Essen. Ulrich Beul, neuer Aufsichtsratschef der Ruhrbahn, über Pläne der Ratskoalition zum Nahverkehr, Folgen der Corona-Krise und Ideen für Neukunden.
Ulrich Beul (CDU) ist der neue Aufsichtsratsvorsitzende der Ruhrbahn. Im Interview mit Marcus Schymiczek legt der Ratspolitiker dar, was sich CDU und Grüne für die kommenden fünf Jahre vorgenommen haben. Ein Gespräch über neue Straßenbahnlinien, über Pünktlichkeit und einen Vergleich mit Europa.
Redaktion: Herr Beul, Sie übernehmen den Vorsitz des Aufsichtsrates in einer Krisenzeit. Die Corona-Pandemie trifft auch die Ruhrbahn mit Macht. Es fehlen Millionen an Einnahmen. Der Eindruck: Nur wer unbedingt muss, fährt noch mit Bus und Bahn. Wie kommt die Ruhrbahn da möglichst unbeschadet raus?
Ulrich Beul: Erst einmal habe ich Verständnis für jeden, der sagt: Unter diesen Bedingungen bin ich erst einmal vorsichtig. Die Ruhrbahn hat einiges für den Hygieneschutz getan, aber sie wird das Problem nicht alleine lösen können. Die Situation wird sich wohl erst wieder normalisieren, wenn die Corona-Krise überstanden ist oder die Infektionszahlen zumindest soweit sinken, dass die Menschen sich ohne Angst frei bewegen können. Was das Finanzielle angeht: Bund und Land müssen uns unter die Arme greifen. Die Zeichen stehen ja auf Ausbau: Wir möchten etwas für unser Klima tun. Wir möchten, dass die Leute mit Bus und Bahn fahren.
So haben es CDU und Grüne in ihrer Kooperation im Rat der Stadt für die kommenden fünf Jahre vereinbart. Täuscht der Eindruck, oder trägt das Kooperationspapier eine sehr „grüne“ Handschrift?
Wir haben als CDU schon vor zweieinhalb Jahren auf unserem Kreisparteitag ein Mobilitätspapier verabschiedet. Darin kann man nachlesen, dass wir den ÖPNV stärken wollen und dass wir für ein Miteinander der Verkehrsteilnehmer sind bei gleichzeitigem Ausbau des Umweltverbundes. Meine Wahrnehmung unseres Kooperationsvertrages ist deshalb eine andere. Aber meine Handschrift kann sowieso keiner lesen.
Was dürfen Ruhrbahn-Fahrgäste denn konkret erwarten?
Wir haben klar formuliert, was wir wollen. Ein Beispiel: Wir wollen den Park & Ride-Verkehr stärken, so dass Pendler möglichst an der Stadtgrenze parken und mit Bus und Bahn weiterfahren, indem wir entsprechende Linien stärken. Wir denken auch an den Ausbau des Schienennetzes. Sei es die U11 oder die U17, so dass die Karstadt-Hauptverwaltung, Haarzopf und das Flughafengelände angebunden werden oder die Linie 105 nach Oberhausen.
Der Ausbau der Linie 105 ist in Oberhausen an einem Bürgerentscheid gescheitert.
Der Bürgerentscheid ist schon ein paar Jahre her. Wir möchten das Thema wieder aufgreifen. Vielleicht gelingt es ja jetzt, die Menschen zu überzeugen.
Sie deuten im Kooperationspapier auch den Ausbau des Fahrplanangebotes in Randzeiten an.
Wenn wir mehr Menschen dazu bewegen wollen mit Bus und Bahn zu fahren, brauchen wir ein besseres Angebot. Wenn man zum Beispiel abends nach Rüttenscheid fährt, um dort auszugehen, muss man auch wieder nach Hause kommen. Oder wer in die Stadt fährt und ins Theater geht, möchte auch sicher und bequem wieder zurückkommen. Nur die Hinfahrt hilft da nicht. Und wir müssen auch an die Menschen denken, die zu Randzeiten zur Arbeit müssen. Dafür muss ja morgens um halb fünf nicht schon ein großer Bus durch die Gegend fahren. Die Ruhrbahn ist ja gerade dabei, auch andere Konzepte auszuprobieren…
…Sie denken an „on demand“, eine Art Shuttle-Service.
Darin setze ich große Hoffnungen. Das sind Dinge, die das ganze System flexibler machen. Wir müssen immer wieder hingucken und schauen, was wird angenommen und was nicht. Vielleicht muss erst einmal ein Angebot geschaffen werden.
Das bedeutet, die Ruhrbahn muss finanziell in Vorleistung gehen und die Stadt unter Umständen ein höheres Defizit in Kauf nehmen. Sind sie als schwarz-grüne Mehrheit dazu bereit?
Wir möchten eine möglichst gute, aber auch eine möglichst effiziente Ruhrbahn. Flexibilisierung bedeutet, dass man noch schärfer auf die Nachfrage reagieren kann. Dadurch lässt sich am Ende Geld sparen. Bei jeder Investition ist es aber so, dass man erst einmal in Vorleistung treten muss.
Sie betonen in ihrem Kooperationspapier, dass Sanierungen fortgesetzt werden. Ist in der Vergangenheit zu wenig passiert?
Das würde ich nicht sagen. Aber es muss den Leuten, auch in der Politik, bewusst sein, dass wir viel sanieren müssen. Das steht an. Da können wir nicht sagen, das machen wir sowieso. Deshalb haben wir es erwähnt. Weil es natürlich auch ein sehr großer Batzen Geld ist.
Wir reden über Hunderte Millionen Euro. Sie werden also eine Schippe drauflegen?
Wenn es nach mir geht, schon. Politik ist ja immer die Kunst des Ausgleichs: Wie verteilen wir die Ressourcen, die wir haben? Fest steht, dass es notwendig ist. Sowohl der barrierefreie Ausbau als auch die Sanierung von Gleisen, von Tunneln, der Signaltechnik. Irgendwann geht es sonst kaputt. Dann haben wir ein großes Problem. Man kann immer schön darüber nachdenken, was man alles schönes Neues bauen könnte. Das tun wir ja auch. Aber alles andere darf man dabei nicht aus den Augen verlieren.
Stichwort Neubau: Die Citybahn am Hauptbahnhof vorbei bis in den Krupp-Gürtel ist beschlossene Sache, 2025 soll die Strecke eröffnet werden. CDU und Grüne wollen auch das Stadion Essen ans Schienennetz anbinden und das Entwicklungsgebiet Freiheit Emscher am Rhein-Herne-Kanal. Ist das auch ein Projekt für diese Ratsperiode?
Über die Anbindung des Stadions ans Schienennetz wird ja schon länger diskutiert. Uns ist das ein wichtiges Anliegen. Die Verlängerung bis „Freiheit Emscher“ liegt nahe. Konkrete Planungen kann ich Ihnen aber noch nicht nennen.
Ein wichtiges Anliegen war in der Vergangenheit der Zusammenschluss weiterer Verkehrsbetriebe. Oberbürgermeister Thomas Kufen hatte bereits bei seinem Amtsantritt 2015 einen Verkehrsbetrieb für das Ruhrgebiet als Ziel genannt. Daraus geworden ist nichts.
Wir haben in Essen und Mülheim mit der Ruhrbahn immerhin den Startschuss gegeben. Und dass es einfach wird, hat niemand behauptet.
Aber es ruckelt immer wieder im Getriebe. Mülheim setzt auf mehr Busverkehr, Essen auf den Ausbau der Schiene. Passt das zusammen?
Es ist ja nicht die Ruhrbahn, die sagt, wir wollen da weniger Busse oder dort mehr Straßenbahnen. Die Ruhrbahn hat dazu vielleicht Ideen, aber letztendlich beschließt es ja die Politik über den Nahverkehrsplan jeweils für ihre Stadt. Und so lange das so ist, kann es immer sein, dass in verschiedenen Städten verschiedene Schwerpunkte gesetzt werden. Die Frage ist, ob man das in der Politik mehr vernetzt. Das gilt nicht nur für Essen und Mülheim, sondern für das gesamte Ruhrgebiet. Ich bin ein großer Freund dieses Gedankens wie auch unser Oberbürgermeister.
Rat und Stadt müssten dafür bereit sein, Kompetenzen abzugeben oder zu delegieren an eine andere Ebene.
Ich beschäftigte mich intensiv mit Europapolitik. Da stellt sich auch diese Frage: Was machen die Staaten, was macht die EU? Man muss halt immer wieder gucken, was ist sinnvoll auf einer höheren Ebene? Was darunter? Das kann sich im Laufe der Zeit auch ändern. Was solche Dinge wie eine übergeordnete Planung angeht: Es ist ja nicht so als gäbe es gar nichts im Ruhrgebiet. Aber das geht noch besser und effizienter. Natürlich ist es das Interesse der Ruhrbahn, dass wir ein möglichst gutes Netz haben über beide Städte und das auch alles zusammenpasst.
Der gemeine Fahrgast erwartet, dass Busse und Bahnen pünktlich sind, dass die Fahrzeuge sauber sind und jemand aufpasst, dass nichts passiert. Sie fahren selbst mit der Ruhrbahn. Wie nehmen Sie das wahr?
Natürlich gibt es bei der Pünktlichkeit Verbesserungsbedarf. Das ist eine Frage der Technik. Das System ist sehr störanfällig. Ein Fehler setzt sich fort und letztendlich müssen ganz viele Fahrgäste darunter leiden. Leider können wir nicht sagen, da legen wir jetzt den Schalter um und von da an sind wir pünktlich. Es geht um kontinuierliche Verbesserungen. Da ist die Ruhrbahn dran. Klar kann man immer besser werden. Das ist der Anspruch.
Werfen wir den Blick voraus: Wo sehen Sie die Ruhrbahn in fünf Jahren?
Die Leute sollen sich noch wohler fühlen, wenn sie mit der Ruhrbahn fahren und auch sicherer. In fünf Jahren sehe ich auch Fortschritte beim Ausbau des ÖPNV, der besser integriert ist in ein Gesamtsystem. Damit meine ich noch mehr Umsteigemöglichkeiten zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln. Stichwort: Mobilstation. Es ist nicht damit getan, bessere Fahrradwege zu bauen oder den ÖPNV auszubauen. Das gesamte System muss bequem und stimmig sein. Wenn man problemlos von einem Verkehrsmittel auf ein anderes Wechseln kann, ist der Punkt erreicht, an dem mehr Leute das Auto stehen lassen. Es ist meine Hoffnung, dass wir da jetzt ganz schnell Meter machen in Essen.
>>> Zur Person:
Ulrich Beul vertritt als CDU-Ratsherr in der zweiten Ratsperiode den Wahlkreis Bredeney/Fischlaken. Der 44-Jährige Diplom-Ingenieur arbeitet bei Siemens, wo er im Qualitätsmanagement tätig ist. Gemeinsam mit seiner Verlobten wohnt er auf einem Bauernhof an der Grenze von Schuir und Kettwig. „Die Busverbindung ist gut. Ein Nachtbus fährt da auch“, sagt der ÖPNV-Nutzer. Beul gehörte schon in der vergangenen fünf Jahren dem Aufsichtsrat der Ruhrbahn an. Als dessen Vorsitzender tritt er die Nachfolge von Wolfgang Weber (SPD) an, der aus dem Rat der Stadt ausgeschieden ist.