Gelsenkirchen. Aus groß wird klein: Auf der Deponie Emscherbruch beginnt die Verpressung von gefährlichem Abfall. Ziel: Platz sparen und dabei Geld verdienen.

Aus groß wird klein: Anfang Juli startet die Abfallentsorgungs-Gesellschaft Ruhrgebiet (AGR) mit dem Verpressen und Lagern von speziellem Abfall auf der umstrittenen Zentraldeponie Emscherbruch (ZDE) an der Stadtgrenze von Gelsenkirchen und Herne. Die zuständige Bezirksregierung Münster hat dem Antrag des Tochterbetriebs des Regionalverbandes Ruhr (RVR) stattgegeben.

Zentraldeponie: Keine Asbest-Annahme – andere Mineralfasern können krebserregenden Stoff enthalten

Was soll passieren? Künstliche Mineralfasern (KMF) wie Glas-, Mineral- und Steinwolle sollen mit einer mobilen Anlage montags bis freitags von sieben bis 17 Uhr in platzsparende Pakete klein gepresst und anschließend als Abfall der Stufe DK III (gefährliche Abfälle) deponiert werden. Diese Fasern sind in Dämmstoffen enthalten und fallen bei Bau- und Sanierungsarbeiten sowie beim Abriss von Gebäuden an. Aus Kapazitätsgründen – die Wolle nimmt ungepresst viel Volumen, also Raum, ein – wurden solche Faserstoffe auf der Deponie seit einigen Jahren nicht mehr deponiert. Das ändert sich nun.

Laut der Genehmigung von Münster werden nur Abfälle mit den Schlüsselnummern  „17 06 03*“ und „17 06 04“ angenommen. Nach Angaben von AGR-Sprecher Markus Jablonski ist die Annahme von „Asbest ausgeschlossen“ – auch dieser Stoff fällt unter den Oberbegriff künstliche Mineralfasern. Asbest gilt als krebserregend, seine Verwendung ist seit 2005 EU-weit verboten. Aber: Ältere Dämmmaterialien (hergestellt bis etwa 2000) wie Glas- und Steinwolle-Produkte sind nach Angaben des Umweltamtes durch Asbest belastet und gelten daher ebenfalls als krebserzeugend. Die Verwendung von Glaswolle ist seit dem 1. Juni 2000 verboten.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) geht davon aus, dass „in Gelsenkirchen krebserregende Fasern eingelagert werden“. Künstliche Mineralfasern, die in der Vergangenheit als Wärmedämmung oder technische Isolierung verwendet wurden, werden mit dem Abfallschlüssel 17 06 03* gekennzeichnet, weil dieser ältere Abfall mit hoher Wahrscheinlichkeit das Gefahrenmerkmal karzinogen (HP 7) aufweise – also krebserregend. Weitere gefährliche Abfälle nach 17 06 03* neben KMF-Dämmstoffen können sein: „Schlackenwolle, Dämmstoffe mit gefährlichen Anhaftungen wie beispielsweise teerhaltigen Klebern und Isolierschäume, die unter Umständen mit FCKW belastet sind.“

KMF-Abfälle, die bei der Verarbeitung von Neuprodukten anfallen, wie z. B. Verschnitte und Reste von Neuprodukten oder Produktionsausschüsse, werden laut DUH als nicht gefährlich eingestuft und mit dem Abfallschlüssel 17 06 04 gekennzeichnet. „Der Abfall weist dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine gefahren-relevanten Eigenschaften auf.“

Wie weit das angelieferte Dämmmaterial belastet ist mit Asbest, das wird laut Bezirksregierung Münster als Aufsichtsbehörde zum einen durch die notwendige Vorlage eines „gültigen Entsorgungsnachweises durch die Anlieferer“ geprüft. Angeliefert werden müssen die KMF-Abfälle in „dicht verschlossenen Big-Bags“ - das sind sehr dicke Säcke. Ansonsten werde die Annahme verweigert.

Und weiter: Bei der Annahme werden die Big Bags Münster zufolge nicht geöffnet. Kontrolliert wird lediglich „die vom Abfallerzeuger vorzulegende Erklärung, dass der angelieferte Abfall dem grundlegend charakterisierten KMF-Abfall entspricht und eine Überschreitung der Zuordnungskriterien der Deponieklasse III nicht zu erwarten ist.“

Versuchszeitraum auf drei Jahre begrenzt: Nur so lässt sich angeblich die Wirtschaftlichkeit feststellen

Im Dezember 2019 haben bereits Verdichtungsversuche auf der Deponie in Gelsenkirchen stattgefunden. Dazu wurde ein tonnenschweres Gewicht von einem Kran aus auf den Untergrund fallen gelassen.
Im Dezember 2019 haben bereits Verdichtungsversuche auf der Deponie in Gelsenkirchen stattgefunden. Dazu wurde ein tonnenschweres Gewicht von einem Kran aus auf den Untergrund fallen gelassen. © Lars-Oliver Christoph

Die erteilte Genehmigung gilt laut Unterlagen für einen Zeitraum „von höchstens drei Jahren“. Dem AGR-Sprecher zufolge „ist dieser Zeitraum notwendig, um herauszufinden, ob diese Art der Müllentsorgung sich wirtschaftlich trägt“. Eine kürzere Betrachtungszeit komme nicht infrage. Auch anhand der Entsorgungsmengen von künstlichen Mineralfasern aus den vergangenen Jahren ist dem Sprecher zufolge unmöglich vorherzusagen, ob die Verpressung für die AGR am Ende Gewinn abwirft. „Je nach Konjunktur können Rückbau und Neubau schwanken und damit die Liefermengen“, so die Erklärung. Die Deponie ist über 50 Jahre alt.

Ausführende Firma ab Juli ist die „Europress Umwelttechnik GmbH“ mit Sitz in Lathen. Bei ihrer mobilen Anlage handelt es sich nach eigenen Angaben um eine Zwei-Wege-Presse. Mit ihr „wird dieser Abfall etwa viermal stärker verdichtet“ als bislang üblich „durch Auflast und späteres Überfahren“.

Pressverfahren in Gelsenkirchen: Aus Säcken mit Dämmmaterial werden folierte Quader

Das Press-Verfahren lässt sich vereinfacht so beschreiben: Die in Säcken angelieferten Mineralfasern werden zu „quaderförmigen Ballen“ zusammengedrückt und mit Folie umwickelt - „ähnlich einem folierten Strohballen, wie er aus der Landwirtschaft bekannt ist“. Die Ballen werden anschließend von einem Radlader und Greifzange hohlraumarm in die Deponie eingebaut. Das Ganze geschieht unter Unterdruck, damit so gut wie keine Fasern in die Umwelt gelangen. Europress gibt den Abscheidegrad der Anlage mit Filtersystemen mit mehr als 99,995 Prozent an. Rund um die Deponie gibt es mehrere Siedlungen auf Herner und Gelsenkirchener Seite.

Zuletzt hatte das Oberverwaltungsgericht Münster die Anwohnerklage gegen die Erweiterung der umstrittenen Lagerstätte abgewiesen. Die AGR will am Standort Emscherbruch rund 4,6 Millionen Kubikmeter bzw. 5,9 Millionen Tonnen zusätzliche Deponiekapazität der Klassen I, II und III schaffen. Hierzu wurde die ZDE im Nordbereich erweitert, sie soll dazu in anderen Teilbereichen erhöht werden. Die Deponie-Laufzeit verlängert sich damit um insgesamt zehn Jahre. Das Vorhaben wurde von der Bezirksregierung Münster im September 2021 genehmigt. 

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