Gelsenkirchen. Nach dem Insolvenzantrag denkt der Betriebsrat über einen Strafantrag nach. Bisher gibt es keine Erklärung von Konzernchef Palm zum Wellpappen-Aus.

„Das war wie ein Hammer vor den Kopf. Eine Scheiß-Sache“, sagt Marco Backhaus. Maschinenführer und Betriebsrat ist der Wellpappe-Mitarbeiter – und seit dem Montag ohne Job und Perspektive. „Wir hoffen erstmal, dass sich der vorläufige Insolvenzverwalter meldet und die weiteren Schritte bekannt gibt. Mehr können wir ja derzeit nicht machen. Uns sind ja die Hände gebunden.“

Mit 20, 25 Kollegen steht Backhaus vor dem Werkstor an der Grothusstraße 90a. Sperrgitter verschließen die Zufahrt. Zwei Security-Mitarbeiter eines beauftragten Sicherheitsunternehmens halten sich im Hintergrund. Keiner der Beschäftigten darf ins Werk – und wenn, dann nur in Begleitung, um seinen Spind auszuräumen.

Beratung bei einem Fachanwalt in Münster

Die Firma Wellpappe Gelsenkirchen hat am 31. Okober Insolvenz angemeldet. Betroffen sind 96 Arbeitsplätze.
Die Firma Wellpappe Gelsenkirchen hat am 31. Okober Insolvenz angemeldet. Betroffen sind 96 Arbeitsplätze. © Joachim Kleine-Büning | FUNKE Foto Services

Der Betriebsrat hat sich mittags mit Verdi-Gewerkschaftssekretärin Bärbel Sumagang auf den Weg nach Münster gemacht, um sich dort von einem Rechtsanwalt beraten zu lassen. Der Betriebsratsvorsitzende Bodo Steigleder hat zudem vor, Strafantrag zu stellen. Die Stimmung ist gereizt. Um die 50 Jahre alt sind die meisten Mitarbeiter des Standorts der Palm-Gruppe, viele arbeiten seit 20, 25 Jahren für Wellpappe, fertigen Kartonagen für jegliche Art von Verpackungen.

Mit dem Auftragsvolumen, heißt es, sei es zuletzt wieder stetig bergauf gegangen, erst letzte Woche waren Überstunden vereinbart worden. „Wir hatten aktuell 9,2 Tage Auftragsvorlauf für im Schnitt 200 000 Quadratmeter Pappe pro Tag. Nicht schlecht für den alten Maschinenpark“, sagt ein Mitarbeiter. Im international aufgestellten Konzern läge Wellpappe Gelsenkirchen damit gut im Mittelfeld. Das Problem: Die Produktion lässt sich verlagern, andere Standorte können übernehmen. In Monheim, heißt es, wurde bereits Mehrarbeit beantragt, „um den Ausfall zu kompensieren. Perfide“ finden das die Männer vor Ort.

Fünf Papierfabriken und 27 Wellpappenwerke

Per Post-Boten hatte die 96-köpfige Belegschaft Montag wie berichtet schriftlich von der Insolvenz der Wellpappe Gelsenkirchen GmbH & Co KG und dem Verlust des Arbeitsplatzes erfahren. Umgehend war die Gesellschaft auch aus dem Internet-Auftritt der Palm-Gruppe (5 Papierfabriken, 27 Wellpappenwerke, 4000 Mitarbeiter, 1,35 Milliarden Euro Umsatz) verschwunden.

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Der Betriebsrat, die Belegschaft fiel aus allen Wolkenaus. Eine Mahnwache haben die Beschäftigten Mittwoch früh nach ersten Protesten am Montag aufgezogen, sperren seitdem das Gelände ab. Lastzüge einer Spedition, die Ware aus dem Werk fahren sollen, werden gestoppt. Mittags kommt ein litauischer Lkw-Fahrer. Auch er muss umkehren. Viel mehr ist nicht zu tun. Weitere Informationen seitens der Geschäfstführung? Fehlanzeige. Die Hoffnung auf eine Wende ist ohnehin gering. „Es sieht ja klar danach aus, dass man hier nicht weiter machen will“, sagt ein Protestler.

Konzernchef Palm ist nicht mehr Herr des Verfahrens

„Gegen sämtliche Regeln des Betriesverfassungsgesetzes“ wurde aus Sicht von Verdi-Sekretärin Sumagang verstoßen. Die Vorgehensweise erklärt auch Konzernchef Dr. Wolfgang Palm am Unternehmenssitz in Aalen nicht, betont aber, dass „nur die Gesellschaft von der Insolvenz betroffen“ sei, nicht weitere Firmen der Gruppe. Zur Situation in Gelsenkirchen und den Problemen dort will er keine Auskunft geben. Nur soviel: Da sei „bisher fast alles falsch dargestellt worden. Doch ich bin nicht mehr Herr des Verfahrens. das wird der Insolvenzverwalter.“ Bestellt wurde Rechtsanwalt Rolf Weidmann von der Essener Kanzlei Görg.

Oberbürgermeister kritisiert „unglaubliches Vorgehen“

Lokalpolitiker suchten Mittwoch das Gespräch vor dem Werkstor oder äußerten sich zum Aus von Wellpappe. „Das ist ein unglaubliches und durch nichts zu entschuldigendes Vorgehen“, betonte Oberbürgermeister Frank Baranowski. „Hier werden Mitarbeiter wie Dinge behandelt, die man einfach beiseite stellen kann und dann im Netz löscht. Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Geschäftsführung nicht den Mumm hat, der Belegschaft die Situation zu erklären.“ Bei einem Besuch der städtischen Wirtschaftsförderung vor wenigen Tagen sei noch „von einer guten Auftragslage gesprochen“ worden.

In 33 Jahren als Stadtverordneter habe er „so etwas noch nicht erlebt. Es ist unerträglich, was hier passiert“, empörte sich SPD-Fraktionschef Dr. Klaus Haertel über das Vorgehen. Nach dem Schließungsbeschluss von Vaillant, so der OB, habe er gedacht, „schlimmer könnte sich ein Familienunternehmen nicht verhalten. Palm hat leider gezeigt, es geht doch.“

CDU fordert umfassende Erklärung der Unternehmensverantwortlichen

„Wegducken im Konfliktfall, der für die Beschäftigten zur persönlich-existenziellen Katastrophe werden kann, ist nahezu unentschuldbar“, meint auch CDU-Fraktionschef Wolfgang Heinberg. Geklärt werden müsse, warum Betriebsrat und Stadt nicht informiert wurden. Heinberg verlangt „von den Unternehmensverantwortlichen umfassende Erklärungen für ihr Verhalten.“