Essen. Trotz Krieg und Krisen, die sich auch finanziell niederschlagen, steht die schwarze Null im Haushalt. Bei den Altschulden aber brennt die Lunte.

Als die Stadtspitze am Mittwoch den Haushalt für 2023 präsentierte, da fehlte auf den Tischen was: Erstmals bekam die Politik das zentimeterdicke Zahlenwerk mit tausenden Etat-Positionen nicht mehr als kiloschwere gedruckte Schwarte, sondern muss sich jetzt per Internet-Link papierlos schlau machen. Ein kleiner Sparbeitrag für einen großen Haushalt, bei dem es trotz aller Krisen zwischen Krieg und Corona gelungen ist, unterm Strich eine hauchdünne schwarze Zahl zu schreiben.

Einstimmiger Appell in der Energiekrise

Einstimmig ohne jede Enthaltung beschloss der Rat der Stadt am Mittwoch eine Resolution unter dem Motto „Gemeinsam durch die Energiekrise“, die als „Weckruf“ für Bund und Land gemeint ist.

Darin heißt es unter anderem, man appelliere an die Landes- und Bundesregierung sowie an die Gremien der Europäischen Union (EU), die Städte und Gemeinden in der Energiekrise verstärkt zu unterstützen.

Die Stadt und ihre Beteiligungsgesellschaften könnten die Last der sich vervielfachenden Energiepreise „ohne weitere Hilfe nicht alleine stemmen“, geschweige denn das Szenario von Lieferengpässen bestimmter Energieträger kompensieren.

Um die Versorgung sicherzustellen und den in ihrer Existenz bedrohten Bürgerinnen und Bürgern sowie auch den Unternehmen der Stadt „einen greifbaren, sicheren Weg durch diese herausfordernden Zeiten“ aufzuzeigen, dringt der Rat auf einen Schutzschirm.

Aufgespannt und finanziert werden soll dieser durch die vereinten Anstrengungen sämtlicher staatlicher Ebenen.

Und zwar, ohne Steuern oder Abgaben zu erhöhen: Angesichts der Rahmenbedingungen „eine große Leistung“, findet Oberbürgermeister Thomas Kufen, für den die „schwarze Null“ alles andere als ein Selbstzweck ist. Vielmehr böten nur Stadtfinanzen im Lot die Chance, über Einnahmen und Ausgaben zu entscheiden, ohne dass einem die Kommunalaufsicht hineinregiert.

Bei einem Volumen von rund 3,6 Milliarden Euro bleiben gerade mal 9,5 Millionen übrig

Dass der Etat zum siebten Mal in Folge ausgeglichen und die Stadt seit 2021 auch nicht mehr überschuldet ist – „auf diese Essener Erfolgsgeschichte können wir zurecht stolz sein“, findet der städtische Finanzchef Gerhard Grabenkamp. Er macht allerdings auch keinen Hehl daraus, wie knapp da auch für 2023 wieder einmal kalkuliert wurde: Bei Einnahmen und Ausgaben in einer Größenordnung von rund 3,6 Milliarden Euro – 281 Millionen mehr als im Vorjahr – bleibt zum Ende des kommenden Jahres ein Plus von gerade mal 9,5 Millionen Euro übrig. Das sind bescheidene 0,26 Prozent des Volumens.

In den kommenden vier Jahren sollen insgesamt 325 Millionen Euro für den Schulbau fließen – das sind 70 Prozent aller städtischen Baumaßnahmen.
In den kommenden vier Jahren sollen insgesamt 325 Millionen Euro für den Schulbau fließen – das sind 70 Prozent aller städtischen Baumaßnahmen. © Stadt Essen

Immerhin, angesichts der Rahmenbedingungen erstaunt, dass sich für viele Mehrbelastungen noch Geld im Stadtsäckel fand: 2,5 Millionen Euro für die Unterbringung von Schutzsuchenden aus der Ukraine, die durch Bundesmittel nicht aufgefangen werden, 20 Millionen als Risikovorsorge für explodierende Energiepreise, weitere 6 Millionen für die drastisch gestiegenen Baupreise.

Stadtkämmerer Gerhard Grabenkamp warnt vor: „Es braut sich ein Sturm zusammen“

Mehr denn je sorgt sich der Stadtkämmerer allerdings um die spürbar steigende Zinsbelastung, die bei den Liquiditätskrediten (dem städtischen „Dispo“) in Höhe von 1,7 Milliarden Euro schnell zweistellige Millionenbeträge erforderlich macht. Knapp 12 Millionen Euro hat man mal vorsichtshalber berücksichtigt, aber wer weiß schon, wie hoch die Zinsen tatsächlich noch steigen?

Zusammen mit dem drohenden Absturz der Konjunktur und steigenden Preisen eine brisante Entwicklung. Grabenkamp warnt: „Es braut sich ein Sturm zusammen, der unseren eingeschlagenen Kurs solider Finanzen in den nächsten Jahren auf eine sehr harte Probe stellen wird.“

Der Satz geht in Richtung der Politik, auf dass diese sich zurückhalten möge mit allzu ehrgeizigen Plänen für größere Mehrausgaben oder zusätzliche kommunale Leistungen, deren Finanzierung nicht an anderer Stelle im Haushalt kompensiert wird.

Wohin steuert der öffentliche Nahverkehr in Essen? Bei einem Zuschuss von 80 Millionen Euro, so signalisiert die Stadt jetzt jedenfalls, ist die finanzielle Schmerzgrenze der Stadt erreicht.
Wohin steuert der öffentliche Nahverkehr in Essen? Bei einem Zuschuss von 80 Millionen Euro, so signalisiert die Stadt jetzt jedenfalls, ist die finanzielle Schmerzgrenze der Stadt erreicht. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Kein Spar-Haushalt, sondern ein Zahlenwerk, „so vielfältig und bunt wie unsere Stadt“

In den vergangenen Jahren gelang es zwar ein gutes Stück vom Schuldenberg abzutragen, rund 713 Millionen alles in allem. In diesem Jahr musste die Stadt wegen der Corona-Pandemie die Entschuldung jedoch aussetzen und auch 2023 wird es wohl ähnlich laufen. Umso wichtiger sei es, dass Land und Bund sich „so schnell wie möglich“ auf eine Lösung für die kommunalen Altschulden verständigten: „Jetzt besteht noch die Chance zum Handeln, denn das Zeitfenster für eine Lösung (...) schließt sich immer schneller.“

Bei alledem versucht der städtische Kassenwart dennoch den Eindruck zu vermeiden, die Stadt hätte da einen ausgepressten Spar-Haushalt vorgelegt, im Gegenteil: Das Zahlenwerk sei „so vielfältig und bunt wie unsere Stadt: Wir können auch 2023 viel bewegen.“

Noch einmal deutlich mehr Geld für die Ruhrbahn, aber „die Grenze ist erreicht“

Wo die Stadt besonders aktiv werden will, skizzierte Oberbürgermeister Thomas Kufen für zehn Handlungsfelder – allen voran Bildung und Sicherheit, aber auch Digitalisierung und Innenstadt, Energiesicherheit und Klimaschutz, Sport und Kultur.

Manches wird dabei möglich gemacht, neue Schulen und Kitas gebaut, die Feuerwehr gestärkt, das Radwegenetz ausgeweitet. Allerdings räumt Kämmerer Grabenkamp auch ein, dass die Stadt bei der Mobilitätswende vor den Grenzen der eigenen finanziellen Möglichkeiten steht. Es sei zwar gelungen, den städtischen Zuschuss für die Ruhrbahn im kommenden Jahr um rund 12,3 Mio. Euro auf dann insgesamt 80 Millionen Euro zu erhöhen. „Damit ist jedoch die Grenze, die der städtische Haushalt finanzieren kann, bereits erreicht.“

Oberbürgermeister Kufen mahnt: „Wohlstand und Sicherheit sind keine Naturgesetze“

Bei allem Optimismus also: Die Finanzlage der Stadt hat ihre Grenzen, „und es zeigt sich“, so der OB, „dass Wohlstand und Sicherheit eben keine Naturgesetze sind. Im Gegenteil: man muss etwas dafür tun. Das ist harte Arbeit.“

Und vieles hänge eben am weiteren Verlauf der aktuellen Krisen: „Wir brauchen weniger Gießkanne, mehr zielgerichtete Hilfen; mehr entschiedenes Handeln, weniger parteipolitische Spielchen“, mahnte Thomas Kufen. Die gesamte Gemengelage sei „dazu angetan, denen in die Hände zu spielen, die unsere Gesellschaft spalten wollen“. Umso wichtiger sei ein nüchterner Blick auf die Finanzlage: „Nicht das Erzählte reicht, sondern das Erreichte zählt.“