Gelsenkirchen. Produktionsrückgang, weniger Umschlag, mehr Lkw-Fahrten und steigende Kosten: Die Firmen-Logistiker im Gelsenkirchener Hafen sind durch den Streik der Beschäftigten der Wasserschifffahrtsverwaltungen als Krisenmanager gefordert. Fünf Hafenanrainer appellierten Freitag an die Tarifparteien.

Der Streik des Schleusenpersonals trifft Gelsen-Loc und 65 Hafenfirmen mit 2500 Beschäftigten empfindlich. Vertreter von Müllers Mühle, der Schwerlast-Spedition Siefert, der Schrottaufbereitung Mandel, des Raffineriebetriebs Arsol Aromatics und der Südhannoverschen Mühlenwerke schlugen Freitag Alarm. Die Probleme bei der Ver- und Entsorgung per Binnenschiff sind vor der 4. Streikwoche kaum noch zu meistern, die Transportlogistik nur schwer abzuwickeln.

Rainer Schäfer, Präsident des Bundesverbandes öffentlicher Binnenhäfen (BöB) warnt: „Was derzeit passiert, hat durchaus andere Dimensionen als die ein oder andere beteiligte Partei annimmt. Verdi und die Verhandlungsgremien des Bundes fechten den Kampf auf dem Rücken des Systems Wasserstraße aus. Das ist aus unserer Sicht nicht mehr nachvollziehbar. Das trifft die Wirtschaft empfindlich. Das halten auch die Partikuliere auf Dauer nicht durch. Wir produzieren neue Arbeitslose und Insolvenzen.“

Wie die Hafenfirmen fordert der BöB die Rückkehr an den Verhandlungstisch und ein Ende des Arbeitskampfs. Schäfer: „Wenn Planbarkeit und Verlässlichkeit nicht gegeben sind, werden sich Kunden andere Wege suchen. Das ist ökonomisch und ökologisch unsinnig.“

2000 bis 3000 Tonnen müssten per Schiff reinkommen

„Wir Müller haben jetzt Hoch-Saison. Ich brauche die Ware händeringend“, sagt Matthias Syben, Qualitätsbeauftragter der Südhannoversche Mühlenwerke.
„Wir Müller haben jetzt Hoch-Saison. Ich brauche die Ware händeringend“, sagt Matthias Syben, Qualitätsbeauftragter der Südhannoversche Mühlenwerke. © WAZ | WAZ

Matthias Syben ist Qualitätsbeauftragter der Südhannoversche Mühlenwerke im Hafen Gelsenkirchen. Eigentlich. Zur Zeit ist er Krisenmanager. „Jetzt wird geerntet. Wir mahlen 500 Tonnen am Tag in unserem Betrieb. 2000 bis 3000 Tonnen müssten per Schiff reinkommen.“ Tun sie aber nicht.

Und so hängt Syben derzeit täglich am Telefon und versucht, die Warenströme umzulenken – vom Wasser auf die Straße. Das bedeutet: Eine Schiffsladung Getreide füllt fast 150 Lkw, pro Tonne erhöht sich der Transportpreis dabei um 10 bis 15 Euro.

Der Streik des Schleusenpersonals trifft die Zufuhr und den Umschlag, bremst den ganzen Betrieb, treibt die Kosten und füllt die Straßen. Im Hafen Gelsenkirchen schlugen entsprechend Freitag die Vertreter von fünf Anrainer-Firmen mit Gelsen-Log als Betreiber des Hafens und dem BöB, dem Bundesverband öffentliche Binnenschifffahrt Alarm. Das Signal, das von der Runde ausgehen sollte, war deutlich: „Wir sind der Meinung, Verdi und das Bundesinnenministerium müssen wieder Gespräche aufnehmen. Wir fordern, dass die Blockade endlich beendet werden muss. Die Streiks dürfen nicht die logistische und wirtschaftliche Grundlage von Unternehmen, Häfen und Binnenschiffern beschädigen“, fordert Ullrich Finger, Geschäftsführer von Arsol Aromatics.

Raffineriebetrieb für Rohbenzol

Seit über 50 Jahren hat der Raffineriebetrieb seinen Sitz im Hafen und verarbeitet dort in drei Schichten an 365 Tagen im Jahr Rohbenzol und verkauft daraus erzeugte Basischemikalien weltweit für die Produktion von Kunststoffen. Von 500.000 Tonnen, die pro Jahr per Kesselwagen über die Schiene oder per Schiff zu transportieren sind, werden rund 40 % über den Rhein-Herne-Kanal abgewickelt.“ Die Menge, rechnet der Geschäftsführer, würde rund 10.000 Tankwagen füllen. Mittlerweile kommt es zu deutlichen Kapazitätseinschränkungen durch den Streik. Finger: „Die Produktion musste deshalb um 40 % zurück gefahren werden.“

Normalerweise lässt Müller’s Mühle Reis und Hülsenfrüchte als lose Ware per Schiff anliefern. Für nächste Woche hat Vertriebsleiterin Barbara Guthardt 60 Container auf dem Straßenweg geordert.
Normalerweise lässt Müller’s Mühle Reis und Hülsenfrüchte als lose Ware per Schiff anliefern. Für nächste Woche hat Vertriebsleiterin Barbara Guthardt 60 Container auf dem Straßenweg geordert. © WAZ | WAZ

Auch beim Schwerlasttransporteur Siefert steht man buchstäblich vor schwerwiegenden Problemen. Die Firma unterhält im Hafen einen 260-Tonnen-Kran und schlägt unter anderem Kabeltrossen für Bridon um. „Wir transportieren Stahlgüter und Maschinenteile, die können wir nur über das Binnenschiff abwickeln“, sagt Marc Nopens.

Bei der Schrottaufbereitung Mandel versucht man derweil, mit Überstunden und „Großaktionen am Samstag, unsere Lager leer zu kriegen“, sagt Geschäftsführer Klaus Waschkowitz. „Wir stehen vor der Herausforderung, die kurzen Zeiten der Schifffahrt so zu nutzen, dass wir unsere Verträge einhalten können.“ Beim Massengut Schrott ist der Lkw keine Alternative – und wäre dreimal so teuer. Reis und Hülsenfrüchte aus der ganzen Welt verarbeitet Müller’s Mühle – bevorzugt lassen sich die Großmüller „lose Ware per Schiff liefern.

Das ist der beste Weg“, so Vertriebsleiterin Barbara Guthardt. „Doch die nächsten 60 Container, die für Ende August anstehen, werde ich sicher nicht über den Seeweg anfahren.“ Die Folgen: mehr Straßenverkehr und schlechte Perspektiven. „Am Ende des Tages“, fürchtet BöB-Präsident Schäfer, „werden sich die Kunden andere Wege suchen. Die werden in der Regel teurer sein. Wir fürchten, dass es zu Verlagerungen kommen wird, die wir als System Wasserstraße nicht mehr auffangen können.“