Gelsenkirchen. Bei einer „Reerdigung“ werden Leichen überirdisch ‚kompostiert‘. In NRW ist das Verfahren verboten, zum Ärger einer Gelsenkirchenerin.

Der Tod ist für viele Menschen ein Tabuthema. Und doch trifft er irgendwann jeden. Wie man beerdigt werden darf, ist in Deutschland klar geregelt. Neben der Möglichkeit einer Erd- oder Feuerbestattung bekommt eine dritte Methode seit Kurzem viel Aufmerksamkeit: die „Reerdigung“. Diese ist aktuell in NRW nicht erlaubt, sondern nur in Schleswig-Holstein. Eine Gelsenkirchenerin kämpft für die Einführung. Denn sie möchte später „reerdigt“ werden. Es gibt jedoch auch kritische Stimmen.

Die Idee stammt vom Berliner Pablo Metz, inspiriert durch seine Großmutter, die weder verbrannt werden noch „langsam in der Erde verwesen wollte“. Mit „Meine Erde“ gründete Metz ein Start-up und entwickelte eine neue Bestattungsmethode. Seit 2022 bieten er und sein Geschäftspartner Max Hüsch in einem Pilotprojekt die „Reerdigung“ an.

Neue Bestattungsform: Im „Kokon“ sollen Menschen in 40 Tagen zu Erde werden

Bei der Bestattungsmethode werden Verstorbene - in einem abgeschlossenen „Kokon“ - auf ein pflanzliches Substrat aus Heu, Stroh und Schnittgut gebettet. Natürliche Mikroorganismen sollen den Körper innerhalb von 40 Tagen in Humuserde transformieren– das Unternehmen nennt das „neue Erde“. Wie bei der Einäscherung bleiben Knochen übrig, die anschließend gemahlen und der Erde zugefügt werden. „Ein 80 Kilogramm schwerer Mensch erzeugt etwa 110 Kilogramm Erde“, sagt Metz.

Nach einer zweijährigen Pilotphase hat das Ministerium für Justiz und Gesundheit die Fortsetzung der Erprobung dieser Bestattungsform in Schleswig-Holstein für die nächsten Jahre genehmigt. Vorausgegangen war im Januar 2024 eine Änderung des Bestattungsgesetzes, die die Erprobung neuer Bestattungsarten gesetzlich regelt. Das Projekt wird wissenschaftlich von der Universität Leipzig begleitet.

So sieht einer der sieben „Kokons“ aus, die in „Alvarien“ stehen und in denen Leichen in 40 Tagen zu Erde werden sollen.
So sieht einer der sieben „Kokons“ aus, die in „Alvarien“ stehen und in denen Leichen in 40 Tagen zu Erde werden sollen. © WAZ | MEINE ERDE

Derzeit gibt es erst sieben „Kokons“, untergebracht in „Alvarium“ genannten Gebäuden, in Kiel und Mölln. Die dort entstandene Erde darf dann auf Friedhöfen in Schleswig-Holstein, in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern beigesetzt werden. „Wir sind aber nur ein Glied in der Kette. Die Beisetzung und alles andere übernimmt ein Bestatter“, sagt Metz. Die Kosten belaufen sich auf 2900 Euro, zuzüglich der Kosten für den Bestatter oder die Trauerfeier.

Pablo Metz betont den ökologischen Faktor. „Bei der Verbrennung wird viel Gas verbraucht. Die Reerdigung verzichtet auf fossile Brennstoffe und findet rein ökologisch statt“, sagt er. Man greife also den Prozess der Natur auf. „Was bei einer Erdbestattung etwa 30 Jahre dauert, geht bei uns in 40 Tagen.“ Bisher seien 16 Menschen durch das Verfahren „reerdigt“ worden.

Die Erde, die nach 40 Tagen entsteht, wird in ein Tuch eingewickelt und so zum Friedhof gebracht. „Viele haben bei der Erde weniger Hemmungen, sie anzufassen, als bei einem toten Körper“, sagt Pablo Metz.
Die Erde, die nach 40 Tagen entsteht, wird in ein Tuch eingewickelt und so zum Friedhof gebracht. „Viele haben bei der Erde weniger Hemmungen, sie anzufassen, als bei einem toten Körper“, sagt Pablo Metz. © WAZ | MEINE ERDE

Gelsenkirchenerin: „Lieber lasse ich mich in Norddeutschland reerdigen, als hier eine Erd- oder Feuerbestattung zu wählen“

Jasmin Lux (56) aus Gelsenkirchen hofft, dass die alternative Bestattungsform „Reerdigung“ auch in NRW bald möglich wird. Sie hat bereits einen Vorsorgevertrag dafür abgeschlossen. Nach dem Tod ihrer 97-jährigen Großmutter wurde ihr die Bedeutung rechtzeitiger Vorsorge bewusst: „Die Beerdigung meiner Oma war sehr belastend, da sie nicht vorgesorgt hatte und ihre Wünsche nicht berücksichtigt wurden“, sagt sie.

Sie hofft, dass das neue Verfahren bis zu ihrem Ableben auch in Gelsenkirchen erlaubt sein wird. Andernfalls würde sie sich lieber in Norddeutschland, wo diese Methode zugelassen ist, „reerdigen“ lassen, als in Gelsenkirchen beigesetzt zu werden. Mit ihrem Anliegen hat sie sich an die Stadt Gelsenkirchen gewandt – die verweist auf das Land NRW.

Was die Landesregierung und der Bestatterverband NRW zu der neuen Bestattungsform sagen

In einem aktuellen Bericht des Ministeriums NRW für Arbeit, Gesundheit und Soziales heißt es: „Die Landesregierung sieht keinen Bedarf in der Bevölkerung für die Zulassung neuer Bestattungsformen. Eine Überarbeitung und Änderung des Bestattungsgesetzes (BestG) NRW hält die Landesregierung derzeit nicht für notwendig.“ Im Herbst soll es eine Expertensitzung geben, um das aktuelle Bestattungsgesetz zu evaluieren, das 2014 beschlossen wurde.

Der Bestatterverband NRW sieht das „Produkt“ eher kritisch. „In 40 Tagen ist es nicht möglich, dass sich ein Körper komplett zu ‚Kompost‘ umwandelt“, sagt Christian Jäger, Geschäftsführer des Verbandes. Zwar verweist auch der Gründer von „Meine Erde“ darauf, dass die Knochen „verfeinert“ und der Erde beigemischt werden. Jäger spricht von einem „Schreddern“ der Knochen und betont die „menschliche Belastung“ durch diesen Vorgang. Auch eine Keimbelastung durch das Endprodukt sei nicht ausgeschlossen. 

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„Das Produkt, das als naturnah angeboten wird, ist im Endeffekt ein technischer Vorgang“, sagt Jäger. „Der Körper wird erhitzt, entwässert und der Leichnam täglich gedreht.“ Wie infektiös die „Erde“ danach noch sei, ist durch den Anbieter nicht einwandfrei nachgewiesen, denn man wisse nicht, über welchen Zeitraum der 40 Tage eine Temperatur von 70 Grad im „Kokon“ erreicht wird. Den Vorteil dieses Produkts gegenüber einer Sargbestattung sieht Jäger nicht. Denn auch für eine „Reerdigung“ brauche man einen Bestatter und eine Grabstelle. Zusätzlich gebe es den Energieverbrauch über die 40 Tage sowie das entstehende Abwasser, das in die Kanalisation fließe. 

„Wir stehen neuen Ideen offen gegenüber“, sagt Christian Jäger. Derzeit gebe es jedoch zu viele ungeklärte Fragen, die von dem Unternehmen nicht beantwortet werden konnten.