Gelsenkirchen. Rund 70.000 Menschen säumten das Flugfeld, als vor 100 Jahren am 25. Mai 1912 der Flugplatz Gelsenkirchen-Essen-Rotthausen eröffnet wurde. Die Trabrennbahn zog wenig später auf den Platz.

„280 Morgen groß; bis zu 500 Morgen erweiterungsfähig. 3 große Flugzeughallen mit den modernsten Einrichtungen. 4 Flugzeugwerke mit Fliegerschulen, Tribünen mit Restauration. Regelmäßige Veranstaltungen von Flugwochen, Schauflügen, Flugzeug- und Führerprüfungen“ – und „mit der Straßenbahnlinie 9 zu erreichen“. So warb ein Jahr nach der Gründung der Westdeutschen Fluggesellschaft der Gelsenkirchener Verkehrsverein für den lokalen Flugplatz.

In Gelsenkirchen-Essen-Rotthausen wurde der Platz Pfingsten vor 100 Jahren eröffnet. Ein Spektakel mit riesigem Zulauf: Am 25. Mai 1912 säumten „rund 70.000 Menschen den Flugplatz und die umliegenden Feldwege und Zechenhalden“, schrieb Norbert Dillmann in den 1950er Jahren über den Starttag. Ein seinerzeit berühmter Pikot kam gar aus der Stadt: Josef Schlatter. Der Flugpionier eröffnete auch gleich eine Fliegerschule in Rotthausen.

Das Flugfeld ist längst Geschichte. Der Ort des Geschehens hat aber seine herausragende Stellung in der Stadt behalten. Am 29. September 1912 fand im Nienhauser Busch das erste Trabrennen statt. 35.000 Mark wurden umgesetzt. Der erste Sieger am Premierentag hörte auf den schönen Namen „Intimus“. Das Pferd lief sozusagen neben den Fluggeräten ein.

Traber und Piloten lieferten sich für einige Jahre ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Publikumsgunst. Das Ergebnis ist heute offensichtlich. Die Bahn gibt es noch, die regionale Bedeutung des Flughafens schwand nach dem ersten Weltkrieg rapide und endete mit der Ruhrbesetzung durch die Franzosen 1923 weitgehend. Bis 1940 gab es noch ein paar Segelfluglehrgänge. Dann war es vorbei mit der Fliegerei in Rotthausen. Der Flughafen auf den Ruhrhöhen von Essen/Mülheim hatte der Piste den Rang abgelaufen.

Weitflug um den Rathausturm

Flughafen mit Tribüne und Trabrennbahn. Ab September 1912 hielten auch die Pferdesportler einzug im Nienhauser Busch. Höhepunkt bei Flugveranstaltungen waren die Zeppelinflüge. Zur Premiere am Pfingsttag 1912 konnte LZ 11 „Auguste Victoria“ allerdings nicht landen. Foto: Frank Radzicki / Essener Luftfahrtarchiv
Flughafen mit Tribüne und Trabrennbahn. Ab September 1912 hielten auch die Pferdesportler einzug im Nienhauser Busch. Höhepunkt bei Flugveranstaltungen waren die Zeppelinflüge. Zur Premiere am Pfingsttag 1912 konnte LZ 11 „Auguste Victoria“ allerdings nicht landen. Foto: Frank Radzicki / Essener Luftfahrtarchiv © Unbekannt | Unbekannt

Dazwischen lagen wilde Aufbaujahre eines jungen Wirtschaftszweigs, der viel Platz für Glücksritter und Abenteurer bot. Und der die Sensationssucht des Publikums perfekt bediente: mit Flugtagen, Heldenmythen und Fliegergeschichten. Es waren Zeiten, in denen Geschwaderflüge und „Weitflüge um den Buerschen Rathausturm“ für Furore sorgten, in denen vom 4. bis 11. August 1912 bei der „Krupp-Flugwoche m. Überlandflügen“ 100.000 Mark an Preisgeldern ausgeflogen wurden, in denen Zeppeline für Furore am Himmel und Menschenaufläufe am Boden sorgten, in denen Prämien nach der Zeit in der Luft vergeben wurden. Pro Minute Flugdauer konnten die Piloten 20 Mark einstreichen.

Höhepunkt der Eröffnungsfeierlichkeiten vor 100 Jahren „sollte die Landung des Zeppelin-Luftschiffes LZ 11 ,Auguste Victoria’ sein. Das Luftschiff erschien zwar am späten Nachmittag des Pfingstsonntags über dem Platz und drehte auch zwei Runden über das Terrain. aus zeitlichen Gründen konnte eine Landung nicht durchgeführt werden. So kehrte LZ 11 zum Flugplatz Golzheimer Heide bei Düsseldorf, dem Stationierungsort zurück“, hat hat der Heimatforscher Frank Radzicki vom Essener Luftfahrtarchiv recherchiert.

Der Landeplatz Rotthausen gehörte früh zum nationalen Flugnetz. Von hier gingen Postflüge nach Berlin, ab Frühjahr 1919 wurde der Platz in das Streckennetz der neuen Deutschen Luftreederei einbezogen, die von dort aus bis Ende 1920 auch Hannover, Weimar, Hamburg, Westerland, Warnemünde und Swinemünde anflog.

Kondor Flugzeugwerke

Vor Ort siedelten sich auch die Kondor Flugzeugwerke an. Radzicki: „Während des Ersten Weltkriegs produzierten die Kondor-Werke neben einigen Eigenkonstruktionen, die über das Prototypen- beziehungsweise Versuchsstadium nicht hinaus kamen, für die Albatros-Flugzeugwerke einen zweisitzigen Aufklärer und Schulungsdoppeldecker.“ Ein personalintensives Geschäft. Bis November 1918 fanden über 1000 Menschen Arbeit in der Flugzeugproduktion.

Gelsenkirchen hat Luftfahrt-Geschichte geschrieben: mit dem Bau des ersten kommunalen Flugplatzes im Deutschen Reich.

Die Bürgermeisterei Rotthausen gehörte nach der Jahrhundertwende noch zu Essen. Wie Gelsenkirchen, der Landkreis Essen, die Stadt Leichlingen, die Bürgermeisterei Stoppenberg oder auch die Zeche Zollverein und die Rheinisch-Westfälische Motor-Luftschiffgesellschaft investierten sie in die neue Westdeutsche Fluggesellschaft und den Flugplatz.

Zu 750.000 Mark Gesellschaftskapital steuerte Rotthausen 150.000 Mark bei, Gelsenkirchen 300.000. Und auch eine Industriellenfamilie wurde aktiv: Krupp von Bohlen und Halbach finanzierte den Kauf zweier Flugzeuge. Den Vorsitz im Aufsichtsrat übernahm der Gelsenkirchener Verwaltungsjurist Theodor Machens, der von 1900 bis 1918 als Bürger- und Oberbürgermeister die Geschicke der Stadt lenkte.

Das Gelände für den neuen Flugplatz pachtete die Gesellschaft von Gutsbesitzer Nienhausen. 240 Morgen Fläche, so Norbert Dillmann in einem Jahrbuch-Beitrag, wurden „binnen weniger Wochen zum Flugplatz Gelsenkirchen-Essen-Rotthausen“ hergerichtet.