Essen. In der queeren „Divine Bar“ balancierte Essens schwul lebender Oberbürgermeister auf dem schmalen Grat zwischen Humor und Peinlichkeit.
Zu Gast bei einer Klamauk-Talkshow, in der die Moderatoren versuchen, höchst private Dinge hervorzukitzeln - für einen Politiker gibt es Termine, die weit weniger heikel sind. Umso bemerkenswerter, dass Oberbürgermeister Thomas Kufen zusagte, als ihn die Einladung auf das Glamour-Sofa von „Essens garantiert unseriöser Talkshow“ ereilte, die die beiden Drag- und Travestiekünstler Janïce und Maria in der „Divine-Bar“ in der Innenstadt zu etablieren versuchen. Es wurde, um das gleich zu sagen, streckenweise eine Gratwanderung, die der OB aber unfallfrei absolvierte.
Denn die Krux ist dies: Lässt sich ein Politiker mit Amt und viel Verantwortung in einem Interview allzu bereitwillig auf den Tonfall von Scherzkeksen ein, wirkt das schnell peinlich und der Würde des Amtes nicht angemessen. Bleibt er bierernst, kommt er wiederum unlocker und humorlos rüber. Kufen ist humorbegabt und liebt Ironie, aber als Rede-Profi weiß er eben auch, dass die Grenze zur Flapsigkeit fließend ist - und dass genau dort für einen Mann des öffentlichen Lebens die Fettnäpfchen lauern.
Essens Oberbürgermeister bei Drag-Künstlerin: Eindrücke im Video
Wie das Setting in der Divine-Bar war, sieht man hier im Video (auf „Externen Inhalt“ klicken, um es anschauen zu können)
Wie Thomas Kufen seinen Ehe-Alltag auf die Schippe nimmt
Gesucht war am Mittwochabend (2.10.) also der goldene Mittelweg. Schon bei anderen Gelegenheiten hat Thomas Kufen gerne den Alltag mit seinem Ehemann David Lüngen dosiert selbstironisch auf die Schippe genommen. Wohin er am liebsten mal reisen würde, will Janïce wissen: „Mein Mann bestimmt die Reiseziele“, so Kufen schmunzelnd. „Ich möchte gerne mal in die Toskana, doch da mein Mann da schon war, komme ich wahrscheinlich nie hin.“ Dass ihm Maria umgehend anbietet, ersatzweise doch mit ihm zu fahren, lässt Kufen dann lieber mal so stehen.
Wir erfahren dann noch, dass der im Publikum anwesende Gatte gern das Geschirr auf die Spülmaschine stellt statt gleich hinein (Kufen: „Die Tür geht offenbar erst auf, wenn ich da stehe“), dass der OB aus beruflicher Notwendigkeit Frühaufsteher ist („Der erste Termin ist nicht schön für mich, aber auch nicht für die anderen“), dass er morgens im Bad auf Musik verzichtet („Keine Zeit, ich bin Schnellduscher“) und als der für das Frühstück Zuständige hervorragend Spiegel- und Rührei kann.
Boxershorts oder „Eierkneifer“? Da zieht sich Kufen lieber politisch aus der Affäre
Bei der arg indiskreten Frage, ob er untenrum Boxershorts oder „Eierkneifer“ (O-Ton Janïce) bevorzugt, zieht sich Kufen schlagfertig mit einer Politik-Anspielung aus der Affäre: „Boxershorts sind nichts für Rechtsausleger“. Ebenso als Maria wissen will, wie alt er denn „beim ersten Mal“ gewesen sei: „Zum ersten Mal habe ich mit 18 an einer Wahl teilgenommen.“ Und warum benutzt er keinen Lippenstift? „Ich bin eine Naturschönheit“, so Kufen und erntet ordentlich Lacher im Publikum. Humor, der hier gut ankommt. Allerdings merkt man, wie dem OB ab und zu die Gesichtszüge entgleiten. Wohldosierter Humor kann auch sehr anstrengen.
Ob er an Gott glaube, ist dann eine Frage, die keine spöttelnde Antwort verträgt, wie der christdemokratische Instinktpolitiker weiß. Ja, er glaube an Gott, sagt er, und dass es richtig sei, sich für sein Handeln oder Nichthandeln bei einer höheren Instanz verantworten zu müssen. „Man sollte das Gute sein, das man selbst in der Welt sehen will“, variiert Kufen sehr ernst Kants kategorischen Imperativ vor einem in diesem Moment schweigsamen Publikum.
Zu weiteren politischen Plänen bleibt Kufen schweigsam
Hin und wieder wird es auch kommunalpolitisch: „Kann man für immer OB sein?“, fragt der/die blondmähnige Janïce mit unschuldigem Augenaufschlag. Da spitzt man dann doch die Ohren. „Wahrscheinlich geht das nicht, aber ich bin gerade eingearbeitet“, antwortet Kufen trocken. Dass der 51-Jährige spätestens nach einer möglichen dritten OB-Amtszeit politisch noch was anderes vorhaben könnte, glauben viele zu wissen. Aber in die Karten gucken lässt Kufen sich nicht, schon gar nicht hier. Man ist ja kein Anfänger.
Seinen sieben Jahre jüngeren Ehemann lernte Kufen übrigens 2004 beim Bundesparteitag der CDU in Düsseldorf kennen, gibt er noch zum Besten. Heute klingt das wenig spektakulär, doch vor 20 Jahren wurde Schwulsein in der Breite der CDU noch keineswegs für normal gehalten. Auf lokalen Terminen tauchte er früher oft mit einer vertrauten Parteifreundin auf, die mancher für seine Lebensgefährtin hielt.
Kufen hielt sich lange bedeckt, was seine sexuelle Orientierung betraf
Erst im OB-Wahlkampf 2015, als er gegen Amtsinhaber Reinhard Paß antrat, traute sich Kufen, seine sexuelle Orientierung zögernd und zunächst eher indirekt öffentlich zu machen. Der Berliner Regierende Klaus Wowereit („Ich bin schwul, und das ist auch gut so“) hatte da eigentlich schon lange den Bann gebrochen, doch blieb Kufen in diesem Punkt vorsichtig. Er gewann dann aber ohne Mühe, seine Homosexualität spielte keine Rolle, jedenfalls keine negative. Geheiratet mit allem Drum und Dran wurde dann - sicher ist sicher - erst kurz nach der Wahl.
Diese Episoden blieben indes ausgespart an diesem durchaus unterhaltsamen Abend in der Essener Queer-Szene, die auf der Viehofer Straße mit der Divine-Bar einen noch recht neuen Treffpunkt hat. Bleibt nachzutragen, dass neben Kufen die queere Pfarrerin Franziska Lindner aus Holsterhausen („Gott ist eine Frau“) auf dem Sofa Platz nahm, jedoch in der Gunst des Publikums neben dem Polit-Profi und Stadtoberhaupt ein wenig verblasste.
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