Essen. Ekat Cordes inszeniert „Alice im Wunderland“ im Essener Grillo-Theater als zeitlose Mut- und Freundschaftsgeschichte. Dazu gibt‘s viel Musik.
Erster Schultag in Essen und die blöde Direktorin brummt der neuen Schülerin „Alize“ gleich Nachsitzen auf. Die Mitschüler sind gemein, die Eltern haben sich getrennt und leben jetzt in verschiedenen Städten: Wer möchte da nicht mal durch ein Kaninchenloch schlüpfen und abtauchen in ein Land, in dem einem ein paar freundliche Freaks in abgefahrenen Klamotten zur Seite stehen? Im Essener Grillo-Theater hat Regisseur Ekat Cordes Lewis Carrolls Klassiker, szenisch gestrafft, als zeitlose Mut- und Freundschaftsgeschichte für die ganze Familie inszeniert. Die Premiere am Samstag, 9. November, wurde mit großem Applaus belohnt.
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Hân Nguyễn spielt die Alice. Nicht als niedliches Disney-Püppchen mit Schleife im Haar, sondern hoch beweglich als jungen Menschen mit leisen Selbstzweifeln, aber auch voller Neugier. Ein Handy hat diese Alice auch, an dem sie der gestresste Papa aber schnell wieder abwimmelt. Cordes‘ Inszenierung startet im Hier und Jetzt. Aber wenn Alice die erste Tür ins Wunderland öffnet, darf der graue Alltag draußen bleiben. Da treffen Kaninchen mit geringelten Strickschlappohren auf Zauberpilze und sprechende Blumen. Cordes hat der Geschichte von der Überwindung von Normen keinen identitätspolitischen Diskurs übergestülpt, sondern lässt der Fantasie freien Lauf.
Die schillernde Raupe will nicht Wurm genannt werden
Getreu dem Motto „Ticke Tacke Ticke Tacke. Alles hat hier eine Macke“ dürfen die Figuren in diesem Wi Wa Wo Wa-Wunderland ihre Träume leben und die Spleens zur Schau stellen. So kämpft die schillernde Raupe (mit schönem Sprachwitz: Ronald Radusch Gonzáles) damit, dauernd nur „Wurm“ genannt zu werden und ist doch auf dem Weg zum schönen Schmetterling. Die Grinsekatze ist bei Nicolas Matthews als blau-weiß gestreifter Kumpan mit Humor und Herz bestens aufgehoben. Und Philipp Noacks verrückter Hutmacher hat nicht nur coole Tanzmoves drauf, sondern zaubert auch so allerlei Weisheiten unter seiner verrückten Kopfbedeckung hervor.
Sita Messers zauberhafte Kostüme sind ein Hingucker. In Anbetracht all der wundersamen Szenerien, die Lewis Carrolls „Alice“ in den vergangenen Jahrzehnten schon durchschnitten hat, kocht der große Illusionsapparat Theater in Essen aber fast ein bisschen auf Sparflamme. Messers pastellfarbener Bühnenbild wirkt dabei wie eine Kreuzung aus halluzinatorischem Bilderrausch und Tiefseetraum, das sich auf der Drehbühne mit kleinen Nuancen immer wieder verwandelt. Mal entsteht da eine Mauer für das traurig abgestellte, aber gefühlvoll singende Ei Humpty Dumpty (Mona Sumaia Rode). Mal tut sich da ein Balkon wie eine DJ-Kanzel auf.
Cordes hat schließlich nicht nur eine eigene Fassung, sondern auch eigene Songs geschrieben. Sie sind nicht zwingend Ohrwurm-verdächtig und mitsingtauglich (Komposition Anton Berman), halten die Handlung aber munter im Fluss. Da wird gemeinsam das „loca loca balla balla halla walla Wunderland“ angestimmt. Und die Herzkönigin, die Bettina Engelhardt grandios in ihren Michelinfrauen-Anzug mit dick aufgepumpten Oberarmen stemmt, dreht an den Reglern wie eine eiserne Techno-Queen, die dauernd nur Köpfe rollen und Tränen kullern sehen will
Ein Land ohne Lachen will hier freilich niemand haben. Und auch wenn Cordes den Nonsens-Faktor der berühmten Kinderbuch-Vorlage nicht gerade aufs Äußerste ausreizt, bestimmen Zuversicht und Heiterkeit doch den Grundton der kurzweiligen Inszenierung (rund 80 Minuten ohne Pause). Am Ende ist das Erwachen für Alice jedenfalls alles andere als eine Ernüchterung. Ihr Ausflug ins Wunderland ist noch bis Ende Januar zu sehen. Zahlreiche Schulvorstellungen sind allerdings schon ausverkauft.
Tickets und Termine: Tel. 0201-8122-200 und online www.theater-essen.de
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