Gelsenkirchen. Mietangebote für Hartz-IV-Empfänger müssen Nebenkosten in Höhe von 1,32 Euro pro Quadratmeter ausweisen: Die alleinerziehende HartzIV-Empfängerin Isabell B. fand eine Wohnung mit günstigeren Betriebskosten - und erhielt deswegen eine Absage vom Jobcenter, die Vorgaben der Stadt würden nicht erfüllt.

Die kleine zweieinhalb Zimmer-Wohnung schien perfekt zu sein für Isabell B. und ihren dreijährigen Sohn. Mit 54 Quadratmetern nicht zu groß, mit 280 Euro einschließlich Betriebskosten nicht zu teuer. „Ich bin mit dem Mietangebot jubelnd zum Amt gegangen“, sagt sie heute mit unüberhörbarem Sarkasmus als Begleitmusik. Denn: Just die günstigen Betriebskosten führten dazu, dass das Integrationscenter für Arbeit (Jobcenter) einem Umzug der alleinerziehenden Hartz-IV-Empfängerin in eigene vier Wände zwar grundsätzlich zustimmte, für diese Wohnung allerdings eine Absage erteilte.

In dem ablehnenden Schreiben des Jobcenters heißt es: „Die Vorgabe der Stadt Gelsenkirchen für angemessene Betriebskosten liegt bei 1,32 Euro pro Quadratmeter. Diese Vorgabe wird im Mietangebot (...) nicht erfüllt.“ Isabell B. war baff. Ihr wurde empfohlen, den Vermieter auf die Mindesthöhe der Betriebskosten hinzuweisen und um ein neues Mietangebot zu bitten.

„Nebenkosten unter 1,32 Euro, das ist ziemlich unrealistisch“

Verkehrte Welt, dachte die 28-Jährige. „Das soll doch wohl ein Witz sein?“ Dachten alle, wie sie sagt, denen sie davon berichtete. Dabei steht sie unter einem enormen Zeitdruck: „Ich brauche zum 1. Juli eine Wohnung, sonst sitze ich auf der Straße.“

Seit April 2011 ist sie arbeitslos. Ende Mai sei dann der SGB II-Bescheid vom Jobcenter gekommen: „229 Euro für mich und meinen Sohn. Kindergeld und Unterhalt für das Kind werden angerechnet.“ Immerhin rechnet sich die aus dem oberfränkischen Kronach stammende Frau in Gelsenkirchen bessere Chancen am Arbeitsmarkt aus. Eine passende Wohnung hat sie zwischenzeitlich auch gefunden. Eine, an der alles passte.

Zurück zu den Betriebskosten (ohne Heizkosten). Was viele nicht wissen: 1,32 pro Quadratmeter ist keine für Gelsenkirchen willkürlich festgelegte Berechnungsgrundlage, sondern das Ergebnis einer gerichtlichen Klärung der Frage, was angemessen ist. Bei der Entscheidung lag der Betriebskostenspiegel NRW zugrunde. „Nebenkosten unter 1,32 Euro, das ist ziemlich unrealistisch“, sagt Stadtsprecher Martin Schulmann. Vor der richterlichen Entscheidung hätten viele Städte – die die Kosten für Hartz IV-Mieten schultern müssen — schlechte Erfahrungen gemacht. Zu niedrige Betriebskosten zögen enorme Nachzahlungen nach sich. Ein Grund für unrealistische Nebenkosten ist laut Schulmann: Wenn Kaltmieten zu hoch sind, werden die Betriebskosten einfach passend gemacht.

In Einzelfällen wird direkt an den Vermieter überwiesen

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Mit 89 Mio. Euro sind die Kosten für Unterbringung der dickste Batzen im Stadthaushalt. Empfänger ist das Jobcenter, dass die Mieten weiterleitet. Dirk Sußmann, stellvertretender Geschäftsführer des Jobcenters: „Normalerweise zahlen wir an die Bedarfsgemeinschaften.“ In Einzelfällen würden Empfänger aber darum bitten, das Geld direkt an den Vermieter zu überweisen. Wenn Hartz IV-Bezieher nachweisbar nicht in der Lage sind, mit dem Geld zu wirtschaften und Mietschulden auftreten, wird direkt an Vermieter überwiesen.

Ein-Personen-Haushalte (bis 45 m²) dürfen bis 267,75 €, Zwei-Personen-Haushalte (bis 60 m²) bis 345 € und Drei-Personen-Haushalte (bis 75 m²) bis 431,25 € Miete kosten. Was SGB II-Singles angeht, so dürfen die nach einem aktuellen Urteil des Bundessozialgerichts in Kassel künftig auf bis zu 50 Quadratmetern wohnen. In Gelsenkirchen herrscht vorerst Gelassenheit. Stadtsprecher Martin Schulmann: „Es ziehen ja jetzt nicht alle Singles um.“ Aktuell sind knapp 54 Prozent der Bedarfsgemeinschaften in GE Single-Haushalte.

Kommentar - Erdrückende Kostenlast

Verkehrte Welt, mag man da auf den ersten Blick denken: Öffentliche Haushalte sind pleite, es wird um jeden Euro gefeilscht – und auf der anderen Seite wird das günstige Mietangebot für eine Hartz IV-Empfängerin abgelehnt, weil die Betriebskosten zu niedrig sind. Dabei ist der beschriebene Fall keiner mit der Duftmarke „passend gemacht“. Die Hartz IV-Empfängerin und der Vermieter, der nun nicht ihr Vermieter wird, haben es einfach nicht besser gewusst.

Beim Blick hinter die Kulissen wird dann durchaus deutlich, warum die Ausweisung der Nebenkosten auf mindestens 1,32 Euro reglementiert wird. Arme Städte wie Gelsenkirchen mussten in der Vergangenheit bei den Jahresendabrechnungen draufzahlen, weil offensichtlich eine ganze Reihe gewiefter Vermieter die Kaltmiete mit viel zu geringen Betriebskosten geschönt hatte.

Das Thema Hartz IV ist ein Fass ohne Boden. Beispielsweise die Größe einer Wohnung im Verhältnis zur Personenzahl, der so genannten Bedarfsgemeinschaft. Singles haben schon seit Sozialhilfezeiten einen Anspruch auf 45 Quadratmeter. Künftig sollen es auf höchstrichterlichen Beschluss bis zu 50 Quadratmeter sein. Ob das eine neue Kostenfalle für die Stadt wird, bleibt zunächst abzuwarten.

Nicht abwarten und fairen Tee trinken will Oberbürgermeister Frank Baranowski angesichts der immensen Kostenlast, die die Kommune für die Unterbringung samt aller Nebenkosten stemmen muss. Also hatte er die Bundesministerin für Arbeit und Soziales nach Gelsenkirchen eingeladen, um Arbeitsmarktprobleme und Kostenlast vor Ort zu diskutieren. Aber: Ursula von der Leyen (CDU) kommt nicht. Wozu gibt’s schließlich Ausschüsse und Gremien, in denen Arbeitsagenturen Erfahrungen und Bedürfnisse einbringen können?

Der OB ist zu Recht verärgert. Die Absage der zuständigen Ministerin mit dem lapidaren Hinweis auf vorhandene Gremien ist eine Klatsche für die Stadt, ihre Politik und für die Menschen. Wer heute verantwortlich für das Ressort Arbeits- und Sozialpolitik ist, darf die Augen vor den Auswirkungen für die Kommunen nicht verschließen.

Aber vielleicht kommt Ursula von der Leyen ja im nächsten Jahr mal kurz vorbei, um sich hier umzuschauen. Dann hofft sie nämlich auf kostenlose Gegenleistungen: Stimmen für die CDU bei der Wahl. . .