Essen. Die Veranstaltung auf Zeche Carl bot drei Tage lang ein beeindruckendes Programm. Erstmals war kein Saxophon zu hören, aber umso mehr Schlagzeug.
- Drei Tage lang trafen sich Musikfreunde in der Zeche Carl zum „JOE-Festival“.
- Auf die Besucher wartete so manche Überraschung.
- Musiker aus verschiedenen Ländern waren zu Gast in Essen.
Jazz ist, wenn Saxophon dabei ist. Das wissen selbst jene, die ansonsten vom Tuten und Blasen des Genres nur wenig Ahnung haben. Doch selbst Kenner staunten drei Tage lang in der Zeche Carl in Essen-Altenessen über ein Phänomen, das man in bald 30 Jahren „JOE-Festival“ noch nie erlebt hatte.
Kein einziges Saxophon weit und breit, selbst das Blech war mit nur einer Trompete und gerade mal zwei Posaunen höchst sparsam vertreten. Mit der Folge, dass man im Wortsinn „bekloppt“ wurde – und zwar von höchst unterschiedlich trommelnden Schlagzeugern, denen die beiden Festivalmacher Simon Camatta und Patrick Hengst mit unverkennbarem Fokus auf eigene Vorlieben ihr hochwertiges Programm gewidmet hatten.
Jazzig war’s auch ohne Tröten, wobei das Angebot von zartester Kammermusik über filigrane Improvisationsartistik bis hin zu frickeligen Noise-Attacken reichte. Mit jenen („Lasst Euch die Ohren freispülen“, so Patrick Hengst) eröffnete der Berliner Drummer Oli Steidle mit der Gitarristin Steffi Narr am traditionell verhalten besuchten Donnerstagabend, 23. Februar, das JOE-Festival. Mit mächtig treibenden, oft elektronisch angefetteten Beats, die sich mit der gewitzt aufgebohrten E-Gitarre zu opulenten Klanggewittern verwoben. Das Energielevel war hoch, der Erlebniswert durchwachsen, dafür aber einzigartig, wie sich im Rückblick zeigt.
Schlagzeuger standen im Mittelpunkt des Essener Jazz-Festivals
Denn fortan ging es deutlich verhaltener zur Sache. Wenn man davon absieht, dass Freitagnacht „Tutti Bounce“, ein Ableger der Band „Seeed“, mit beinhartem Reggae die Kaue rockte – ohne weiteren Erfolg, weil kaum wer tanzte. Während der heimische Keyboarder Felix Waltz, dessen Ego so groß ist wie seine Zuckerwatte-Frisur, mit gleichnamiger Band ambitioniert zwischen Retro-Synthi-Sounds, Neo-Fusion und Getöse changierte. Wofür Kulturdezernent Muchtar Al Ghusain das schöne Wort „zerklüftet“ fand; wir dagegen hörten lauter Puzzleteilchen, die zu keinem Gesamtbild fanden.
Wie das ganz ohne Schlagzeuger gelingt, hatte da schon das originell besetzte Quartett „Hilde“ demonstriert. Mit sensationellem Timing fügten sich Geige, Cello und Posaune hinter einer Gesangsstimme zu poetischen, kammermusikalischen Preziosen, deren pastellige Intensität schlicht und ergreifend für Jubel sorgte. Ein bewegender Festival-Höhepunkt, den freilich der dänische Star-Gitarrist Jakob Bro mit seinem prominent besetzten Trio prompt toppte.
Da kredenzte der norwegische Trompeter Arve Hendriksen duftige Melodiegespinste, die von fein modulierten, zwischen Folk und Moderne schillernden Gitarren-Klängen ganz zart unterlegt wurden. Allein schon imposant, doch zur Kostbarkeit veredelte erst der katalanische Drummer Jorge Rossy das delikate Geschehen. Jenseits aller Zeitstrukturen raschelte, klingelte, klopfte er dermaßen reduziert, dass allen das Herz vor Freude hüpfte. Ein traumhaftes Erlebnis.
Positives Fazit nach drei Festivaltagen in der Zeche Carl
Da konnten selbst so famose Kollegen wie Michael Vatcher und Cees Smith am Samstag, 25. Februar, nicht mithalten. Ersterer fabrizierte mit der meist im Saitenkasten aktiven Pianistin Sophie Agnel flirrende Klangräume, die Joke Lanz als kunstvoller Plattendreher feinfühlig beseelte – ein spannendes Impro-Abenteuer. Und ein attraktiver Kontrast zum Finale des US-Pianisten Craig Taborn, der wie Cees Smith gelegentlich zur Elektronik griff, während die famose Cellistin Tomeka Reed den komponierten Reigen meist zupfend strukturierte. Eindrucksvoll, spürbar intellektuell geprägt, aber kein Vergleich zu Jakob Bros emotionaler Überwältigungskraft.
Zufriedenes Fazit nach drei tollen Tagen: Unter den europäischen Kleinfestivals ist das JOE-Festival inzwischen eines der Größten; nur das Publikum hat das noch nicht ganz mitbekommen.