Essen. Das Gehaltsplus im öffentlichen Dienst bedeutet für die Stadt eine millionenschwere Kraftanstrengung. Und noch sind nicht alle Kosten bekannt.
Wenn zwei Stoffteile so knapp aneinander genäht werden, dass – sollte man mal ein paar Kilo zulegen – keine Reserve mehr zur Verfügung steht, dann ist das Teil sprichwörtlich „auf Kante genäht“. Eine Formulierung, die seit vielen Jahren zum angestammten Dienst-Vokabular der Kämmerer in Essen gehört. Dieser Tage ist der Stoff, aus dem die städtischen Finanzen sind, mal wieder zum Zerreißen gespannt. Grund: der jüngste Tarifabschluss im öffentlichen Dienst.
Was beschlossen wurde
Das Ergebnis der Tarifverhandlungen sieht folgende Regelungen mit einer Laufzeit bis Dezember 2024 vor: 3000 Euro steuerfreie Zahlung / Inflationsausgleich (1.240 € im Juni 2023, ab Juli 2023 bis Februar 2024 220 € pro Monat)Zunächst gibt es einen Sockelbetrag von 200 € ab März 2024, anschließend eine Lohnerhöhung von 5,5 % ab März 2024, Mindestbetrag 340 Euro. Ausbildungsentgelte 1500 € steuerfreie Zahlung / Inflationsausgleich (620 € im Juni 2023, ab Juli 2023 bis Februar 2024 110 € pro Monat) Erhöhung von 150 € ab März 2024
Denn was Bus-Fahrerinnen und Sachbearbeiter, Kindergärtner und all die anderen erleichtert haben dürfte, weil sie endlich wieder Land sehen im eigenen Portemonnaie, hinterlässt eine schwere Last im Essener Stadt-Etat. Allein dieses Jahr kalkuliert man im Rathaus mit Mehrkosten fürs Personal von rund 16,1 Millionen Euro. Eingeplant sind bislang aber nur knapp 5,5 Millionen, so wie das Land dies ursprünglich empfohlen hatte.
OB Kufen: „Das Ergebnis zeigt, dass es sich alle Seiten nicht einfach gemacht haben“
Mehr als zehn Millionen Euro müssen also irgendwie anderweitig aus dem Zahlenwerk gepresst werden, eine echte „Kraftanstrengung“, nennt es Oberbürgermeister Thomas Kufen, der sich mit Klagen aber nicht lange aufhalten mag, denn: „Das Ergebnis zeigt, dass es sich alle Seiten nicht einfach gemacht haben.“ Auch Stadtkämmerer Gerhard Grabenkamp spart sich jede Nörgelei am teuersten Tarifabschluss seit Jahrzehnten: „Dass es teurer werden würde, damit war ja zu rechnen.“
Die relative Gelassenheit, die Kufen wie Grabenkamp an den Tag legen, mag auch damit zusammenhängen, dass sich zumindest für 2023 bereits abzeichnet, woher das Geld kommen soll. Zwar hatte die Stadt beim Etat 2023 nur mit einem Überschuss von gerade mal 1,7 Millionen Euro geplant – ein ausgesprochen bescheidenes Polster angesichts eines Haushalts, der Einnahmen und Ausgaben in einer Größenordnung von 3,6 Milliarden enthält.
Erst 2024 schlägt das Tarifergebnis richtig durch: mit über 25 Millionen Euro
Doch die Gewerbesteuer, sie sprudelt in diesem Jahr offenbar deutlich stärker als noch vor wenigen Monaten vermutet. Kämmerer Grabenkamp ist deshalb nach eigenem Bekunden „vorsichtig optimistisch“, dass er keine einschneidenderen Maßnahmen wie etwa eine Haushaltssperre verkünden muss und hofft auf einen belastbaren Trend nach der Steuerschätzung im Mai: „Eine Entwarnung ist das aber noch nicht.“
Ohnehin, so der städtische Finanzchef, scheint das kommende Jahr das deutlich schwierigere. Denn da fällt der Überschuss im Stadt-Etat erstens noch einmal knapper aus, beträgt alles in allem gerade mal 900.000 Euro. Zweitens schlägt das Tarifergebnis dann erst richtig durch, mit Mehrkosten von 25,4 Millionen Euro. Und drittens dürften dann neben den höheren Gehältern für die 7900 Beschäftigten zusätzliche Kosten für die gut 2400 Beamten anfallen, für die ja erst im Dezember die Verhandlungen beginnen.
Personalabbau ist keine Lösung: „Wir suchen ja gerade händeringend Personal“
Bei alledem muss die Stadt damit rechnen, dass der Tarifabschluss auch an anderen Stellen des Haushalts, jenseits der Kernverwaltung, noch durchschimmert: Womöglich steigende Verluste bei der Ruhrbahn, den Entsorgungsbetrieben oder anderen städtischen Tochterfirmen sind in der Rechnung nämlich noch gar nicht eingepreist.
Den steigenden Ausgaben mit Personalabbau zu begegnen, so wie vor Jahren üblich, gilt übrigens nicht mehr als Lösung, im Gegenteil: „Wir suchen ja gerade händeringend Personal“, sagt Kämmerer Grabenkamp angesichts der schon jetzt spürbaren Rekrutierungs-Probleme – und geburtenstarker Jahrgänge im Vorruhestandsalter. Und wo durch die Digitalisierung städtischer Dienstleistungen der eine oder andere Job überflüssig wird, spare man sich allenfalls die mühsame Suche nach kompetenten Nachfolgern.
Die fehlende Regelung für die Altschulden gilt nach wie vor als „tickende Zeitbombe“
Parallel dazu sorgen die steigenden Zinsen dafür, dass das finanzielle Kostüm derzeit arg spack sitzt. Grabenkamp wartet deshalb händeringend auf eine Lösung des Altschulden-Problems, wie vom Land versprochen, aber noch nicht auf den Weg gebracht. Eine „tickende Zeitbombe“ sei das, seufzt Grabenkamp.
Als Kämmerer muss man auch diesen Vergleich seit Jahrzehnten drauf haben. Bis auf weiteres.