Gelsenkirchen.. Seit 122 Jahren gibt es in Gelsenkirchen-Heßler die Bäckerei Beukenberg. Die heutigen Chefs haben den Umsatz stark ausgebaut.

Uropa Wilhelm war der erste in der Beukenberg-Familie, der sein Brot mit Brotbacken verdiente. An der Wilhelminenstraße, in Sichtweite zur Zeche Wilhelmine Viktoria. 1892 war das, zu einer Zeit, in der das tägliche Brot noch zu den wichtigsten Grundnahrungsmitteln zählte. Der Bergmann nahm sich seine belegten Kniften mit unter Tage auf Schicht. In den großen Familien hielt ein Vierpfund-Brot nicht lange vor. Heute bittet mancher Kunde, den 750-Gramm-Laib noch zu halbieren, weil das sonst zuviel sei.

So sah das Bäckerei-Geschäft in Heßler im Jahr 1935 aus.
So sah das Bäckerei-Geschäft in Heßler im Jahr 1935 aus. © Funke Foto Services | Funke Foto Services

Ohnehin: Brot spielt längst nicht mehr die entscheidende Hauptrolle im Betrieb von Georg Kaiser, dem Urenkel von Firmengründer Wilhelm. Obwohl die Vielfalt auch beim Brotsortiment deutlich größer als früher ist, es bei Beukenberg heute allein 15 verschiedene Körnerbrotsorten gibt. Früher war „Grahambrot“, ein geschrotetes Brot, die einzige Alternative zu Graubrot, Kassler und westfälischem Schwarzbrot, die hier noch heute unverändert im Programm sind.

Georg Kaiser (48) hat den Betrieb 1998 vom Vater Heinrich übernommen. Seine Bäckerlehre im Geschäft hat er 1987 nach dem Abitur begonnen, seit 1992 hat er den Meisterbrief. Mutter Helga Kaiser ist zwar mittlerweile zarte 75 Jahre, springt im Geschäft aber immer wieder mit ein, wenn nötig.

Frauen übernahmen das Ruder

Vom Firmengründer Wilhelm sollte einst eigentlich Sohn August den Betrieb übernehmen. Als der im Zweiten Weltkrieg fiel, waren die Frauen der Familie an der Reihe. Tochter Auguste Beukenberg und die Schwester Elisabeth (verheiratete Kaiser) – die Großmutter von Georg Kaiser – übernahmen das Geschäft.

Elisabeths Sohn Heinrich stieg 1971 ins Geschäft ein. Von seinen drei Kindern sind heute zwei im Betrieb: Georg und seine Schwester Ulrike Kaiser (49). Die studierte Betriebswirtin arbeitete allerdings in der Möbelbranche, bevor sie in den eigenen Familienbetrieb wechselte.

Eigentlich sollte es eine Übergangsstation sein. Heute steht für sie fest, dass sie bleibt. Obwohl ihre Arbeitstage genau wie die ihres Bruders 16 bis 18 Stunden haben, beide nur etappenweise schlafen können.

Arbeitsbeginn um Mitternacht

„Ich fange um Mitternacht an zu arbeiten, morgens dann schlafe ich zwei Stunden, mittags noch mal drei Stunden, wenn ich Glück habe. Sieben Tage die Woche. Aber das geht schon in Ordnung.“ Sprichts und strahlt, als wären Freizeit und Schlafen völlig überschätzt.

Die alte Bäckerei von 1902 steht noch immer. Innen ist sie jedoch sehr modern eingerichtet.
Die alte Bäckerei von 1902 steht noch immer. Innen ist sie jedoch sehr modern eingerichtet. © Funke Foto Services | Funke Foto Services

Bruder Georg hat sogar vier kleine Kinder. Richtig viel Zeit für sie hat er nicht, das räumt er ein, „aber wir wohnen ja am Betrieb, das war bei meinem Vater genauso. Bei Bedarf bin ich immer da.“

Im Moment arbeiten die Geschwister daran, zweimal im Jahr eine Woche Urlaub machen zu können. Davon können sie derzeit allerdings nur träumen. „Seit dem Jahr 2000 backen wir auch sonntags, weil der Kunde das wünscht. 30.000 Brötchen an einem Sonntag. Und seitdem haben wir eine Sieben-Tage-Woche.“

Das klingt nicht wie eine Klage. Im Gegenteil. Die Geschwister wirken dabei erstaunlich gut gelaunt und zufrieden.

„Früher wurden die Brote mit dem Pferdefuhrwerk ausgeliefert!“

45 Mitarbeiter zählt das Unternehmen Beukenberg heute. Davon allein 16 Bäcker (zehn Männer und sechs Frauen), die in vier Schichten fast rund um die Uhr arbeiten. Sechs sind Auszubildende, die anderen sind Fahrer und Verkäufer in den heute drei Filialen. Die größte Filiale ist direkt an der Backstube, an der Wilhelminenstraße/Ecke Küppersbuschstraße. Die Kaisers hätten gern mehr Auszubildende, aber die zu finden ist schwer; die Arbeitszeiten sind zu hart.

„Wir machen den Großteil des Umsatzes durch unser Liefergeschäft. An Altenheime, Krankenhäuser und an Kaltbäcker (Direktverkäufer ohne eigene Backstube, die Red.). Schon mein Uropa hat mit dem Pferdefuhrwerk ausgeliefert. Aber der Anteil ist gestiegen“. Als Georg Kind war, hatte Beukenberg für die Auslieferung VW-Busse. „In ‘Beukenberg-Blau’ haben wir die bestellt. Im Scherz natürlich, aber diese Autos kannte jeder. Heute haben wir neutrale Fahrzeuge.“

Brot, Brötchen, Kleingebäck, Plunder und Konditorei-Artikel entstehen an der Wilhelminenstraße. In der Backstube – der Originalbau von 1902, allerdings mit modernem Innenleben – wird fast alles selbst gemacht – „nur der Teig für Donuts und Schokocroissants lohnt nicht“.

Einer der Backöfen ist älter als die Geschwister (von 1962), aber noch in Gebrauch. „Der würde heute 400 000 Euro kosten“, erklärt Georg Kaiser. Für die beiden neuen Öfen, die in der letzten Woche geliefert wurden, zahlten Beukenbergs 40 000 Euro. Wer in der Backstube modernisieren will, muss SEHR viele Brötchen verkaufen. Und die Konkurrenz wird immer größer, die mögliche Käuferschar eher nicht.

Die letzten Bestellungen für den nächsten Tag bekommt Georg Kaiser um 21.30 Uhr: „Wir bieten viel Kundenservice, sind flexibel. Das ist unser Erfolgsrezept,“ erklärt er stolz. Stolz dürfen die Junioren sein: Schließlich haben sie mit nur drei Bäckern angefangen, als Georg den Laden vor 27 Jahren nach einem Extrem-Tief (Hauptkunde Edeka Hues war insolvent) übernahm.