Essen-Rüttenscheid. Seit 25 Jahren Meisterin: Warum Ulrike Strelow froh ist, auf ihre Mutter gehört zu haben – und wie die Handwerkskammer sie ehrt.
Eigentlich wollte Ulrike Strelow nach dem Abi „irgendetwas mit Werbung oder Marketing“ machen. Ein BWL-Studium schien zunächst eine gute Idee, „bis ich dann festgestellt habe, dass das so gar nicht meins ist“. Es folgten: eine kurze Auszeit in Namibia – und die Rückbesinnung auf einen Rat ihrer Mutter Ulrike. Die hatte ihr damals einen Artikel über die Hamburger Modistin Elke Martensen vorgelegt und gemeint: „Das könnte doch etwas für dich sein.“ Sie sollte Recht behalten.
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Heute ist Ulrike Strelow mit Anfang 50 eine mehrfach ausgezeichnete Hutmacherin, eine von gerade rund 240 Modisten in Deutschland. Dieser Tage hat sie von der Handwerkskammer Düsseldorf ihren silbernen Meisterbrief erhalten: 25 Jahre ist es her, dass die Essenerin ihre Meisterprüfung abgelegt hat. Seit 24 Jahren hat sie eine eigene Hut-Manufaktur in Rüttenscheid, zunächst am Wehmenkamp, seit 2007 an der Hedwigstraße unweit des Rüttenscheider Marktes.
Genau das richtige Pflaster für ihr doch nicht ganz alltägliches Angebot. Weil die Nachbarschaft stimmt, sagt sie. „Rüttenscheid ist ein attraktiver Stadtteil, hier gibt es tolle Läden und schöne Gastronomie, hier kann man einfach wunderbar shoppen.“ Ihre Kundschaft indes kommt nicht allein aus den südlichen Stadtteilen, sondern aus ganz Essen und dem weiteren Umfeld. Sie alle eint: der Mut zum Hut, die Freude am Besonderen und an handwerklicher Qualität.
Leidenschaft der Essener gilt den Anlasshüten
Und Hut ist längst nicht gleich Hut. Da gibt es Mützen, Aufschlag- und Filzhüte. Trilbys, Basken, Schiffchen und Cloches. Panamahüte, Schieberkappen, Strohhüte, Flatcaps und Hatinators, die großen Brüder der winzigen, delikaten Fascinators, die mit einem Gummi oder einer Spange im Haar befestigt werden. Strelows große Leidenschaft allerdings sind sogenannte Anlasshüte. Also Hüte für Hochzeiten, aber auch für Taufen, große Familienfeiern, fürs Theater und ja: auch für Ascot.
Das britische Sportereignis ist der Inbegriff für Eleganz und gehobene gesellschaftliche Etikette. Ohne Hut geht in Ascot gar nichts. Und Hut meint Extravaganz. Was hier bei den Damen auf den Kopf kommt, erinnert an fein durchdachte Skulpturen. „Tatsächlich habe ich in einem Jahr mal fünf Hüte für Ascot gefertigt, normalerweise sind das so ein, zwei. Das war toll. Mir macht dieses kreative Arbeiten wirklich Freude. Ich lasse mich da vom Material leiten, schaue einfach mal, wohin es mich führt – und welcher Hut letztlich dabei entsteht.“
Gefertigt werden in der Rüttenscheider Manufaktur vor allem Damenhüte. Zum einen, weil der Herrenbereich, mal abgesehen von dezenten Bändern, ohne aufwendiges „Tütü“ auskommt, „was einfach nicht so spannend ist“. Zum anderen, weil es bei den Herren unterschiedliche Größen gibt und ein Modell daher in mehreren Versionen angefertigt werden müsste. „Das ist für einen kleinen Betrieb sehr aufwendig.“ Strelow beschränkt sich daher auf die Herstellung von Kappen und Schiebermützen und ergänzt das Angebot durch Herrenhüte namhafter Hersteller.
Fertigt sie selbst ein Modell, braucht die Modistin durchschnittlich ein bis drei Wochen pro Hut. Je nach Aufwand und Ausgestaltung. Übers Jahr entstehen so einige hundert Hüte – manchmal auch für Theaterproduktionen wie „Das Phantom der Oper“. Und dann gibt es da noch jene Kunden, die mit einem Foto kommen – und genau so einen Hut haben möchten. „Das ist immer ein wenig schwierig. Denn man hat hier einen Hut nur aus einem Blickwinkel und auf dem Kopf einer fremden Frau.“
Im Rüttenscheider Fachgeschäft zählt die Beratung
Den richtigen Hut zu finden, das bedeutet für die Rüttenscheider Modistin vor allem gute Beratung. Einen Online-Shop hat Strelow daher nicht. „Ein Hut muss passen, und er muss gefallen. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn ein Hut nicht getragen wird. Oder sich Kunden von ihrer Begleitung zu einem bestimmten Modell überreden lassen. Man sollte den Hut nehmen, mit dem an sich selbst gefällt.“
Inspirationen für die Farbgestaltung, die Kombination von unterschiedlichen Materialien, die Ausgestaltung holt sich die Hutmacherin bei Instagram und aus dem Alltag. Da können dann auch schon einmal Möbel zu einer Kreation inspirieren. An ihr Meisterstück vor 25 Jahren erinnert sich Strelow allerdings nur noch vage. „Das war handwerklich gut, war aber sicherlich nicht der tollste Hut, den ich je gefertigt habe.“ Der entstand tatsächlich während der Pandemie. Damals belegte Strelow einen Online-Workshop bei einer britischen Modistin und fertigte einen jener skulpturalen Hüte, die in die Kategorie Ascot fallen. Mittlerweile ist die Kreation verkauft.
Aktuell arbeitet Strelow gemeinsam mit einer Gesellin. In der Vergangenheit hat die Meisterin auch ausgebildet, aktuell pausiert sie damit. Zum einen haben sich die Rahmenbedingungen geändert, „die Berufsschule ist von Essen nach Düsseldorf gewechselt“. Zum anderen fehlte es zuletzt an geeigneten Kandidaten. „Vor zehn, 15 Jahren habe ich noch richtig viele und richtig qualifizierte Bewerbungen bekommen. Mittlerweile ist das leider nicht mehr so.“ Wer sich für den Beruf der Hutmacherin interessiere, müsse „nicht perfekt mit der Nähmaschine umgehen können, das lernt man; aber es braucht schon handwerkliches Geschick“. Und nicht zuletzt Lust, sich von Filz, Federn, Stoffblüten, Spitze, Schleiern, Kordeln, Perlen, Samt oder Borten bei der Ausarbeitung leiten zu lassen.
Großes Lager mit Material in Rüttenscheid
Bei der Auswahl dieser Materialien, sagt Strelow, sei sie übrigens durchaus anspruchsvoll. Was nach 25 Jahren im Handwerk eine weitere Herausforderung ist. Spezielle Ripsbänder einer deutschen Traditionsweberei beispielsweise werden mittlerweile nur noch in Standardfarben produziert. „Das heißt, alles andere ist tatsächlich weg, wenn ich es aufgebraucht habe. Diese Farben sind mit einem roten Punkt markiert, damit die wirklich nur ganz bewusst genutzt und nicht verschwendet werden.“
Strelow schweigt einen kurzen Moment, blickt lächelnd in ihr kleines Atelier mit den randvollen Regalen und gesteht dann: „Nach all den Jahren bin ich wirklich ein bisschen zimperlich bei den Sachen, mit denen ich arbeite. Man hat sich an vieles gewöhnt. Aber ich habe ein sehr großes Materiallager – hier, in einem Keller und in einem weiteren Lagerraum. Das reicht noch für die nächsten 40 Jahre.“ Der goldene Meisterbrief scheint also so gut wie sicher.
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