Essen-Horst. Abschied von einem Stück Industrie-Geschichte: Der Schornstein der Fabrik von W. Vogelsang ist nicht mehr standsicher, er wird abgetragen.

Gleich an der Ruhr steht die ehemalige Horster Mühle. Das nun neu genutzte Industriekultur-Ensemble verliert eine weithin sichtbare Attraktion und der Stadtteil Horst eine bekannte Landmarke, die viele oft und fern auch fotografiert haben. Am anderen Ufer in Burgaltendorf gibt es sogar einen Aussichtspunkt. Zu dem gewohnten Anblick gehört auch der hoch aufragende Schornstein. Doch der wird jetzt verschwinden.

Der Schornstein wird zurzeit abgetragen. So vieles hat sich verändert hier an der Ruhr, so auch der Standort der bereits im Jahre 1319 in einer Urkunde dokumentierten Mühle, die seit 1774 gegenüber der Schleuse Horst liegt. Der 74 Meter hohe Schornstein überragte bisher den seit 1984 denkmalgeschützten Gebäudekomplex. Bisher. Bald muss man der Erinnerung an dieses Industrierelikt mit seinen hellen Steinbändern und dem Schriftzug W. Vogelsang auf die Sprünge helfen, zum Beispiel mit Fotos.

Ganz oben am Turm in Essen Horst über dem Schriftzug „Vogelsang“ laufen die Arbeiten.
Ganz oben am Turm in Essen Horst über dem Schriftzug „Vogelsang“ laufen die Arbeiten. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Der Fabrikbesitzer Wilhelm Vogelsang hatte im Jahr 1910 die Horster Mühle erworben und sie zu einem Wasserkraftwerk umbauen lassen. Besonders die Maschinenhalle ist heute ein technisches Denkmal ersten Ranges. Außerdem ließ Vogelsang dort eine Karbidfabrik bauen, und dafür eben diesen Schornstein. Die Fabrik dokumentiert mit ihrer schlichten Backsteinarchitektur den Fabrikbau jener Zeit der Jahrhundertwende, heißt es etwa in den Unterlagen der Stadt zu dem Denkmal.

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Karbid wurde bei hohen Temperaturen aus Branntkalk und Koks gewonnen. Bereits 1932 wurde die Produktion in Horst aber wieder eingestellt. Im Jahr 1938 teufte Vogelsang in der ehemaligen Fabrikhalle einen Schacht für die Zeche „Wohlverwahrt“ ab. Die Förderung startete ein Jahr später mit 104 Beschäftigten und steigerte sich mit mehr als doppelt so vielen Mitarbeitern und bis zu knapp 70.000 Tonnen im Jahr 1943. Bis 1962 fuhren die Kumpel hier ein, dann wurde die Förderung wegen eines drohenden Wassereinbruchs eingestellt.

Auch der Anblick zwischen den benachbarten Gebäuden hindurch wird sich in Essen-Horst verändern, wenn der Turm ganz verschwunden sein wird.
Auch der Anblick zwischen den benachbarten Gebäuden hindurch wird sich in Essen-Horst verändern, wenn der Turm ganz verschwunden sein wird. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Der Bauunternehmer Franz Rudolph kaufte 1985 die gesamte Anlage zum symbolischen Preis von einer DM und investierte rund 17 Millionen DM in die denkmalgeschützten Anlagen. So wurde die ursprüngliche Maschinenausstattung in der Halle nach musealen Kriterien restauriert. Die Wasserkraftanlage wurde durch vier neue Turbinen und Generatoren modernisiert und ging 1989 wieder ans Netz. Etwa 2.500 Haushalte können mit dem regenerativen Strom dieses Kraftwerks umweltfreundlich versorgt werden. Mittlerweile dient der Komplex auch Fotografen als Atelier, beherbergt Kreativagenturen, Handwerker, Architekten.

Der Schornstein ist hier mit der Horster Mühle zu sehen.
Der Schornstein ist hier mit der Horster Mühle zu sehen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Nachdem dann zunächst Gerüchte aufkamen über einen bevorstehenden Abriss des „Vogelsangschen“ Schornsteins, ergab eine Nachfrage bei Lokalpolitikern erste Hinweise. Ratsfrau Michaela Heuser erklärt: „Es gibt seit 2023 eine Abbruchgenehmigung für den Schornstein. Arbeiten waren seitdem immer mal wieder zu beobachten.“ Ratsherr Luca Ducree fand heraus, dass der Schornstein laut Gutachten in seiner Standsicherheit gefährdet sei: „Es wurde daher mit Unterer Denkmalbehörde und Bauaufsicht abgestimmt, dass der Schornstein abgetragen werden darf, beziehungsweise sogar muss.“

Nun hätten die Rückbauarbeiten begonnen, was Stadtsprecher Burkhard Leise auch bestätigt: „Es wurde gutachterlich durch einen externen Statiker festgestellt, dass die Standsicherheit des Schornsteins der Horster Mühle beeinträchtigt ist. Nach Rücksprache zwischen der Bauaufsicht und der Unteren Denkmalbehörde wurde daraufhin der Rückbau - und damit auch die Entlassung aus der Denkmalliste - eingeleitet, um eine konkrete Gefahr abzuwenden. Aktuell ist der Schornstein bis etwa zu Hälfte abgetragen.“ Und wird bald manchem Besucher des Ruhrtals wohl fehlen…

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