Essen. Bilanz nach den Pro-Palästina-Demos: drei Strafanzeigen, ein Irrtum und die Erkenntnis, dass Kundgebungen mitten auf der Straße okay sein können.
Mehrere Stunden lang beschäftigten zwei Pro-Palästina-Demonstrationen am Montagabend – und unfreiwillig auch viele Passanten. Im Nachhinein lichtet sich der Nebel um ein paar Fragen:
Welche Bilanz zieht die Polizei nach den Demonstrationen?
Die beiden Versammlungen in Altendorf und in der Stadtmitte mit alles in allem rund 280 teilnehmenden Personen verliefen „überwiegend friedlich“, so heißt es vonseiten der Polizei. Insgesamt gab es drei Strafanzeigen. Eine davon galt einem jungen Mann, der mit einem Transparenthalter einen anderen Demo-Teilnehmer und einen Polizisten geschlagen haben soll. Der Polizeibeamte wurde dabei leicht verletzt, der mutmaßliche Täter bei einem Zugriff kurzzeitig festgenommen. Entwischen konnte dagegen eine junge Frau, die in einer Rede geäußert hatte, der Terrorangraff der Hamas vom 7. Oktober 2023 sei „die Antwort auf die Besetzung“ gewesen. Die Polizei sah darin die Billigung einer Straftat, was wiederum zur Anzeige gebracht wird. Allerdings konnte die Frau im Zuge der Auflösung der Altendorfer Demo nicht zweifelsfrei identifiziert werden und so unerkannt entkommen, die Polizei setzt nun auf ihr umfangreiches Videomaterial.
Gab es die vermuteten verbotenen Parolen?
An Schmährufen gegen Israel, aber auch gegen deutsche Politiker, war kein Mangel. In den Demo-Auflagen für den Veranstalter waren diverse untersagte Parolen oder Abzeichen und Fahnen aufgeführt, doch wo die Grenze zwischen erlaubten und verbotenen Sprüchen verläuft, ist selbst für die Polizei offenbar nicht immer leicht nachzuvollziehen: ablesbar an dem Umstand, dass die Ordnungshüter in Altendorf von den Demonstranten verlangten, sie sollten ein Transparent mit der Aufschrift „Gegen Genozid und Besatzung! Freiheit für Palästina!“ einrollen. Die Kundgebungsteilnehmer kamen dem, wenn auch widerwillig, nach. Im Nachhinein räumt nun auch die Polizei ein: Strafrechtlich war das Transparent gar nicht zu beanstanden. Vielmehr hatte das Oberverwaltungsgericht in Münster noch im Dezember vergangenen Jahres entschieden, es sei „nicht ersichtlich, inwiefern die Parole ,Stoppt den Genozid/Völkermord‘ als ,Billigung‘ der Straftaten der Hamas, insbesondere des Terroranschlags vom 7. Oktober 2023, zu verstehen sein soll“.
Warum ließ die Polizei eine Kundgebung mitten auf der Altendorfer Straße zu?
Feierabend, alle wollen nach Hause, und dann dies: Um kurz vor sieben am Abend biegt der kleine Demonstrationszug von der Helenen- auf die Altendorfer Straße ein und hält in Höhe der Grieperstraße eine Kundgebung ab. Erst 55 Minuten später biegen die Demonstranten an der Bockmühle in die Hirtsieferstraße ein und geben damit die Altendorfer, eine der Hauptverkehrsadern in Fahrtrichtung Westen, wieder für den Verkehr frei. Während zumindest einige Autofahrer auf Schleichwegen davonkamen, sind vor allem Nahverkehrsnutzer genervt: Darf das sein, dass sie fast eine Stunde ausgebremst werden? Es darf, sagt Polizeisprecher Matthias Werk: Die Rechtsprechung stufe das Recht der Demonstranten zur besseren Wahrnehmbarkeit ihres Protestes höher ein als das Recht des Einzelnen, zügig unterwegs zu sein. Verkehrswege zeitweise zu blockieren, gehört dazu, „solange das nicht ausufert“.
Warum gibt die Polizei dann vorab nicht die Demo-Route detailliert bekannt?
Hier hält die Polizei sich mit Einzelheiten zurück, um möglichen Gegnern der Demonstration keine Störung des Demozugs zu ermöglichen. Im Übrigen, so Werk, hänge es von den Kooperationsgesprächen der Anmelder mit der Polizei ab, inwieweit sie bereit sind, mit ihrer Kundgebung auch die Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer so klein wie möglich zu halten. Dass sich da auch nicht immer alle einig sind, zeigt ein Vorfall gegen 21 Uhr, kurz vor Ende der Demonstration: Da hielt der Zug erneut mitten auf der Kreuzung von Altendorfer und Helenenstraße, eine geschlagene Stunde lang, diesmal allerdings unabgesprochen. Ein Demonstrant, der sich selbst als muslimischer Influencer bezeichnete und mäßigend auf die Gruppe einwirken wollte, bekam eins mit dem Transparenthalter auf den Kopf.