Gelsenkirchen. In Gelsenkirchen startete ein Experiment, um mehr geeignete Bewerber für den Polizeidienst zu finden. Die erste Bilanz kann sich sehen lassen.
Der Modellversuch wurde aus der Not geboren. Weil es zu wenige geeignete Bewerber für den Polizeidienst gab, richtete das Land NRW 2022 Vorbereitungsklassen für das Studium an Polizeihochschulen ein. Gelsenkirchen bewarb sich mit dem Berufskolleg Königstraße als Teilnehmer - damals auch noch in der Hoffnung, hier die neue Polizeihochschule ansiedeln zu können. Den Zuschlag für die Hochschule bekam bekanntlich Herne, die Vorbereitungsklasse jedoch konnte Gelsenkirchen sich sichern. Die erste Klasse hat jetzt ihren Abschluss gemacht: Mit einer hohen Erfolgsquote.
Für afghanischen Flüchtling wird ein Traum wahr
27 der 31 Schülerinnen und Schüler haben es in Gelsenkirchen geschafft, können jetzt ihr duales Studium an der Polizeihochschule beginnen. Den Ausbildungsplatz haben sie sicher, gut vorbereitet fühlen sie sich auch. Ramin, Lea und Aykan sind drei von Ihnen. Ramin Majidi kam 2015 allein als 14-Jähriger nach Deutschland, lebte lange in einem SOS-Kinderdorf in Düsseldorf. Mit den Eltern war er aus Afghanistan in den Iran geflüchtet. Die Eltern leben heute noch im Iran, er flüchtete zunächst zu Fuß in die Türkei und von da kämpfte er sich nach Deutschland durch.
Zur Polizei wollte Ramin schon als Kind, ebenso wie seine Mitschüler Lea Stuhrmann und Aykin Akarsu. Doch ihr mittlerer Abschluss der Realschule genügte dafür nicht, Fachhochschulreife ist Bedingung für das Studium. Die erforderliche körperliche Fitness inklusive Sportabzeichen mindestens in Bronze und Schwimmabzeichen in Gold oder Rettungsschwimmer war für die drei kein Problem. Die körperliche Fitness wird bei Polizisten übrigens ohnehin ein Berufsleben lang auf die Probe gestellt: Mehr als fünf Kilo wiegt die normale Uniform plus Ausrüstung, bei Spezialeinsätzen kommen noch deutlich schwerere Materialien dazu.
Überzeugendes Konzept mit frühem Praxistest
Lea und Aykan planten eigentlich, ihr Abitur nachzuholen, bevor sie von den Möglichkeiten des Modellversuchs erfuhren. Aber Fachhochschulreife inklusive Praxiserfahrungen unterschiedlichster Art binnen zwei Jahren: Das Konzept überzeugte sie schnell. Aykan lebte schon damals in Gelsenkirchen, Lea stammt zwar aus Oberhausen, nahm die Anreise aber gern in Kauf. „Die Möglichkeit, schon praktische Erfahrungen zu machen, testen zu können, ob der Beruf wirklich das Richtige ist, ist perfekt“, schwärmt sie. Aykan schätzt die frühen Einblicke ins Berufsleben ebenfalls besonders. Er weiß auch schon, wo er gern im Polizeidienst arbeiten würde: „Beim SEK. Oder zur Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit. Das ist sowas wie SEK light“, erklärt er. Dass die körperlichen und auch psychischen und charakterlichen Anforderungen dabei besonders hoch sind, ist ihm bewusst.
Aykan ist nicht großspurig, eher zurückhaltend. Im Praktikum hat man ihm sogar geraten, lauter zu sprechen. Der noch 17-Jährige hat als Wunsch-Praktikumsort Gelsenkirchen angegeben. Er lebt zwar in Buer, möchte aber im Süden arbeiten. „Hier gibt es viele Menschen mit türkischem Hintergrund, den ich ja auch habe. Da kann mein Hintergrund sicher hilfreich sein“, erklärt er. Lea (18) ist in Sachen Arbeitsbereich zwar „noch völlig offen“, auch wenn sie die Kripo und den Verkehrsüberwachungsdienst besonders spannend fand. Auf jeden Fall aber würde sie gern im Dienst auch mit dem Motorrad unterwegs sein.
Wie es beim Erfolgsmodell weitergeht
In der 31-köpfigen ersten Modellklasse in Gelsenkirchen lernten rund ein Drittel junge Frauen und ein Drittel junger Erwachsener mit verschiedenem Migrationshintergrund. Ein Schüler wechselte schon im ersten Jahr in den Verwaltungsbereich, drei weitere Teilnehmer schafften die Prüfungszulassung nicht. Grundsätzlich bekommt jeder, der den Abschluss schafft, ein Studien- und Ausbildungsplatz für den Polizeidienst. Mit der Erfolgsquote liegt die Gelsenkirchener Klasse - eine von 15 in NRW - über der Bochumer, wie der Abteilungsleiter der Vollzeit-Berufsausbildung am Berufskolleg, Peter Schröder, stolz berichtet.
Im neuen Schuljahr wird die Modellklasse 29 Interessierte auf den Polizeidienst vorbereiten. Die Hürde des Dualen Polizeistudiums ist allerdings auch hoch: 33 Prozent erreichten zuletzt an der Gelsenkirchener Hochschulabteilung nicht den Abschluss, im Landesschnitt betrifft das alljährlich rund 20 Prozent. Die Nachfrage für nach Plätzen in der Vorbereitungsklasse jedenfalls ist ungebrochen hoch. Auch dafür wird längst nicht jeder mit dem Mittleren Abschluss genommen. Alle müssen zuvor ein umfangreiches Auswahlverfahren durchlaufen.
Auch Ramin sieht seinen Beruf als Berufung: „Ich möchte den Menschen hier zeigen, dass nicht alle afghanischen Flüchtlinge Attentäter sind. Ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben, das ist mir wichtig. Die Menschen hier waren sehr gut zu mir. In der Schule, im Kinderdorf und auch generell in Gelsenkirchen“, schildert er.
Als er aus der Düsseldorfer Wohngruppe des Kinderdorfes nach Gelsenkirchen übersiedeln musste, ohne ein einziges Möbelstück zu besitzen, ohne jemanden zu kennen und ohne Ersparnisse oder Eltern, die unterstützen können, da spendeten ihm viele Leserinnen und Leser nach einem Appell in dieser Zeitung Lebensnotwendiges wie Kühlschrank, Bett und mehr. Ramin möchte zwar später in Düsseldorf arbeiten, weil er dort aus den ersten Jahren in Deutschland Freunde hat. Aber zunächst wird er wohl in Gelsenkirchen bleiben, sucht gerade eine etwas größere Wohnung.
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Mit seinem Abschluss und dem Ausbildungsplatz im Dualen Studium hat der heute 23-Jährige auch die Niederlassungsgenehmigung für Deutschland bekommen. Das bedeutet: Er muss nicht mehr zittern, dass seine Aufenthaltsgenehmigung abläuft. Sein nächstes Ziel neben dem Studium: deutscher Staatsbürger werden.