. „Da beide Blöcke mit Steinkohle betrieben werden, steht auch das Kohlelager in dieser Dekade für Uniper nicht mehr zur Disposition. Uniper selbst verbleibt dadurch nur noch ein kleiner Bereich an unserem Standort, der uns aus Platz- und Genehmigungsgründen die weitere industrielle Standortentwicklung erlaubt und wo Uniper demzufolge das Ziel, die Energiewende mit emissionsarmen Technologien voranzubringen, überhaupt umsetzen kann.“
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Insgesamt stehen Uniper am Standort Scholven für die Industrie- und Energienutzung 50 Hektar zur Verfügung, wovon ein Großteil bereits belegt ist, vor allem durch die Kraftwerks-Blöcke B und C, das Fernwärme-Kraftwerk, das Neukraftwerk Scholven 1 sowie die Kohlehalde. Etwa 20 Hektar davon sind ungenutzt, aber laut Sprecherin nicht mit weiteren Anlagen bebaubar, weil diese Bereiche über die Gesamtfläche verteilt oder schon verplant sind - etwa für die H2-Ready-Gas- und Dampfanlage.
Es bleibt unklar, wie lange die Kraftwerksblöcke B und C in Gelsenkirchen systemrelevant sind
Da die Höchstspannungsleitung Anfang der 2030er Jahre schon Strom liefern soll, die Scholvener Uniper-Flächen aber frühestens 2033 zur Verfügung stehen, musste das Energie-Unternehmen dem Netzbetreiber Amprion also einen Korb geben. Dieser hat sich nun auf Altendorf-Ulfkotte festgelegt und beim Kreis Recklinghausen einen Antrag auf immissionsrechtlichen Vorbescheid gestellt.
Ob Uniper seine Flächen ab 2033 wieder in Eigenregie verplanen kann, ist indes noch unsicher. „Wir wissen heute noch nicht, ob die Bundesnetzagentur die Blöcke dann weiterhin benötigt. Irgendwann nach 2033 könnten theoretisch durch den dann vielleicht möglichen Rückbau aller Blöcke inklusive der Kohlehalde ca. 30 ha wieder verfügbar gemacht werden.“
Uniper will den Standort Gelsenkirchen-Scholven mit Partnern zum Industriepark umbauen
Dass Uniper die Energiewende aktiv mitgestalten wolle, dabei bleibe es jedoch. Erst im Juni war, wie berichtet, der Startschuss für das Gas- und Dampfturbinenkraftwerk „Scholven 1“ gefallen. Die Pläne für das reine Wasserstoffkraftwerk „Scholven 2“ liegen bereits in der Schublade. Wann es realisiert wird, ist aber noch völlig unklar, so die Sprecherin.
Dennoch: Die Transformation des Scholvener Standorts zu einem (noch) größeren Industriepark mit Synergieeffekten durch Kooperationspartner, er hat längst begonnen: Mit seinem direkten Nachbarn BP arbeitet Uniper bereits zusammen, indem es die dort anfallende Abwärme für die Gewinnung von Fernwärme nutzt. Weitere Kooperationen bei der Nutzung von Nebenprodukten etwa für die Bau-Industrie seien möglich.
Diese Ruhrgebiets-Landmarke soll 2025 verschwinden
„Wir verfolgen mehrere Pläne; was davon umgesetzt werden kann, muss man sehen.“ In Hinblick auf die Systemrelevanz sei das Unternehmen eben nicht immer Herr des Verfahrens; außerdem müssten neue Anlagen auch immer auf ihre Verträglichkeit mit der Leitungsinfrastruktur im Boden des Kraftwerksgeländes hin untersucht werden.
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Und: Systemrelevanz der Blöcke B und C hin oder her - es bleibt beim Kohle-Ausstieg, sogar weithin sichtbar: Wohl im zweiten Halbjahr 2025 verschwindet eine Landmarke des Ruhrgebiets: Dann soll der Kühlturm von Block F fallen, mit dessen Rückbau im April diesen Jahres begonnen wurde. 2026 soll er abgeschlossen sein.