Essen. Regisseurin Anna-Sophie Mahler setzt im Essener Aalto-Theater bei dem zeitgenössischen Stück „The Listeners“ auf Spannung und Neugier.

Ohrgeräusche können Menschen in den Wahnsinn treiben. In Europa und den USA sollen 25 Prozent der Bevölkerung damit in Berührung gekommen sein. Was das für Betroffene bedeutet, davon können, laut Deutscher Tinnitus-Liga e.V., am ehesten rund drei Millionen Deutsche ein Lied singen. Die amerikanische Komponistin Missy Mazzoli hat das Brummton-Phänomen und damit eine Erzählung von Jordan Tannahill zum Anlass für ihre Oper „The Listeners“ genommen. In Norwegen wurde sie uraufgeführt und erlebt jetzt in der Regie von Anna-Sophie Mahler ihre deutsche Erstaufführung am Aalto-Theater.

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Gefragte Expertin für zeitgenössisches Musiktheater inszeniert in Essen

Das zeitgenössische Musiktheater steht beim Publikum nicht gerade hoch im Kurs. Und doch hat sich Regisseurin Anna-Sophie Mahler dafür entschieden. Ein Grund findet sich in ihrer Kindheit. Sie wuchs in einer Mühle in der Nähe von Kassel auf - „zwischen Fischreihern und Bibern“. Die Eltern waren Psychoanalytiker, der Vater war auch bildender Künstler. „Diese Mischung aus Kunst und Natur war sehr bereichernd“, sagt die 45-Jährige, die immer von Neugier angetrieben wird. Obwohl sie früh anfing, Geige zu spielen und sang, studierte sie Regie in Berlin und ließ sich von Christoph Marthaler und Schlingensief neue Welten eröffnen.

Mit den Jahren wurde sie zu einer gefragten Expertin für experimentelles, dokumentarisches, zeitgenössisches Musiktheater, das jenseits der Klassiker von Verdi bis Wagner seinen Weg auf die Bühne findet. Auch Merle Fahrholz, Intendantin des Aalto-Theaters, hat ihr mit „The Listeners“ („Die Hörenden“ in der Übersetzung von Anna-Sophie Mahler) einen Gegenwartsstoff ans Herz gelegt. „Wenn wir alles beim Alten belassen und nur über die Ausstattung, wie Bühne und Kostüm, an das Heutige andocken, kommen wir nicht weiter“, betont sie. Zeitgenössische Oper bedeutet für sie „neugierig sein auf neue Themen und Klangwelten und den Erfahrungshorizont zu erweitern“.

Regisseurin Anna-Sophie Mahler inszenierte das Musikdrama „The Listeners“ auf der Bühne des Aalto-Theaters.
Regisseurin Anna-Sophie Mahler inszenierte das Musikdrama „The Listeners“ auf der Bühne des Aalto-Theaters. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Diese Oper geht stark von der Handlung aus“, so Anna-Sophie Mahler. Im Mittelpunkt stehen „The Listeners“, Menschen, die ein Brummen hören, das andere nicht wahrnehmen. Die Lehrerin Claire gehört dazu und ihr Schüler Kyle. Beide werden um den Schlaf und zur Verzweiflung gebracht. Sie verliert ihren Job, entfernt sich von der Familie. Die Verbindung zu einem Kojoten, Symbol für Kraft und Anpassungsfähigkeit, und eine Selbsthilfegruppe verändern ihr Leben. Aber nicht im positiven Sinne. Auf der Suche nach Sinn und Gemeinschaft gerät sie an einen charismatischen Anführer, der seine Macht missbraucht.

„The Listeners“ am Essener Aalto-Theater ist inspiriert von Scientology

Die Geschichte hat mit unserer Realität zu tun. „Es geht um sektenähnliche Strukturen wie bei Scientology, um Menschen, die das Brummen hören und dadurch zu Außenseitern werden. Es geht um Verlust und innere Zerrissenheit und der Suche nach neuem Zusammenhalt. Dabei spielen gesellschaftliche Umwälzungen, Machtmissbrauch und Selbstfindung eine Rolle.“, erklärt Mahler zu ihrer aktuellen Inszenierung.

Claires emotionaler Zustand offenbart sich in groß angelegten Bildern. „Das Bühnenbild (Katrin Connan) ist rundum mit Video ausgestattet. Man wird in ihre Welt reingezogen. Der schlafende Kojote, Wälder und die weite Wüste sind zu sehen. Das Publikum soll das Gefühl haben, Teil einer großen Landschaft zu sein“, führt die Regisseurin weiter aus.

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Erschreckend ist das Ende dieser Oper, nicht ihre Musik. Die für einem Grammy nominierte Missy Mazzoli, die zuvor „Breaking The Waves“ erfolgreich vertonte, gilt als eine der interessantesten Opernkomponistinnen unserer Zeit. Für „The Listeners“ hat sie Musik geschaffen mit liedhaftem Gesang, instrumentalen Soli und großen Choreinsätzen. „Es ist ein Klangteppich, der nicht abstrakt bleibt. Er ist eingängig. Man muss der Musik eine Chance geben, in sie einzutauchen. Dann wird man hineingezogen“, meint Anna-Sophie Mahler, die mit ihrer Arbeit ein „ästhetisches Ereignis“ gestalten will.

Die neue Oper „The Listeners“

Die deutsche Erstaufführung der zeitgenössischen Oper „The Listeners“ von Missy Mazzoli wurde bei der Premiere am Aalto-Theater gefeiert. Weitere Termine: 1., 9., und 28. Februar.

Die Sopranistin Betsy Horne wurde eigens für die Hauptpartie der Claire an die Essener Oper engagiert. Außerdem unter anderen mit von der Partie: Mandla Mndebele, Lisa Wittig, Aljoscha Lennert, Heiko Trinsinger und als Coyote der Tänzer und Choreograf Ivan Estegneev. Die musikalische Leitung haben Generalmusikdirektor Andrea Sanguineti und 1. Kapellmeister Wolfram-Maria Märtig.

Empfohlen wird die Aufführung für Menschen ab 14 Jahren. Dauer: 2 Stunden 45 Minuten mit Pause.

Karten sind telefonisch erhältlich unter 0201 81 22 200 sowie online unter www.theater-essen.de

Nach den Engagements am Schauspiel in Leipzig und Hamburg und an der Essener Oper gibt es für sie Verpflichtungen in Köln und Stuttgart, die sie von ihrem Wohnort Zürich ansteuern wird. Diesmal nimmt sie sich klassische Werke für ihren kreativen Prozess des Erfindens vor. Ein unkonventioneller Zugang ist wahrscheinlich, getragen von einer Zuversicht: „Ich hoffe“, sagt sie, „dass Kunst die Menschen verändern kann.“

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