Essen-Kupferdreh. Sie saßen zu fünft in der Bank oder zogen Mädchen an den Zöpfen: Schüler erinnern sich oft gut an ihre Schulzeit. Ein Aufruf der Ruhr-Uni Bochum.

Kurz vor der Wiedereröffnung der Dilldorfschule werden nun Altschüler gesucht. Genauer: Ehemalige Schülerinnen und Schüler des Montessori-Zweiges der Dilldorfschule, die aus den 1940er und 1950er Jahren berichten können. So sieht es ein Projekt der Ruhr-Universität Bochum vor, um die Geschichten aufzuzeichnen, auszuwerten und für die Nachwelt aufzubewahren – besonders die Anekdoten.

Sie zogen Mädchen auf dem Schulhof an den Zöpfen und teilten sich manchmal zu fünft eine alte Klappbank. Bei Sirenengeheul rannten sie in den Flur, um den Schulhof für die Feuerwehr frei zu machen. Lehrer wiederum schauten penibel darauf, ob Fingernägel und auch Schiefertafel ihrer Schützlinge sauber waren. Immer wieder erinnern sich Essener Schüler an ihre Schulzeit, die Erinnerungen fallen mitunter in die Kriegs- oder Nachkriegszeit. Genau aus diesen Jahrzehnten sind nun auch die Erlebnisse derjenigen gefragt, die den Montessori-Zweig der Dilldorfschule besuchten. 

Ehemalige der Montessori-Klassen an der Dilldorfschule in Essen-Kupferdreh gesucht

„An der katholischen Dilldorfschule in Kupferdreh war dieser Zweig 1947 eingerichtet worden. Kinder sollten sich hier individuell entwickeln können“, berichtet Viktoria Gräbe. Sie ist eine der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen, die die geplante Lehrveranstaltung „Interdisziplinäre Zugänge zu mündlich erzählter Geschichte: Quellen und Methoden“ betreut.

Ein wenig zu ihrem Vorhaben beigetragen haben bereits frühere Lehramtsanwärter wie Luise Henkelmann (sie kam 1949 an die Dilldorfschule, wo sie eine zweite Klasse übernahm) und Peter Rijntjes. Er arbeitete bis zu seiner Versetzung an die Dilldorfschule Ostern 1947 an der Katholischen Heidbergschule. An der Dilldorfschule übernahm er eine erste Klasse, die nach der Montessori-Methode unterrichtet wurde.

Die drei haben damals eigene Bildungsmaterialien erstellt, anhand derer die Kinder selbsttätig und in ihrem eigenen Tempo lernen sollten. „Die beiden letzteren schildern dann eindrücklich in ihren Examensarbeiten zur zweiten Lehramtsprüfung, wie die Kinder auf die ungewohnte Pädagogik reagierten, die die jungen Lehrkräfte trotz widriger Umstände in der unmittelbaren Nachkriegszeit umzusetzen versuchten“, erzählt Viktoria Gräbe.

Sie hofft auf Ehemalige der Essener Dilldorfschule, die sich melden: Viktoria Gräbe von der Ruhr-Uni Bochum.
Sie hofft auf Ehemalige der Essener Dilldorfschule, die sich melden: Viktoria Gräbe von der Ruhr-Uni Bochum. © Gräbe

Die promovierte Wissenschaftlerin hat bereits 2021/22 erstmalig Seminare mit Studierenden durchgeführt, in denen die Erhebung und Auswertung von Interviews mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen im Fokus stand – damals noch an der Universität Hildesheim. Eine Schule in Celle stand im Mittelpunkt, und Gräbes Interesse an reformpädagogischen Schulen in der Nachkriegszeit erwachte. „Spannend finde ich die Frage danach, welche Akzeptanz die Schulen in der Bevölkerung hatten“, sagt sie. In Berlin führte sie auch selbst Interviews. Im Winter 2023 befasste sie sich dann an der Ruhr-Universität Bochum mit Bielefeld. Jetzt mit Dilldorf.

Ihr Weg führte sie nach Essen, da sie sich dafür interessiert, wie die Montessoripädagogik in der Nachkriegszeit umgesetzt wurde. „Von solchen Schulen gab es kaum mehr als eine Handvoll in meinem Untersuchungszeitraum“, sagt sie. Zudem sei die Erreichbarkeit für Bochumer Studierende ein wichtiges Kriterium gewesen. „Da lag Essen in doppelter Hinsicht nahe.“

Es interessieren die Anekdoten und Geschichten der ehemaligen Essener Schülerinnen und Schüler

Im Rahmen der Lehrveranstaltung werden Studierende unterschiedlicher Studiengänge im September die Ehemaligen interviewen und die Geschichte der Dilldorfschule in der Nachkriegszeit rekonstruieren. Details und genaue Abläufe des schulischen Alltags werden die Studierenden in den Interviews nicht erfragen – zu weit liegt die Schulzeit schon zurück. Vielmehr interessieren sie Anekdoten und Geschichten, die die ehemaligen Schülerinnen und Schüler mit der Dilldorfschule verbinden. Ebenso möchten die Studierenden erfahren, wie die weiteren Lebenswege der Schülerinnen und Schüler verlaufen sind.

Im Stadtarchiv Essen hat Viktoria Gräbe indes einige Akten zum Montessori-Zweig an der Dilldorfschule entdeckt: „Demnach war dieser auf Anregung von Prof. Helene Helming, die an der 1946 eröffneten katholischen Pädagogischen in Essen-Kupferdreh lehrte, 1947 eingerichtet worden.“ Der Montessori-Zweig habe dann in den nächsten Jahren als Übungsschule für die Lehramtsanwärter und -anwärterinnen fungiert.

Der Umbau und die Sanierung der ehemaligen Dilldorfschule sind nun abgeschlossen, sie wird als Gemeinschafstgrundschule reaktiviert.
Der Umbau und die Sanierung der ehemaligen Dilldorfschule sind nun abgeschlossen, sie wird als Gemeinschafstgrundschule reaktiviert. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

„Mich interessiert nun aber vor allem auch, an welche Erlebnisse und Lernerfahrungen die Schüler und Schülerinnen sich erinnern“, sagt Viktoria Gräbe. Wie hebt sich in ihrer Erinnerung die Zeit an der Dilldorfschule von anderen Schulerfahrungen ab? Wie wurde vielleicht auch zuhause über die Schule gesprochen? Wie ging es für sie nach der Dilldorfschule weiter?

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Wie es aktuell mit dem Standort weitergeht, der zuletzt Geflüchteten Unterkunft bot und dann lange leer stand, das steht fest: Die Dilldorfschule wird wegen der Raumnot an den Kupferdreher Schulen als Gemeinschaftsgrundschule reaktiviert. Nach einer langen Umbauphase hat die Stadt jetzt einen neuen Termin angekündigt: Der Umzug soll ab 12. August erfolgen, über den Zeitpunkt für einen Unterrichtsbeginn für die beiden geplanten vierten Klassen werden Eltern noch informiert.

Ehemalige des früheren Montessori-Zweiges können sich derweil sofort bei Viktoria Gräbe melden (0152-53178895 oder viktoria.graebe@rub.de). Noch habe sich niemand gefunden, sagt sie und hofft sehr auf den Erfolg ihres Aufrufes.

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