Essen-Kettwig. Damit die Damen der KG Fidelio Kettwig-Mintard bei Auftritten optisch glänzen können, müssen neue Westen her. Wie ein Nähkurs zum Teambuilding wird.
An der Maschine hatte Nadine Böß bisher nie genäht. Jetzt ist sie stolz auf ihre fast fertige, rote Weste. Die trägt die Kettwiger Mediengestalterin in wenigen Tagen beim Auftritt zur Prunksitzung der KG Fidelio-Mintard.
Die alten, roten Westen der Karnevalistinnen waren in die Jahre gekommen. „Früher hat Angelika Rohde, die langjährige Vorsitzende unseres Vereins, alle Uniformen für den Verein selbst genäht“, berichtet Lynn Panzer. Die 40-Jährige leitet die 1954 gegründete Tanzgarde. Im Herbst schlug sie ihren „Mädels“ das kreative Projekt vor. Einen Haken hatte die Idee: „Keine der Teilmehrerinnen hatte je zuvor eine Weste geschneidert.“ Schlimmer: „Die meisten wussten nicht, wie man eine Nähmaschine bedient“, berichtet Damenschneiderin und Schnittdirectrice Regine Henrichs aus Essen-Kettwig.
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Für die Essener Profi-Schneiderin war es eine Herausforderung
Nähkurse zu geben, ist für Henrichs kein Neuland. Jung und Alt unterrichtet die Kettwiger Fachfrau regelmäßig mit Erfolg. Doch normalerweise stünden einfache Teile auf dem Anfängerkursplan: Stofftaschen, Kissenhüllen, Stiftetuis oder Tischdecken. Die maßgeschneiderten Fidelio-Gardewesten waren eine „Riesenherausforderung.“ Die Röcke der Tänzerinnen zu ersetzen, wäre dagegen ein Kinderspiel.
Vor Weihnachten hatten sich die Teilnehmerinnen zum ersten Mal nach Feierabend getroffen. In zwei Gruppen, donnerstags und freitags, lernten die elf Frauen, wie aus dem dicken, online bestellten Stoffballen, die ersehnten, schicken Westen „auf Passform“ entstehen. Zum Glück gab es ein altes Musterstück zum Kopieren.
Idealmaße weist keine der Frauen aus der Tanzgarde auf
„Zunächst haben wir den Schnitt rekonstruiert“, erläutert Henrichs. Dann wurden alle Damen exakt vermessen. Dabei erfuhren sie, dass keine von ihnen körperliche Idealmaße hat. „Wir sind alle verbaut“, fasst Lara Beede diese „irgendwie frustrierende“ Erfahrung humorvoll zusammen. Eine habe zu schmale Schultern, die andere zu breite. Bei dieser sei der Oberkörper zu kurz geraten, bei jener die Hüften ausgeladen. Henrichs lacht. Top-Models sehen anders aus. Doch die sind kaum so sportlich und gut trainiert wie die Gardistinnen, die seit Wochen für ihre Schweiß treibende Show im Kettwiger „Eckhaus“ üben.
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Ruckzuck sind die vier Nähmaschinen auf dem Tapeziertisch aufgebaut. „Ich bin so stolz auf uns“, ruft Lara Beede fröhlich. Sie schaut bewundernd zu ihrer Tanzkollegin Lynn, die an der Spiegelwand im Kursraum in eine Weste schlüpft. „Die habe ich für eine Kollegin genäht, die im Mutterschutz ist. Ich tanze in dieser Session für sie.“
Vor dem Anbringen der Knöpfe wird das Stück gebügelt
An ihrer weißen Singer macht Lara Beede bei unserem Besuch eine gute Figur. Um die Schultern trägt die zierliche 30-Jährige profihaft ein gelbes Maßband. Ein hochmodernes Nadelkissen ziert ihr linkes Handgelenk. Das schwarze Silikonarmband besitzt kein traditionelles Stoffkissen, sondern eine glänzende Magnetfläche. Die zieht die Nadeln magisch an. Die Vertrieblerin in der Chemiebranche liebt Präzision. „Nach der Arbeit habe ich zu Hause weiter genäht. Ich konnte dabei gut vom Job runterkommen“, erzählt sie.
„Nach der Arbeit habe ich Zuhause weiter genäht. Ich konnte dabei gut vom Job runterkommen.“
Vorsichtig setzt Dana Suckau das zischende Dampfbügeleisen auf den roten Stoff. Vor dem Anbringen der vier Riegel soll sie das Teil glätten. „Es hat schon Spaß gemacht hier“, sagt sie. Dennoch: Ein weiteres Nähprojekt plane sie nicht. „Das waren schon viele Infos, die wir hier bekommen haben“, so die Kettwigerin. Sie kann sich vorstellen, irgendwann einen Anfängerkurs zu belegen, weil ihr Grundlagen fehlten.
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Madeleine Lehnertz büffelt für ihr Abitur. „Stressig, aber gut“, findet sie das Schneidern, bei dem sie die Klausuren vergessen kann. Die Goldlitze an den Kanten hat die Kursleiterin befestigt, weil Madeleine einmal fehlen musste und die Zeit drängte. Und daneben kämpft Nadine tapfer mit den Stecknadeln und bekennt: „Ich bin froh, wenn das hier geschafft ist.“
Etwa 20 bis 30 Stunden verbrachte jede Tänzerin an der Nähmaschine
Bei aller Konzentration geht es lustig zu. Ist Sorgfalt nicht die Mutter der Nähkiste? Schräg sollen die Zierstreifen keineswegs sitzen, sagt Lynn Panzer. Selbst wenn kleine Ungenauigkeiten bei der rund 15-minütigen Tanzshow nicht auffallen dürften. „Rechnen können muss man beim Schneidern auch“, betont Regine Henrichs. Da misst Rechtsreferendarin Iris Abendroth lieber noch einmal nach. Bevor sie mit dem feinen Markierstift auf dem Stoff die Punkte einzeichnet, an denen sie die beiden goldenen Uniformknöpfe gleich von Hand annäht.
Mit Freude, nicht mit der heißen Nadel, sind die feschen Gardewesten entstanden. Etwa 20 bis 30 Stunden verbrachte jede Tänzerin damit. Die Gardetrainerin ist überzeugt: „Das Ganze war für uns ein tolles Teambuilding. Und preiswerter war das Selbermachen zudem.“ Regine Henrichs, die nun als „Hofschneiderin“ in die Kettwiger Karnevalschronik eingeht: „Dieses Projekt war wirklich nicht einfach. Aber die Gardedamen, alle Nähanfängerinnen, haben es sehr gut gemeistert!“
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