Essen. Kinder, die 2020 eingeschult wurden, kennen keinen normalen Schul-Alltag. Redakteurin Iris Müller schildert ihren Corona-Alltag mit Erstklässlern.
Maske auf, Maske ab (je nach vorherrschender Regel), Hände waschen, zum Platz gehen. Einen Morgenkreis gibt es im Corona-Jahr der ersten Klasse nicht, genausowenig wie ein Schulfest, einen Adventsbasar und ein Zirkusprojekt - zu groß die Gefahr der Ansteckung. Als meine Kinder eingeschult wurden waren in Essen 35 Menschen an Corona erkrankt. In dieser Woche waren es rund 1600 Infizierte.
Es gibt in diesem Schuljahr bisher auch keinen Elternabend, keinen Elternsprechtag, kein "Mama, ich zeige dir mal unseren Klassenraum". All das kennen meine Erstklässler nicht. Geburtstagslieder werden an dieser Essener Schule gesummt und nicht gesungen, Brote nicht geteilt. Schüler anderer Jahrgangsstufen kennen die Kinder nur vom Hörensagen. Jede Klasse bleibt unter sich, auch in der Pause. Auf Kindergeburtstagen wird darauf geachtet, die Infektionsgruppe nicht noch zu vergrößern.
Ohne Maske kein Eintritt in die Schule im Corona-Jahr 2020
Ich als Essener Mutter zweier i-Dötzchen habe die Lehrerin nur ein einziges Mal ohne Maske gesehen - als sie bei der Einschulungsfeier jedes Kind einzeln auf der Bühne begrüßte. Gleiches gilt für einen Großteil der anderen Eltern. Wahrscheinlich würde ich sie ohne Maske auf dem Schulhof oder bei Elternabenden - sollten diese irgendwann mal wieder stattfinden - nicht erkennen.
Überhaupt: Tornister, Butterbrotdose und die Schwester, daran denken die Zwillinge, wenn sie morgens das Haus verlassen. Masken blieben aber regelmäßig zu Hause liegen. Ohne Maske aber kein Eintritt in die Schule - willkommen im Corona-Jahr 2020.
Alle Informationen zur Corona-Lage in Essen finden Sie in unserem Newsblog.
Die Kinder nehmen es wie es kommt, sie leben im Hier und Jetzt, summen auch zu Hause ihre Lieder, streiten sich wie eh und je und stellen zu Beginn der Herbstferien die Frage: "Mama, hat die Schule wegen Corona jetzt zu?" Sie kennen den Unterschied zwischen Ferien und Corona-Schulschließung nicht.
Aber sie merken, dass sie manchmal zum Schwimmkurs und zu Oma dürfen und dann wieder nicht und sie wissen, dass Corona das Problem ist. Änderungen im Alltag bringen die beiden regelmäßig aus der Fassung, sie vergessen dann, dass sie spielen können, schlafen schlecht und weinen wegen Kleinigkeiten. Nicht ganz einfach während einer Pandemie, in der es ständig Änderungen im Alltag gibt.
Todesrate, Triage und Ansteckungsgefahren sind zu Alltagsthemen geworden
Wir als Eltern zerbrechen uns den Kopf darüber, welche Auswirkungen die Pandemie auf ihren Charakter und ihren Werdegang hat und wie genau man mit Sechsjährigen ins Detail beim Thema Todesrate, Triage und Ansteckungsgefahren bei Oma geht; "Du bist schuld, dass Oma Corona hat" wäre pädagogisch wahrscheinlich nicht so wertvoll.
Uns sie wollen es genau wissen: "Mama, wer wird denn zuerst gegen Corona geimpft?" Wir überlegen, wie lang die Schlange wäre, wenn sich alle Uromas zum impfen anstellen würden: Bestimmt einmal um den Baldeneysee.
Die Zwillinge haben es sich zum Hobby gemacht zu zählen, wie viele Menschen draußen in einer Gruppe stehen, sie beobachten, wer sich umarmt, wer sich an die Regeln hält und wer doch Besuch empfängt: "Mama, ich habe gesehen wie Frau Meier Besuch von vier Freunden bekommen hat und die sind auch reingegangen." Irgendwie spießig und anstrengend, weil ich als Mutter auch nie eine Regel brechen kann, ohne einen Kommentar zu kassieren.
Kinder hadern wenig mit der Corona-Pandemie
Ich staune, wie wenig die Kinder hadern, obwohl die Zeit mit Maske, Inzidenzwert und Kernfamilie doch wirklich schwierig ist: "Gut finde ich, dass Mama und Papa jetzt immer zu Hause sind", tönen sie und verbreiten zu Hause ihr Kleinkind-Chaos in der Kernfamilie während wir zwischen Home-Office, Wäschebergen und Spielzeug versuchen, die Nerven zu bewahren: "Könnt ihr nicht mal mit Lego spielen oder in Bücher schauen, statt das Bad unter Wasser zu setzen und Elefanten an die Wohnzimmerwand zu malen?"
Wir fühlen uns wie in einem ewigen Kreislauf aus arbeiten, aufräumen, kochen. Die Essener Gastronomen erhalten unsere volle Unterstützung. Wo es früher hieß: "Ich habe keine Lust zu kochen" sagen wir uns heute: "Wir unterstützen die lokalen Restaurants" und lassen wahlweise in Heisingen, Rüttenscheid und Altenessen die Telefone der Gastronomen klingeln.
Home-Schooling-Premiere für i-Dötzchen-Eltern
Im neuen Jahr jetzt also keine Ferien und kein coronafrei, sondern tatsächlich Home-Schooling. Die Inzidenzzahl hat sich in Essen mittlerweile auf rund 150 eingepeldelt. Klar, es gibt die Notbetreuung, mehr als 40 Schüler an der Käthe-Kollwitz-Grundschule bis 60 Kinder der Grundschule an der Waldlehne (Margarethenhöhe) tauchen an Essens Grundschulen aber bisher nicht auf. Auch aus unserer Schule erzählt der Buschfunk nur von Einzelfällen.
Für uns als i-Dötzchen-Eltern ist das Home-Schooling eine Premiere, der wir zunächst gelassen entgegen sahen, im Wissen dass wir Glück haben, wahrscheinlich irgendwie privilegiert sind und das schon wuppen werden. Die Mädels lieben ihre Rätselhefte, kniffeln für ihr Leben gern und versuchen die Aufschrift jeder Käse-Packung zu entziffern. Kinder, die lernen wollen, was will man mehr?
Okay, das Lernpaket der Klassenlehrerin erwarteten wir mit Spannung und freuten uns über die E-Mail, die am Sonntag eintrudelte. Um die Arbeitsblätter im Anhang zu bearbeiten, bräuchten wir einen Farbdrucker. Haben wir nicht. Willkommen im Corona-Jahr 2021.