Gelsenkirchen. Auf Gelsenkirchens Straßen ist es einsam: Heinzi und Bördi kennen das Leben ohne Wohnung. Es ist ein harter Alltag – auch mit stolzen Momenten.
Börti heißt eigentlich Björn, doch hier in Gelsenkirchen, da nennen ihn alle nur Bördi. „Dass ich auf der Straße lebe, sieht man mir hoffentlich nicht an“, sagt er, während er an sich herunterschaut, fast schon entschuldigend, aber es ist ihm halt wichtig. Seine Wohnung, wie er es nennt, zieht er in einem abgegriffenen Einkaufstrolley hinter sich her. Später wird er uns noch zeigen, was alles darin steckt, aber erstmal erzählt Bördi. Von seinem Leben auf der Straße, von dieser Parallelwelt, im Süden der Stadt.
Obdachlosigkeit: Bördi lebt polytoxisch – und einsam auf Gelsenkirchens Straßen
Drei Jahre, sagt er, lebe er schon ohne ein festes Dach über dem Kopf. Stress mit Frauen habe er gehabt, mit seinem Elternhaus sei es auch nicht so einfach gewesen. Es gab eine Zeit in seinem Leben, da habe er sein Fachabi gemacht, wollte eine Ausbildung starten. Heute lebt er polytoxisch. Heißt: Er konsumiert mehrere Arten von Drogen, Alkohol und die ganz harten Substanzen. Auch eine Entgiftung hat der 41-Jährige schon hinter sich. Und hat sich doch wieder in diesem alten Teufelskreis verfangen.
„Auf der Straße ist schon einsam“, sagt Bördi und zuckt mit den Schultern. Gerade erst war er im „Löffel“, heute gab‘s Braten, mit Kartoffeln, Möhren und brauner Sauce. „Das war richtig gut, richtig lecker“, erzählt der 41-Jährige. Im Wilhelm Sternemann Haus, so heißt der Löffel ja eigentlich, konnte er sich wieder einmal für einen Euro satt essen. Es ist eine wichtige Station seines Tages, ein Termin, der Struktur gibt, wo sonst keine ist.
„Auf der Straße fragt man nicht nach Geld“
Nach dem Mittagessen wird Bördi schnell zurück an seinen Platz gehen, der sich unweit vom Löffel ganz in der Nähe befindet. Hier verbringt er die meiste Zeit seines Tages, und die Nachbarn drumherum, die kennen ihn gut. Vor dem Eingang eines Discounters in der City, genau zwischen zwei Graffitis, da ist er, sein Platz: Bördi sitzt nicht zu nah am und nicht zu weit weg vom Geschehen, hofft auf ein bisschen Geld, vielleicht etwas zu essen oder zu trinken, hier kommen schließlich viele Menschen vorbei. Vor sich hat er einen kleinen Plastikbecher gestellt. „Auf der Straße fragt man nicht nach Geld“, wird Bördi grundsätzlich.
Ortswechsel: Heinzi hat es sich auf seinem Rollator bequem gemacht. Wenn er von der Chemo kommt, dann legt er immer gerne einen Stopp auf dem Margarethe-Zingler-Platz ein. Besucht die alten Freundinnen und Freunde. Ein paar sind an diesem Morgen gekommen, viele von ihnen sind sichtbar angeschlagen. Das Leben im Rausch richtet sich nicht nach Tageszeiten. Einfach „high und glücklich sein“, wie Heinzi es nennt. Doch der 55-Jährige selbst hat nach eigenen Angaben aufgehört mit den Drogen, als sein Sohn geboren wurde. Das war vor mehr als zehn Jahren. Da habe er sich gesagt: „Jetzt ist Schluss.“
Fast 30 Jahre abhängig von Heroin: „Mir hat der Knast das Leben gerettet“
Und noch etwas war für den 55-Jährigen entscheidend: „Mir hat der Knast das Leben gerettet.“ Der Rotthauser saß mehrmals, „Beschaffungskriminalität“ erklärt er mit einem Wort die Gründe für seine Aufenthalte im Gefängnis. Heinzi ist 16 Jahre alt, als er zum ersten Mal Heroin konsumiert. Er sei damals „zu leicht drangekommen“, an den Stoff, der alles für ihn veränderte.
Warum er immer wieder, wenn auch nur zu Besuch, zur Szene zurückkehrt? „Um zu gucken, wer noch da ist“, wer den Kampf gegen das eigene Leben noch nicht verloren hat. Viele vorbeilaufende Menschen machen einen Bogen um die Gruppe, die sich am Rande des Platzes eingerichtet hat. Bloß nicht hinschauen, lieber ignorieren, schnell weitergehen. „Für viele sind wir meistens leider der Bodensatz der Gesellschaft“, ist Heinzis Erfahrung aus all den Jahren.
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Für Bördi beginnt der Nachmittag vor dem Discounter. Heute Nacht wird er, wie immer, in einer Tiefgarage schlafen. Schon ganz gut sei es dort, im Winter warm, im Sommer kühl. Und um halb neun gehen die Tore runter, dann kommt niemand mehr hinein. „Dann habe ich schön meine Ruhe“, sagt Börti. Und Sicherheit. Wenn der Morgen kommt, dann verlässt er seine Schlafstatt – „man sieht nie, dass ich da war“, stets nehme er alles wieder mit, hinterlasse keinen Müll, darauf ist Bördi stolz.
Viel an Hab und Gut hat er nicht: Ganz oben in seinem Trolley liegen einige leere Dosen und Flaschen in einer Plastiktüte. Darunter ein T-Shirt, ordentlich zusammengefaltet und ein paar wenige Klamotten. Eine Decke und ganz unten der Schlafsack, als Kissen benutzt er seine Kleidung. „Ich habe mein Bett immer dabei“, erklärt Bördi. Und was ist mit einem Handy? Bördi winkt ab. „Wen soll ich anrufen?“, außerdem sei da auch niemand, der ihn anrufen wolle. „Mir ist wichtiger, dass ich etwas zu essen habe.“