Gelsenkirchen. Es könnte bis 2076 dauern: Gelsenkirchen beginnt bald damit, Schäden aus Corona-Zeit und Energiekrise abzustottern. Ist das alternativlos?

Während „Maskenpflicht“, „Inzidenzwert“ oder „Omikron-Subtyp“ mittlerweile wie Begriffe aus einer anderen Zeit wirken, ächzen die Gelsenkirchener Stadtfinanzen noch immer unter der Corona-Pandemie. Und das werden sie voraussichtlich nach auch noch sehr lange tun: Kämmerer Luidger Wolterhoff machte bei der Einbringung des neuen Haushaltsplans im Gelsenkirchener Stadtrat deutlich, dass die Verwaltung voraussichtlich 2026 mit der sogenannten „Rückführung bilanzierter Haushaltsschäden“ beginnen wird.

Wolterhoff nannte die Rückführung dieser Schäden, die übrigens nicht nur die finanziellen Einbußen durch die Pandemie, sondern auch durch die Energiekrise zu Beginn des Ukraine-Krieges betreffen, ein „Thema, das schon seit einiger Zeit wie ein Damoklesschwert über uns schwebt.“ Festgestellt wurden in den Jahren 20211 und 2023 Schäden in Höhe von insgesamt 46 Millionen Euro – von höheren Ausgaben fürs Gesundheits- und Sozialwesen bis zu fehlenden Einnahmen, etwa für den Besuch von städtischen Kultureinrichtungen oder bei der Gewerbesteuer, die durch die vielen Ladenschließungen geringer ausgefallen war.

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Damit die Kommunen zur Corona-Zeit und zur Energiekrise trotz der heftigen finanziellen Lücken einen genehmigungsfähigen Haushalt vorlegen konnten, hatte das Land NRW ihnen gestattet, die Schäden zu isolieren, also gesondert im Haushalt darzustellen. „So schön dieses ,Vor-die-Klammer-Ziehen‘ in der Planung auch wahr: Uns allen war bewusst, dass uns dieser ,bilanztechnische Trick‘ wieder einholen und für zukünftige Haushalte einschränken wird“, sagte Luidger Wolterhoff jüngst in seiner Haushaltsrede.

Oberbürgermeisterin Karin Welge: „Die strukturelle Unwucht meldet sich zurück“

Auch Oberbürgermeisterin Welge widmete den krisenbedingten Finanzlöchern eine eigene Passage in ihrer jüngsten Haushaltsrede. „In den zurückliegenden Jahren wurde die finanzielle Klemme zwar durch Sondereffekte gemildert, aber nicht behoben – und jetzt meldet sich die strukturelle Unwucht zurück“, sagte sie. In der Pandemie habe man die besonderen Belastungen zwar isolieren können. „Die Lasten müssen dennoch abgetragen werden, nun eben langfristig.“

Gelsenkirchens Kämmerer Luidger Wolterhoff: Corona-Schäden als „Damoklesschwert“.
Gelsenkirchens Kämmerer Luidger Wolterhoff: Corona-Schäden als „Damoklesschwert“. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Konkret heißt das: Die Abschreibung der Corona- und Ukraine-Schäden beginnen im Jahr 2026. Für dann hat die Stadt eine jährliche Zusatzbelastung in Höhe von 0,9 Millionen Euro im Haushalt vorgesehen. Dieser Betrag soll über einen Zeitraum von 50 Jahren (!) jährlich eingeplant werden. Die Stadt wird aller Voraussicht nach also noch bis zum Jahr 2076 finanzielle Folgen der Corona-Pandemie und der Energiekrise spüren. Sie kann die jährliche Abschreibung zwar auch erhöhen oder Einmalzahlungen leisten, um den Zeitraum zu verringern, aber bleibt es bei den 0,9 Millionen Euro, dann kann es tatsächlich so lange dauern.

Gelsenkirchens Kämmerer Luidger Wolterhoff: „Belastung der künftigen Generationen“

Ein anderer Weg wäre es, die krisenbedingten Mindererträge gegen das städtische Eigenkapital zu buchen. Das Eigenkapital allerdings benötigt die Stadt, um ihren Haushalt überhaupt genehmigt zu bekommen. Einen rechtlich ausgeglichenen Haushalt kann die Stadt für die nächsten Jahre nur deshalb vorlegen, indem sie auf Polster zurückgreift, die sie sich in den vergangenen Jahren aufgebaut hat. Das ist die sogenannte „Ausgleichsrücklage“.

2023 lag diese Ausgleichsrücklage noch bei 148,2 Millionen Euro. Bis 2028 rechnet die Stadt damit, dass diese auf 31,4 Millionen Euro geschrumpft sein wird. Da ist wenig Spielraum, um auch noch die Schäden aus der Corona-Zeit und Energiekrise zu bezahlen. Luidger Wolterhoff macht kein Geheimnis daraus, dass er es gerne anders hätte. Bereits in seiner Haushaltsrede 2022 bezeichnete er die Isolierung der Coronaschäden als „Belastung der künftigen Generationen.“