Gelsenkirchen. Adelynn (19) spricht auf dem CSD in Gelsenkirchen, hält ihre wahre Identität zu Hause aber verdeckt. Über ein schwieriges Doppelleben.

Dass sie nicht nur auf Frauen, nicht nur auf Männer steht, dass ihr eigentlich ziemlich egal ist, welches Geschlecht ein potenzieller Partner hat, das sei für viele in ihrem Umfeld alles kein Problem gewesen, sagt Adelynn*. Die Erwartung, irgendwann einen Partner des anderen Geschlechts mit nach Hause zu bringen? „Das hat es bei mir nie gegeben.“ Auch in ihrem Freundeskreis sei das mit dem sexuellen Outing problemlos gelaufen. Da sei es völlig okay gewesen, dass sie sich schon mit 13 Jahren als bisexuell, später als pansexuell geoutet hat - das ist der Begriff für Menschen, für die das Geschlecht bei der Sexualität überhaupt keine Bedeutung hat.

Ihre „Gender-Identität“ allerdings, diese hält Adelynn bis heute vor der Familie verdeckt. „Es wäre eine Gefahr für mich, wenn ich mich da outen würde. Dann würde ich mein Zuhause verlieren, dann würde man mich herausschmeißen.“

CSD findet am 18. Mai in Gelsenkirchen-City statt

Wir treffen Adelynn im „Together“-Jugendzentrum an der Wildenbruchstraße, dem einzigen Treffpunkt für die queere Community in Gelsenkirchen. Hier laufen gerade die Vorbereitungen für den nächsten „Christopher Street Day“, den CSD in Gelsenkirchen, der am 18. Mai um 12.30 am Margarethe-Zingler-Platz mit einer Demo beginnt, die dann zu einem großen Straßenfest am Heinrich-König-Platz führen soll. Die OB trägt die Schirmherrschaft, NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) will sprechen. Und auch Adelynn will das Mikro an diesem Tag in die Hand nehmen, sich offen zeigen, öffentlich reden. Und sich zu Hause dann wieder verstecken.

Eindrücke vom „Christopher Street Day“ 2023 in Gelsenkirchen. Auch in diesem Mai geht die queere Community wieder auf die Straße.
Eindrücke vom „Christopher Street Day“ 2023 in Gelsenkirchen. Auch in diesem Mai geht die queere Community wieder auf die Straße. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

„Meine Mutter hat eine ziemlich konservative Einstellung, was Geschlechterrollen angeht“, sagt Adelynn. „Alles, was zum Beispiel zu dem Thema gendergerechte Sprache gesagt wird, verabscheut sie vollkommen.“ Also sucht die 19-Jährige das Gespräch mit ihrer Mutter erst gar nicht – um darüber zu reden, dass sie nicht mehr mit ihrem bürgerlichen Namen, dem männlichen, angesprochen werden möchte. Oder darüber, dass sie es gerne hätte, dass man auf männliche Pronomen verzichtet, wenn man mit ihr oder über sie redet. „Sich zu Hause zurückhalten zu müssen“, sagt sie, „das ist einfacher als zu kämpfen.“

Ihr Zuhause nennt Adelynn deswegen nur „den Ort, an dem ich schlafe und esse“. „Inwiefern habe ich zu Hause eine Identität?“, fragt sie. „Ich habe einen Wohnort, den ich nicht als Heimat begreifen würde.“

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Adelynn weiß, dass sie „männlich gelesen wird“. Das, was die Gesellschaft größtenteils als „feminin“ betrachtet, würden viele an ihr nicht erkennen. Seit sie 16 Jahre alt ist, sieht sie sich selbst als „transfeminin oder divers“, nicht als männlich. Das anzunehmen, sei auch für ihren Freundeskreis nicht einfach gewesen. „Das ist bei denen nicht gut angekommen, da gab es erst viel Widerstand“, sagt sie. Auch die Schule hat Adelynn als schwierige Zeit in Erinnerung. Das „Together“ entdeckte sie erst nach der Schulzeit, ihren Austausch zum Thema Gender fand sie vor allem im Netz. „Das Internet ist ein Ort voller Grausamkeiten“, sagt sie, „aber es kann auch der Heilsegen sein.“

Neues Selbstbestimmungsgesetz tritt bald in Kraft

Jetzt, wo sie an der Uni ist, ist auch die analoge Welt erträglicher. Ihre geisteswissenschaftlichen Kernfächer, „die sind ziemlich queer“, sagt sie. Unter den Mitstudierenden, den Dozierenden, da gebe es durchaus eine gewisse Offenheit bei dem Thema. „Diskriminierungserfahren habe ich hier noch keine gemacht.“

„In den Kursen gibt es ja immer eine Vorstellungsrunde“, erzählt sie. „Ich stelle mich dann als Adelynn vor und sage dem Dozenten gleichzeitig: Auf Ihrer Liste wird ein anderer Name stehen.“ Manche Dozenten würden dann die Miene verziehen, „andere kommen sofort hin und fragen nach.“ Adelynn nimmt es dann, wie es kommt. „Wenn ich nur mit meinem Nachnamen angesprochen werde, ist mir das ohnehin egal. Die Anrede ,Herr‘ finde ich unpassend, aber nicht verletzend.“

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Zum 1. November 2024 tritt das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Dann wird Adelynn die Möglichkeit bekommen, ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag durch eine einfache Erklärung beim Standesamt auch offiziell zu ändern. „Mein Name hat nichts mit mir zu tun. Ich strebe deswegen durchaus an, das zu machen“, sagt sie. Aber nicht einfach so. „Ich werde mir Hilfe suchen, das kann ein anstrengender Prozess sein.“

(* Zum Schutz der interviewten Person wurde der Name geändert. Der echte Name ist der Redaktion bekannt.)