Gelsenkirchen-Buer. Am Samstag, 28. September, endet in Gelsenkirchen-Buer eine fast 70-jährige Marktgeschichte. Dabei ist natürlich jede Menge Wehmut im Spiel.

Alles begann mit einem Fahrrad, einem Anhänger und einer Frau mit einem starken Willen. 1956 war es, als Anna-Maria Müller Blumen und Gemüse auf einen Anhänger lud, sich aufs Fahrrad setzte und den weiten Weg von Dorsten bis zum Buerschen Wochenmarkt radelte, um dort aus dem Anhänger heraus ihre Waren zu verkaufen. Damit legte sie den Grundstein für ein Familiengeschäft, das 68 Jahre lang Bestand hatte. Am Samstag ist damit aber Schluss.

Cristina Liverani-Müller steht an diesem Dienstag auf dem Buerschen Wochenmarkt vor ihrem Obst- und Gemüsestand – der Lichtjahre weit weg entfernt scheint von einem Fahrradanhänger – und schaut wehmütig drein. Am Samstag, 28. September, geht für sie ein Lebensabschnitt zu Ende. Aus gesundheitlichen Gründen müssen sie und ihr Mann Markus, der Enkel von Anna-Maria Müller, den Stand aufgeben – gerne tun die beiden das nicht. Und ihre Stammkunden, so sagt sie, werden die Müllers auch vermissen. „Viele hatten Tränen in den Augen, als wir ihnen davon erzählt haben“, sagt Cristina Liverani-Müller und wischt sich selbst verstohlen über das Auge.

Der Liebe wegen: Aus Italien geht es jedes Wochenende nach Gelsenkirchen-Buer

Auf dem Bild aus den 1970er-Jahren stehen Anna-Maria (rechts) und Paul Müller hinter ihrem Stand auf dem Wochenmarkt in Gelsenkirchen-Buer.
Auf dem Bild aus den 1970er-Jahren stehen Anna-Maria (rechts) und Paul Müller hinter ihrem Stand auf dem Wochenmarkt in Gelsenkirchen-Buer. © Privat | Markus Müller

In den vergangenen Jahrzehnten war der Stand mit der gelb-grün-gestreiften Plane eine feste Größe auf dem Buerschen Wochenmarkt, dreimal in der Woche, dienstags, donnerstags und samstags standen die Müllers hier. Denn lange blieb es nicht bei dem Fahrradanhänger aus der Anfangszeit: Der Marktstand wuchs und wuchs im Laufe der Zeit. 1988 übernahm Paul Müller gemeinsam mit seiner Frau Marianne den Stand von seiner Mutter, mitgearbeitet hatten die beiden dort schon eine ganze Weile. Und auch Markus Müller, geboren 1971, kennt den Marktstand schon von Kindesbeinen an: Ein Foto zeigt ihn als Kleinkind vor einer altmodischen Waage.

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So aufgewachsen, war es dann eigentlich keine Frage, dass Markus Müller einmal das Familiengeschäft fortführen sollte. 1991 hatte er im Italienurlaub seine spätere Frau Cristina kennengelernt. „Ich habe in der ersten Zeit noch in Italien gelebt und konnte Markus nur am Wochenende besuchen – und am Samstag war klar, dass ich auf dem Markt geholfen habe“, erinnert sich Cristina Liverani-Müller heute. „Ich konnte ja zunächst noch gar kein Deutsch, und habe erst einmal nur im Hintergrund gestanden und Bananen geschnitten.“

Cristina Liverani-Müller bringt italienisches Flair auf den Buerschen Markt

Markus Müller steht auf einem Foto aus den 1970er-Jahren hinter einem Stand auf dem Wochenmarkt in Gelsenkirchen-Buer.
Schon früh dabei: Markus Müller als Kind am Marktstand. © Privat | Markus Müller

Die Sprache lernte die gebürtige Italienerin aber sehr schnell, 1997 zog sie dann ganz nach Deutschland. 2008 übernahmen Cristina und Markus den Stand von ihren Eltern – genau gesagt Cristina Liverani-Müller, sie ist die Inhaberin, Markus Müller hat zudem noch einen anderen Job. Auch ihr Leben dreht sich um den Marktstand – wie diese Geschichte zeigt: „Am 15. Mai 1999 wurde meine Tochter Laura geboren“, erzählt Cristina Liverani-Müller, „das war ein Samstag, also Markttag. Meine Schwiegereltern standen auf dem Markt, mein Mann war bei mir im Krankenhaus. Als Laura dann zur Welt kam, hat er in der Marktschenke angerufen und darum gebeten, die frisch gebackenen Großeltern zu benachrichtigen – und das frohe Ereignis wurde natürlich am Stand gefeiert.“

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Längst stammte das Obst und Gemüse nicht mehr wie noch in den 1950er-Jahren aus dem heimischen Garten, sondern vom Großmarkt. Cristina Liverani-Müller brachte im Laufe der Jahre auch ein wenig Italien auf den Buerschen Wochenmarkt: Wer Zwiebeln aus Tropea oder Amalfi-Zitronen sucht, der ist bei ihr richtig. Aus letzteren wird bekanntlich der berühmte italienische Zitronenlikör Limoncello gemacht: „Den gab es am Stand immer zu Heiligabend“, erinnert sich die Marktfrau.

So sehen die Nachfolgepläne für den Stand aus

Am Samstag stehen die Müllers zum letzten Mal auf dem Wochenmarkt, auch Marianne und Paul Müller kommen dann natürlich. „Das wird noch einmal schwer – vor allem wegen der vielen Stammkunden, zu denen wir im Laufe der vielen Jahre ein fast familiäres Verhältnis aufgebaut haben, aber auch wegen unseres Teams hinter dem Stand“, sagt Cristina Liverani-Müller. Eine Übergabe an die nächste Generation ist nicht angedacht: Ihre beiden Töchter sind beruflich anderweitig unterwegs.

Den Obst- und Gemüsestand soll es aber weiter geben: Mit Dennis und Sven Längert haben sich zwei Interessenten gefunden, die den Stand aller Voraussicht nach weiter betreiben. Die beiden Essener, die sich „Obstbrüder“ nennen, sind bislang auf Essener Wochenmärkten und im Internet aktiv, bringen also Markterfahrung mit. Wenn alle läuft wie geplant, werden sie die Müllers in Buer beerben.