Essen.. Suchtkranke putzen jetzt in Essen die Szene-Treffs der Innenstadt und bekommen dafür bis zu drei Flaschen Bier am Tag ausgeteilt. Darf man das? Die Passanten in der Innenstadt sind geteilter Meinung über das Projekt der Suchthilfe. Eine Umfrage am Willy-Brandt-Platz.
Die Fernsehsender kümmern sich wieder um andere Bilder: Der große Medienrummel ist abgeklungenen um das „Pick up“-Projekt der Essener Suchthilfe. Die fünf schwer suchtkranken Teilnehmer können in aller Ruhe durch die Innenstadt ziehen und die Szene-Treffpunkte der Trinker, Junkies und Obdachlosen sauber machen. Und sich danach wieder über 1,25 Euro in der Stunde, eine warme Mahlzeit, Tabak – oder bis zu drei Flaschen Bier freuen.
Es ist vor allem der Ausschank von Alkohol, der dem aus Amsterdam übernommenen Projekt sogar weltweite Aufmerksamkeit beschert hat. Darf man Suchtkranke mit dem Besen durch die Stadt ziehen lassen und sie mit Bier bezahlen? Fragt man die Menschen in der City, sind die Antworten zwiegespalten.
„Wirkt befremdlich“
„Die erste Reaktion ist: Hilfe, die bekommen Alkohol“, sagt Rosie Ploeger, die zusammen mit ihrer Enkelin Ninka auf dem Willy-Brandt-Platz unterwegs ist. „Das wirkt schon befremdlich. Aber Sucht ist eine Krankheit, vielleicht kann man den Menschen eben so helfen.“ Auch ihre Enkelin ist unentschlossen: „Das ist eine schwierige Frage. Man sollte den Leuten lieber den Mindestlohn zahlen, damit sie sich selbst ein geregeltes Leben aufbauen können. Klar, von dem Geld könnten sie sich wieder Alkohol kaufen – am Ende landet man wohl immer beim Bier.“
Der Marktforscher Erik Scholz steht jeden Tag beruflich auf dem Willy-Brandt-Platz und hat dabei den besten Blick auf den Trinker-Treff am Eingang zur U-Bahn. „Ich finde, dass ist eine gute Idee, solange die Aktion freiwillig bleibt“, sagt er. „Es ist eine Möglichkeit an die Menschen heranzukommen, vor allem eine ehrliche. Denn gibt man den Leuten mehr Geld, kaufen die sich ja eh Bier davon.“ Seine Kollegin Marina Przybylski widerspricht ihm: „Man darf die Alkoholsucht nicht unterstützen. Besser wäre es, Essensgutscheine für die Arbeit auszuteilen.“
Chance auf geregelten Tagesablauf
Benjamin Mulorz und Isabel von der Gathen sind auf einer Fortbildung in Essen. Gehört haben sie von „Pick up“ noch nichts, nur vom Amsterdamer Vorbild hat Mulorz etwas gelesen. „Tendenziell ist das Programm nicht abzulehnen“, sagt er. „Man kann die Leute lieber mit Bier bezahlen, anstatt mit Geld. Das ist klingt aber wie ein Prestige-Projekt. Es wird spannend, in einem Jahr Ergebnisse zu sehen.“ Isabel von der Gathen stimmt ihm zu: „Alkohol würden die Leute ja sowieso trinken. Durch die Arbeit bekommen sie einen geregelten Tagesablauf.“
Bei der Suchthilfe sind sie mit dem Start des Projektes zufrieden. Projektleiter Oliver Balgar ist zuversichtlich, dass die maximale Teilnehmerzahl von zehn Leuten bald erreicht wird. „Am Donnerstag sind wieder die gleichen Leute gekommen. Andere sind noch skeptisch, aber das wird sich legen.“
Interesse an den auf ein Jahr angelegten Mini-Jobs hatte am Mittwoch auch Bodo Rademacher. Er trinkt zwar keinen Alkohol, steckt aber im Substitutions-Programm der Suchthilfe und hat Kontakte zur Szene vor dem Hauptbahnhof. „Für die Kollegen die da sitzen, wo die anderen jetzt putzen, sieht das blöd aus“, sagt er. „Ich habe nichts dagegen und überlege mir auch mitzumachen, auch wenn ich keinen Alkohol trinke.“