Essen. Eines der letzten Fachgeschäfte für Orientteppiche in Essen schließt. Mit der „Galerie Ghom“ verlieren manche ihr zweites Wohnzimmer. Ein Besuch.
Sie werden aufhören. Unübersehbar. „Totale Räumung“ steht auf einem rot-gelben Schild am Teppichgeschäft „Galerie Ghom“ in Essen-Rüttenscheid. Die Behbahanis ziehen sich in den Ruhestand zurück. Niemand ist glücklich darüber. Dem Ehepaar selber fällt es sichtlich schwer. Auch treue Kundinnen und Kunden hätten schon angerufen, ihr Bedauern ausgedrückt, erzählt Elisabeth Behbahani: „Alle sagen: ,Wir waren bei Ihnen immer zufrieden.‘“
Die vier Enkelkinder liebten es, sich aus den persischen Teppichen im Laden Verstecke und Höhlen zu bauen: „Die Kinder sind traurig, dass das Geschäft bald weg ist“, sagt die 67-Jährige. Ihren Ehemann Taghi Behbahani rief kürzlich ein Freund an, der wie er aus dem Iran stammt: „Er hatte gehört, dass wir schließen, und sagt: ,Mach weiter.‘ Aber ich kann nicht mehr.“ Im Alter von fast 78 Jahren steht der Teppichexperte und Geschäftsmann noch täglich im Laden an der Norbertstraße, schräg gegenüber der Essener Messehallen. Er hat Rückenprobleme, auch bedingt durch die Arbeit. Das Paar liefert die schwere Ware mit dem eigenen Wagen selber aus.
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Ausverkauf im Essener Teppichgeschäft „Galerie Ghom“
Spätestens im Sommer wollen sie das Ladenlokal verlassen, vielleicht schon eher. Die Teppiche werden mit erheblichen Rabatten verkauft, damit möglichst nichts zurückbleibt. Der Rest werde zurück in den Iran geschickt, sagt Elisabeth Behbahani, dort sei die Ware besser verkäuflich. Die „Galerie Ghom“ ist benannt nach dem Geburtsort ihres Mannes, einer Millionenstadt rund 130 Kilometer südlich von Teheran. Vergleichbare Fachgeschäfte gibt es kaum noch in Essen. Andere Händler mit iranischen Wurzen haben sich eher auf Teppichreinigung und -reparatur spezialisiert.
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„Früher war die Huyssenallee voller Teppichgeschäfte“, erinnert sich Elisabeth Behbahani. Auch in Steele habe es persische Händler gegeben. „Sie sind alle verstorben, und die Kinder wollten die Geschäfte nicht weiterführen.“ Was im Übrigen auch für ihre eigenen Söhne gilt. Das deutsch-iranische Paar lernte sich Anfang der siebziger Jahre in Bonn kennen und ist seit 1976 verheiratet. Taghi Behbahani war 1972 nach Deutschland gekommen, zunächst nach Düsseldorf, Bonn und Krefeld, wo sein älterer Bruder bereits ein Teppichgeschäft führte. Das Handwerk, betont er, habe er im Basar von Teheran von Onkel und Großvater gelernt. Er sei ausgebildeter Teppichknüpfer und -restaurator, so dass „Galerie Ghom“ auch Reparaturen in Handarbeit ausführt.
Ehepaar führte den Laden seit 1989 gemeinsam
Elisabeth Behbahani hatte ursprünglich eine Ausbildung als Oekotrophologin begonnen, ließ sich dann aber, wie die beiden auf ihrer Website schreiben, „von der Begeisterung ihres Ehemanns für die Teppichknüpfkunst anstecken und erlernte von ihm das Handwerk“. Ihren ersten Laden eröffneten sie 1989 an der Rüttenscheider Straße, dort, wo sich heute der Concept Store cob befindet. Taghi Behbahani war häufig in seinem Heimatland unterwegs, um in den Teppichmanufakturen und Kleinbetrieben vor Ort neue Ware zu kaufen. Sie sei im Direktimport fast 30 Prozent günstiger, berichtet das Paar, und wird per Luftfracht nach Deutschland gebracht. Behbahanis belieferten auch andere Händler deutschlandweit. Immer als Zwei-Personen-Familienbetrieb.

Im Jahr 2012 gaben sie das Ladenlokal in Rüttenscheid auf. Eigentlich sei ihr Mann damals schon im Rentenalter gewesen, sagt Elisabeth Behbahani. „Aber wir hatten noch so viel Ware, dass wir erneut einen Laden angemietet haben.“ Sie führen Teppiche aus verschiedenen Regionen des Iran, Modelle unterschiedlichster Qualitäten und Formate, klassisch und modern. „Kunstwerke“, wie sie sagen, die alle in Handarbeit gefertigt wurden und nach deutschen Maßstäben eigentlich unbezahlbar wären. Es kann ein oder zwei Jahre dauern, ehe ein hochwertiges Stück geknüpft ist. Es kann dann, je nach Größe, einen fünfstelligen Preis haben. „Diese Teppich halten aber auch Jahrzehnte“, sagen die Behbahanis.
Ältester Perserteppich im Laden wurde vor 150 Jahren geknüpft
Das älteste Stück im Laden? Taghi Behbahani öffnet einen Schrank, in dem Teppichrollen stehen, zieht eine heraus, breitet einen leichten, mittelgroßen Keshan Mohtasham aus. Das antike Stück, sagt er, sei 150 Jahre alt. Unregelmäßig gefärbt. Etwas für Kenner. Die meisten Teppiche stammen aus neuer Produktion. Die letzte Lieferung bestellte er im vergangenen Jahr.
Sicher sei das Teppichgeschäft in ihren Anfangszeiten anders gewesen, erinnert sich Elisabeth Behbahani. Aber sie seien immer noch mit dem Verkauf zufrieden, hätten Kundschaft jeden Alters. Bei jüngeren Leute sei es nur so: Sie möchten keine roten Farbtöne, „weil Mutter und Oma solche Teppiche hatten“. Als schwierig erlebten sie lediglich die Coronazeit, deren Nachwirkungen sie noch lange nach dem Lockdown gespürt hätten.
Deutsch-Iraner in Essen: „Mit Politik haben wir nichts zu tun“
Die „Galerie Ghom“ ist nicht nur ein Fachgeschäft, sondern auch ein Treffpunkt der iranischen Community in Essen. Für manche offenbar wie ein zweites Wohnzimmer. Hinter einer Theke aus dunkelbraunem Holz dampft ein Teekessel, in einer Sitzecke mit Möbeln wie vom Trödel kommen täglich Freunde und Bekannte zusammen. Einer, ein Mann mittleren Alters, betritt gerade das Geschäft. Er lobt das persische Essen, das Elisabeth Behbahani mittags auf den Tisch bringt. Er werde es vermissen. „Unsere Bekannten sind traurig, dass wir weggehen“, sagt die Geschäftsfrau.
Taghi Behbahani hat noch Bruder und Schwester in Teheran, die er regelmäßig besucht. Wie geht es den Familienangehörigen dort. „Sie haben gute Berufe und genug Geld“, sagt der Deutsch-Iraner knapp. Über die Lage im Land möchte er nicht reden, ebenso wenig wie seine Frau, die aufgrund ihrer Flugangst schon lange keine weiten Reisen mehr unternimmt. „Mit Politik haben wir nichts zu tun, weder im Iran noch in Deutschland.“ Am Couchtisch im Geschäft gebe zwar viele verschiedene Meinungen, dort werde viel diskutiert. „Aber ich höre nur zu“, sagt Taghi Behbahani.
Wenn es die „Galerie Ghom“ nicht mehr gibt, wird der dann 78-Jährige sehr viel Zeit haben. Was will er damit anstellen? „Ich gehe Bekannte besuchen, die Teppichgeschäfte haben“, sagt Taghi Behbahani. Aber nicht in Essen.
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