Essen.. Längst wissen nicht nur Einheimische, wie angenehm man in den alten Bergarbeitersiedlungen von Essen-Karnap leben kann.

Es gab Zeiten, da konnte man in der Matthias-Stinnes-Siedlung für kleines Geld ein altes Bergmannshaus kaufen. Das ist lange vorbei, wer hier heute heimisch werden will, der muss deutlich tiefer in die Tasche greifen. Karnap ist zwar der nördlichste Essener Stadtteil, und Norden ist in Essen eine Himmelsrichtung, die mancher prekär findet. Aber es hat sich herumgesprochen, dass man in Karnap gut leben kann.

Einer, der aus Karnap nicht mehr weg will, ist Turgay Tahtabas. Vor neun Jahren zog der gebürtige Türke mit seiner Frau und drei Kindern in eines der Zechenhäuser und baute es nach und nach mit viel Eigeninitiative und der Hilfe von Nachbarn zu einem Schmuckstück um. „Das ist typisch für unsere Siedlung“, sagt sein Freund Michael Schwamborn, der ebenfalls hier lebt. „Wir halten zusammen und sind eine richtig gute Gemeinschaft“, ergänzt Tahtabas. Bei mindestens acht Nationen ist das durchaus beachtlich: Polen, Spanier, Italiener, Russen, Türken, Araber und Deutsche fallen dem 49-jährigen Tahtabas ein, der persönlich so etwas wie ein Musterbeispiel gelungener Integration ist.

Mehr ein großes Dorf als ein Stadtteil

Natürlich hätte das auch anderswo als in Karnap so kommen können. Aber das spezielle Klima in diesem bodenständigen, sozialdemokratisch geprägten und dabei bürgerlichen Stadtteil hat das vermutlich befördert. Wenn man mit Tahtabas und Schwamborn durch Karnap läuft, wird das Miteinander spürbar. Karnap ist mehr ein großes Dorf als ein Stadtteil: Man kennt sich, man schätzt sich, man hat Zeit für ein Schwätzchen, und Turgay Tahtabas gehört ganz selbstverständlich dazu.

31 verschiedene historische Haustypen

Mehrere Straßenzüge umfasst die Siedlung Matthias Stinnes, einige so original erhalten, dass man ohne weiteres einen Bergarbeiterfilm um 1900 drehen könnte – nur die Autos müssten weg, und den Asphalt müsste man mit Lehm verdecken. Von Monotonie übrigens keine Spur: 31 verschiedene historische Haustypen hat Michael Schwamborn gezählt. Er ist Vorsitzender der 800 Mitglieder starken Mieter- und Eigentümer-Initiative ist und sitzt für das Essener Bürgerbündnis (EBB) im Rat der Stadt.

Gerät zur Zähmung von Pferden


Die Wappengeschichte Karnaps beginnt im 14. Jahrhundert mit dem Wappen der Familie von Carnap – so schrieb sich die ehemalige Bauernschaft übrigens noch bis 1910. Der ländliche Hintergrund erklärt auch das Wappen, das eine silberne Pferdeprame mit silberner Schnur zeigt - ein recht brutales Gerät zur Zähmung von Wildpferden, die im alten Emscherbruch nicht selten waren. Ab 1808 gehörte Karnap der Bürgermeisterei Altenessen an. Bei der Eingemeindung Altenessens nach Essen wurde Karnap 1915 für kurze Zeit selbstständig, um 1929 dann doch zu Essen zu kommen.

Straßen, denen man Konflikte und Vernachlässigung ansieht

Mit der Integration klappt es allerdings nicht bei jedem so gut, auch die Arbeitslosigkeit ist ruhrgebietstypisch hoch, und es gibt Karnaper Straßen, denen man Konflikte und Vernachlässigung ansieht. Ein Fehlschlag war laut Schwamborn etwa die Ansiedlung von teils dubiosen Gebrauchtwagenhändlern auf dem alten Bahngelände an der Boyer Straße. Das sei gut gemeint gewesen, um den wilden Automarkt zu kanalisieren, aber leider gebe es dort nun manchmal im Tagesrhythmus Razzien und Festnahmen.

Karnap ist schön, aber natürlich keine reine Idylle. Solange es tatkräftige Stadtteilpatrioten wie Tahtabas und Schwamborn gibt, muss man sich aber wohl keine allzu großen Sorgen machen. Läuft schon!

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