Gelsenkirchen. Mit dem Heimatbund machten sich rund 100 Menschen auf den Weg, den Ist-Zustand, alten Glanz und neue Projekte in Ückendorf zu erkunden.

„Wer hier investiert, muss einen anner Klatsche haben. Das hier ist eine Ruine“, urteilt ein Türke, der in Köln wohnt und mit einem Gelsenkirchener Freund vor einer kleinen Trinkhalle neben der Tankstelle an der Bochumer Straße einen Kaffee schlürft. „Ich glaube, man schafft den Wandel hier. Aber für Ungeduldige ist dieser Masterplan wirklich nichts“, gibt Volker Bruckmann, Vorsitzender des Heimatbundes Gelsenkirchen, zu.

Die Bochumer Straße – sie setzt Emotionen frei, sie polarisiert. An diesem Samstagnachmittag Ende Juli ist der jährliche Sommerspaziergang des Heimatbundes über die berühmt-berüchtigte Verbindung zwischen Munscheid- und Osterfeldstraße angesagt. Eingeladen ist jeder, der sich für Ückendorf, Gelsenkirchen oder einfach für Stadtgeschichte interessiert. Und das sind tatsächlich um die 100 Personen und ein gemütlicher Labrador, dem es aber mehr um die Düfte als um den Wandel der Straße geht.

Während der obere Teil des ehemaligen Feldwegs von traumhaften alten Bäumen umrahmt ist, fehlt danach jegliches Grün. Leerstände ehemaliger Geschäfte sind das Markenzeichen. Verrammelt, verriegelt, verkommen. Ein Sofa steht auf dem Bürgersteig. Die Straße leergefegt, nur ab und zu kommen Autos vorbei und die Linie 302 fährt unbeirrt auf den Schienen Richtung Buer.

Anstrengungen sind groß

Ohne Hut, aber mit Stock, Regenschirm, Rollator und Fahrrad zuckelt der Tross auf die Gesamtschule zu. Mitten im Gemenge befindet sich Schulleiter Achim Elvert, der spannende Fakten mitteilt. 105 Lehrerinnen und Lehrer unterrichten 1200 Schülerinnen und Schüler. 90 Prozent der Jugendlichen und ein Drittel der Lehrer haben einen Migrationshintergrund. Manche von ihnen hätten sogar selbst als Schüler den Förderunterricht besucht. „Das beweist, dass man es schaffen kann“, sagt Elvert. „Warum hat die Schule weiterhin einen so schlechten Ruf“, will ein Teilnehmer wissen. Es sei ja besser geworden, sagt Elvert. Vielleicht würde sich die Berichterstattung ja mittlerweile an den Erfolgen orientieren. Die Anstrengungen seien jedenfalls groß. Man biete neben deutsch auch muttersprachlichen Unterricht in türkisch und albanisch an.

Zahlreiche Häuser aus der Gründerzeit säumen die Straße. Allerdings sind sie teilweise in einem sanierungsbedürftigen Zustand.
Zahlreiche Häuser aus der Gründerzeit säumen die Straße. Allerdings sind sie teilweise in einem sanierungsbedürftigen Zustand. © Foto: Martin Möller / Funke Fot | Foto: Martin Möller / Funke Fot

Gabriele Zuhmann, die zwölf Jahre im Gebietsbeirat saß, will wissen, warum die Küche, die für 100.000 Euro mit öffentlichen Mitteln eingerichtet wurde, jetzt für Kochunterricht nicht mehr genutzt wird. Das sei doch nicht zu fassen. Schulleiter Elvert sieht die Problematik genauso, nennt aber verzwickte Gründe. Der Koch ging in den Ruhestand, ein neuer Träger fand sich nicht. Plausibel, aber unbefriedigend.

Wegziehen? Unvorstellbar

Weiter unten in der Straße macht Nina Martinez ihre Arbeit als Sprachkoordinatorin für Flüchtlinge in einem sehr kleinen Raum. Der private „Internationale Bund“ ist Träger der Einrichtung. Drei Kriterien müssen zusammen kommen, damit es funktioniert. Geeignete Räume mit Toiletten müssen gefunden werden.

Für die Entwicklung des Viertels und den Stadtumbau steht das neue Justizzentrum: Wohnprojkete, eine neue Kita oder die Neunutzung der Parabelkirche Heilig Kreuz sollen weiter  Impulse liefern
Für die Entwicklung des Viertels und den Stadtumbau steht das neue Justizzentrum: Wohnprojkete, eine neue Kita oder die Neunutzung der Parabelkirche Heilig Kreuz sollen weiter Impulse liefern © Foto: Martin Möller / Funke Fot | Foto: Martin Möller / Funke Fot

Bürokratiehindernis: Da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Kurse finanziert, müssen die Flüchtlinge dessen Zustimmung haben. Und: Es sei schwierig, geeignetes Personal zu finden. Denn es muss eine besondere Qualifikation haben, um Alphabetisierungskurse für Syrer, Iraner, Iraker oder Bulgaren geben zu dürfen. Gerade wird renoviert. Die Einrichtung zieht in größere Räume. „Hier, auf der Bochumer Straße, ist es ein ewiges Kommen und Gehen“, stellt Volker Bruckmann fest. Widerspruch bleibt aus.

Hinterhöfe werden inspiziert. Wie die Kutschenwerkstatt, in der eine Videoprojektion einer Studentin läuft, die Anwohner der Bochumer Straße interviewt hat. Fazit: Bei aller Enttäuschung, was aus der ehemaligen Prachtstraße geworden ist, in der es alles zu kaufen gab, was man brauchte: wegziehen – für viele unvorstellbar. „Es ist doch Heimat hier.“ Skeptisch bleiben viele Teilnehmer, was die Zukunft der Straße betrifft, obwohl 50 Millionen Euro von 2015 bis 2025 in die „Ruine“ investiert werden. Dr. Gerd Busch, in Ückendorf aufgewachsen, hat bis 2010 in dritter Generation die Engel-Apotheke geführt, glaubt nicht an das Wunder. Auch Ingrid Beinhauer aus Hüllen nicht. Der Schmerz sitzt tief. „Ich bin skeptisch, aber wir sind doch Gelsenkirchener und wollen, dass unsere Stadt lebenswert bleibt.“ Die Hoffnung, sie stirbt zuletzt.