Essen-Kray. Kaffee, Kuchen und soziale Hilfe unter einem sakralen Dach: Ein ungewöhnliches Kirchenprojekt in Essen-Kray hofft auf eine Fortsetzung.
„Einsamkeit.“ So lautet die kurze und prägnante Antwort, die Franz-Josef Goldhagen gibt, wenn man ihn fragt, warum er an diesem Freitagnachmittag in der Kirche St. Barbara in Essen-Kray an einem langen Tisch sitzt. Bei Kaffee und Kuchen unterhält er sich mit Menschen, die er eigentlich gar nicht kennt. Vielleicht sei man sich draußen im Stadtteil mal über den Weg gelaufen, sagt er, aber wer spreche auf der Straße schon mit wildfremden Menschen. In der Gastkirche St. Barbara geht das.
Lange Tische für die Besucher der Gastkirche in Essen-Kray
Es sieht schon etwas ungewohnt aus. Eine Kirche ist nun mal eine Kirche, aber hier in Kray sind in den letzten Reihen lange Tische installiert. Etwa 40 Menschen haben sich hier versammelt, schwatzen, hören zu, wechseln auch mal den Sitzplatz, laufen ein wenig herum. An der Seite gibt es eine kleine Theke, an der fleißig Kaffee ausgeschenkt wird. Selbstgebackener Apfelkuchen ist an diesem Tag der Hit.
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2019 ist hier mitten im Stadtteil eine Idee entstanden, die sich zu einem besonderen sozialen Anker entwickelt hat: die Gastkirche St. Barbara. Nach wie vor dient die Kirche als Ort für Gottesdienste, doch hat sie sich im Laufe des sogenannten Pfarreientwicklungsprozesses zu einem sozialen Zentrum gewandelt. Die Idee, ein Café in der Kirche zu betreiben – wobei „betreiben“ nicht im kommerziellen Sinne gemeint ist, schließlich ist das Angebot kostenlos –, kam im Zuge der Überlegungen zur weiteren Nutzung der Kirchengebäude in der Gemeinde.
Zweimal pro Woche, jeweils freitags und sonntags, gibt es dieses Angebot, und es wird rege genutzt. „In Kray leben Menschen aus unterschiedlichen Ländern, es gibt Flüchtlinge, Bürgergeld-Empfänger und Obdachlose“, erzählt Elke Scheermesser, die die Projektgruppe in der Gemeinde leitet. In dieser Atmosphäre schenke das Café gerade diesen Menschen nicht nur warme Getränke, sondern vor allem Gemeinschaft und ein offenes Ohr.
Und doch geht es nicht „nur“ um das Zuhören. Vielmehr bietet die Gruppe auch eine informelle Beratung etwa für Menschen in finanzieller Not oder mit Suchtproblemen. „Man bekommt hier gute Tipps, wo man hingehen kann, wenn es einem schlecht geht“, beschreibt etwa Goldhagen seine Erfahrungen. Er selbst kommt aus Süddeutschland, kannte sich zunächst nicht gut im Stadtteil aus, „mein gesamtes Umfeld ist mittlerweile gestorben“. Ihn habe man aber etwa auf die Sozialberatung im „Kraysel“ aufmerksam gemacht, was ihm sehr geholfen habe.
Freiwillige helfen bei bürokratischen Hürden
Thema seien oftmals Formulare und bürokratische Hürden, bei denen die Besucherinnen und Besucher Unterstützung brauchen. „Manche wissen nicht, wie sie an das Geld kommen, das ihnen zusteht“, erzählt Pater Thomas. „Da stehen wir auch außerhalb des Cafés zur Verfügung und versuchen, bei Formalitäten oder anderen Problemen zu helfen.“
Die enge Vernetzung des Projekts mit lokalen Partnern wie der Polizei, dem Stadtteilbüro und auch einem ansässigen Arzt trägt dazu bei, dass die Menschen auf niedrigschwellige Weise Zugang zu einer breiten Palette an Hilfeleistungen erhalten. Ein Hausarzt etwa kommt selbst regelmäßig vorbei, arbeitet an der Theke mit und kommt so mit den Menschen ins Gespräch. „Manche Leute trauen sich nicht in eine Arztpraxis“, erklärt Pater Thomas. „Hier aber fühlen sie sich sicher und können ohne Druck über ihre Beschwerden sprechen. Und wenn sie den Arzt erstmal kennen, weil er ihnen Kaffee eingeschenkt und zugehört hat, dann fällt der Weg in die Praxis vielleicht etwas leichter.“
Projekt der katholischen Pfarrei St. Laurentius in Essen-Kray
Natürlich sei es ein Projekt der katholischen Pfarrei St. Laurentius, sagt Wittemann, der 2021 gemeinsam mit anderen Patres im alten Pfarrhaus von St. Barbara ein Kloster der Oblatenmissionare (OMI) gegründet hat. „Wir fragen aber nicht nach der Herkunft oder dem Glauben der Gäste. Es ist uns wichtig, dass die Menschen sich willkommen fühlen.“ Die Tische sind gedeckt, Gespräche entstehen, und inmitten des Stadtteils erfahren viele Gäste eine Wärme, die ihnen im Alltag oft verwehrt bleibt. „Es geht nicht darum, jemanden in die Kirche zu holen“, erklärt der Pater weiter. „Wir wollen für die Menschen da zu sein, egal, welche Geschichte sie mitbringen.“
Und Cornelia Stock ergänzt: „Es geht einfach nur darum, Menschen kennenzulernen.“ Stock arbeitet im Kleiderstübchen, einem weiteren sozialen Projekt der Gemeinde. Regelmäßig setzt sie sich, wie auch andere Mitarbeitende des Stübchens auch, mit an die Tische. Wie alle anderen, die einfach mal vorbeikommen, um Kontakte in den Stadtteil zu knüpfen – derzeit in der Kirche, im Sommer aber auch gerne mal draußen.
Eine Geschirrspülmaschine fehlt der Gastkirche
Nicht alles ist perfekt in diesem Projekt, an der ein oder anderen Stelle knirscht es noch. Toiletten wären schön, da sind sich die Verantwortlichen einig, schließlich verbringen die Menschen hier teilweise Stunden. Doch muss das wiederum finanziert und nicht zuletzt mit dem Denkmalschutz in Einklang gebracht werden. Und die Finanzierung erfolgt ausnahmslos über Spenden, etwa bei kulturellen Angeboten wie Konzerten. Auch eine bessere Küche wäre schön – am liebsten mit Spülmaschine. Denn wer Mittagessen sowie Kaffee und Kuchen serviert, bei dem fällt auch schmutziges Geschirr an. Wie wird das sauber? Marion Claßen kennt die Antwort aus eigener Erfahrung: „Alles in die Sakristei schleppen und da per Hand spülen.“
Angebote der Gastkirche St. Barbara
Das Kleiderstübchen im Gemeindehaus an der Barbarastraße 5 öffnet jeweils montags von 10 bis 12 Uhr und donnerstags on 15 bis 17 Uhr.
Ein gemeinsames Mittagessen bietet die Gastkirche jeweils dienstags von 13 bis 14.30 Uhr an.
Die Lebensmittelausgabe öffnet in der Barbarastraße 5 jeweils mittwochs um 10 Uhr.
Nachhilfe in der Gastkirche findet ebenfalls donnerstags zwischen 15 und 16 sowie zwischen 16.30 und 17.30 Uhr statt.
Kaffee und Kuchen gibt es in der Gastkirche immer freitags von 16 bis 17.30 Uhr und sonntags von 12.30 und 13.30 Uhr.
Diese Teilprojekte anzugehen, sind die nächsten Schritte. Doch zuvor muss noch eine Frage geklärt werden: Ende 2024, so hieß es zu Projektbeginn, werde der Kirchenvorstand von St. Laurentius entscheiden, ob es weitergeht mit der Gastkirche St. Barbara. Und? Geht es weiter? Gerade hat man einen Förderverein gegründet, der Spenden für das Projekt sammelt. Pater Thomas: „Die Entscheidung, wie es weitergeht, ist noch nicht gefallen. Wir sind dafür. Wir sind bereit. Wir sind willig. Und die Menschen freuen sich, wenn es weiterläuft.“
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