Gelsenkirchen. Das Institut der Stadtgeschichte in Gelsenkirchen hatte Bürger zu einer zeitgeschichtlichen Rundfahrt eingeladen. Erinnerungen an düsteres Kapitel in der Stadt wachhalten
80 Jahre nach der Machtergreifung Hitlers erinnert sich die Stadt der Zeiten des Terrors und Ermordung zahlreicher Gelsenkirchener, die sich den Gräueltaten der Nazis widersetzten. In einer Zeitreise durch die Geschichte vermittelte das Institut für Stadtgeschichte vielen Bürgern bei einer Rundfahrt ein Bild von der düsteren politischen Vergangenheit in Gelsenkirchen.
Gewalt gegenüber jüdischen Bürgern
„Mein Haus ist ein Haus der Gebete für alle Völker“ steht auf dem Mahnmal am Gustav-Behr Platz, dort, wo 1922 die Synagoge eingeweiht wurde. Gustav Behr war Lehrer und leitete die Gottesdienste. Als die NSDAP-Fraktion im April ‘33 in den Stadtrat einzieht, nimmt die Gewalt gegenüber jüdischen Bürgern zu. Alfred Zingler schreibt für das SPD-Blatt Volkswille, seine Frau Margarete sitzt für die SPD im Stadtrat.
Im Mai ‘33 muss das Ehepaar ins niederländische Hengelo fliehen. Der Zynismus der Nazis wird besonders deutlich, nachdem sie die Synagogen niedergebrannt haben. Die Leitung der Synagoge erhält eine Rechnung über 10.000 Mark für die Beseitigung der Trümmer. Nach der Besetzung der Niederlande 1940 wird das Ehepaar Zingler 1943 von den Nazis aufgespürt und verhaftet. Alfred Zingler wird wegen Hochverrats hingerichtet, seine Frau muss für zehn Jahre ins Zuchthaus, wird später von den Engländern befreit.
„Sie profitierten vom Verfall der Moral“
Roland Schlenker, Historiker beim Institut für Stadtgeschichte, erklärt, warum die Nazis in Gelsenkirchen so wüten konnten: „Unter den 320.000 Einwohnern befanden sich nur 12 Gestapoleute. Sie waren so erfolgreich, weil sie Zuträger aus der Bevölkerung hatten, die Bürger denunzierten. Sie profitierten vom Verfall der Moral.“ Erst im Rathaus am Machensplatz, dann im Gefängnis neben dem heutigen Amtsgericht hat die Gestapo ihre Geschäftsstelle Die SA nistet sich im Rathaus Buer ein, verhört willkürlich Bürger, sieht sich in der Rolle einer Hilfspolizei.
Auch die Industrie orientiert sich an den Interessen der Nazis. Um bei der Benzinversorgung autark zu bleiben, baut die Gelsenberg Benzin AG ein Hydrierwerk. Aus Kohle wird Benzin gewonnen. Der Schalker Verein verdreifacht die Belegschaft, die für die militärisch wichtige Stahlproduktion benötigt wird. 45.000 Arbeitslose sind 1932 in Gelsenkirchen registriert. Durch die Hochrüstung schrumpft die Zahl innerhalb von sechs Jahren auf 1500.
Mahnmale erinnern an nationalsozialistische Gewaltherrschaft
40.000 Zwangsarbeiter schuften in Industriebetrieben. 3500 kommen bei Bombardierungen, durch Krankheit und Unterernährung um. Am 11. September 1944 sterben 150 jüdische Frauen im Lager Gelsenberg nach Bombardierung durch die Alliierten. Auf dem Horster Friedhof erinnern Mahnmale an die Frauen und andere Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft.
Als Platz der 100.000 bezeichnen Nazis den Wildenbruchplatz. Hier feiern sie ihre Gauparteitage, hier pferchen sie im Jahr 1942 eine Nacht lang Juden hinter Stacheldraht zusammen, verschleppen sie dann ins Ghetto nach Riga. Als Mahnmal erhalten bleibt der jüdische Friedhof an der Ecke Wanner-/Oskarstraße. Das Kulturdenkmal, das von der Stadt gepflegt wird, erinnert an das jüdische Leben in Gelsenkirchen, das zwischen 1933 und 1945 ausgelöscht worden ist.
Braune Zeitrechnung beginnt 1924
Die braune Zeitrechnung in Gelsenkirchen beginnt 1924. Der erste Nationalsozialist im Stadtrat war Dr. Alfred Meyer. Der studierte Jurist und begabte Redner, der auf der Zeche Graf Bismarck beschäftigt war, promovierte zum Thema Staatsrecht. Er leitete die NSDAP in Gelsenkirchen ab 1929. Die Partei erhielt zunächst nur 2,8 Prozent der Stimmen, entwickelte sich über 28% bis 70 Prozent zu einer Massenpartei.
Vor allem die Arbeiterschaft unterstützte die NSDAP. Während der Hitler-Diktatur besetzten die Nazis alle öffentlichen Ämter in der Stadt. Oberbürgermeister war von 1933-45 Karl Böhmer. Das Polizeipräsidium war dem obersten SS-Führer Heinrich Himmler untergeordnet. Viele Gegner der Nazis landeten im Gefängnis, die gewalttätigen Gehilfen der braunen Diktatoren erpressten die Namen von unbequemen und verhassten Oppositionellen. 1933 wurden alle Parteien verboten. Zentrum-Mitglieder wurden Hospitanten bei der NSDAP.