Essen. Warum sich der Wahl-Essener Ralf Jörg Raber dem 20er-Jahre-Entertainer Paul O’Montis mit einer Biografie widmet. Und wo das Buch zu haben ist.

  • In den Goldenen Zwanziger Jahren, der Blütezeit der Weimarer Republik, war Paul O’Montis kein Unbekannter. Seine Liedkunst wurde im Radio gespielt, die Plattenaufnahmen bei Odeon („In der Bar zum Krokodil“) veröffentlicht, er war in Kabaretts im In- und Ausland zu Gast.
  • Seine umfangreich recherchierte Geschichte des homosexuellen Künstlers von der ruhmreichen Zeit bis zur Verfolgung im Nationalsozialismus und die Ermordung im KZ Sachsenhausen hat Ralf Jörg Raber beim Metropol Verlag veröffentlicht (ISBN: 978-3-86331-578-8, 272 Seiten, 22 Euro, E-Book:17 Euro).

Ralf Jörg Raber ist Schulpfarrer im Berufskolleg Essen West. Paul O’Montis ist ein vergessener 20er-Jahre-Unterhaltungskünstler, der im KZ Sachsenhausen starb. Eine offen schwule Lebensweise verbindet die beiden Männer über ein Jahrhundert hinweg sowie Schellackplatten und ein Buch. „Beliebt bei älteren Damen und jüngeren Herrn“ heißt die Biografie, die Ralf Jörg Raber in den vergangenen fünf Jahren recherchiert und geschrieben hat. Sie erinnert an einen schillernden Star, dem nur eine kurze Karriere vergönnt war. Heute kennt ihn kaum einer mehr, auch nicht die Schüler des evangelischen Religionslehrers.

Er unterrichtet junge Leute ohne und mit Migrationshintergrund. Es sind Christen, Muslime, auch mal Juden, Buddhisten, Atheisten zwischen 16 und 25, denen er vermittelt, „wie man religiöses Wissen auf den technischen Beruf anwendet oder dass der Weihnachtsmann schon vor der Cola-Werbung da war“. Aus einer leicht mürrischen Distanz entwickle sich ein vertrauensvolles Verhältnis, erzählt er, und dass seine Homosexualität keine große Rolle spiele. Anfeindungen kennt er nicht. Der gebürtige Saarländer lebt in Huttrop mit seinem Mann und einer Sammlung von über 1200 Schellackplatten, rund 2000 Vinylplatten, ein Trichtergrammophon, vier Koffergrammophone und acht Plattenspielern.

Als Kind hat ihn der Plattenwechsler seiner Eltern begeistert

Sein Beruf füllt ihn aus, aber die Leidenschaft zur Musik und ihren Medien möchte er nicht missen. Sie ist tief verwurzelt. „Schon als kleiner Junge hat mich der Plattenwechsler meiner Eltern begeistert“, erinnert sich der 61-Jährige. „Diese alte gehobene Unterhaltungsmusik hat mich interessiert.“ Er hat die Eltern seiner Schulkameraden nach SchallpIatten abgeklappert und die besten von seinem Patenonkel bekommen. Inzwischen ist er auch bei Auktionen mit von der Partie. Rudi Schurike aus den 1950er Jahren packte ihn wie die Zarah Leander der 1930er und 1940er Jahre und die Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit und die Weimarer Republik mit den goldenen 20er Jahren und der rotzfrechen, lesbischen Claire Waldoff.

Eine Autogrammkarte von Paul O`Montis auf einem Koffergrammophone mit Schallplatte des Künstlers in einer Klasse des Berufskolleg West.
Eine Autogrammkarte von Paul O`Montis auf einem Koffergrammophone mit Schallplatte des Künstlers in einer Klasse des Berufskolleg West. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Ich bin ich immer auf der Suche nach Künstlern, die schwul gelebt haben“, berichtet Ralf Jörg Raber. Zunächst brachte er zwei CDs heraus in der unvollendeten Reihe „100 Jahre Homosexualität auf Schallplatte“. Bei einer Auktion stieß er auf Paul O’Montis. Fasziniert veröffentlichte er den ersten Artikel über ihn, jetzt das Buch. Als Paul Wendel in Ungarn geboren, verdingte der sich zunächst als Autor und Illustrator. Mitte der 1920er Jahre startete seine Karriere in Berlin. Das Besondere an dem Mann mit dem Monokel: Seine mondänen, karikaturistischen Couplets, Wortspielereien und Zweideutigkeiten.

O’Montis trat auch im Essener Weinhaus im Fürstenhof auf

„Aus den banalsten Schlagern kreierte er mit seiner Vortragskunst Chansons. Er war witzig, frivol, frech, schamlos und gleichzeitig verspielt und dezent. Er muss viel Talent gehabt haben, denn er war Autodidakt“, erklärt Raber. Aber vor allem habe er als einer der ersten sexuelle Diversität, Homo- und Bisexualität thematisiert. Fünf Jahre konnte er seinen Ruhm ausleben. Er wurde im Radio gespielt, 70 Platten entstanden. „Drei wurden von einem Radiotechniker in Essen aufgenommen“, und auf seinen Touren war er auch im Essener Weinhaus im „Fürstenhof“ zu Gast, hat Raber herausgefunden.

Mit der Machtergreifung kam die Flucht, erst nach Wien, dann nach Prag. Endstation war das Konzentrationslager Sachsenhausen, wo er, laut Raber, „in den Selbstmord gedrängt wurde“. Anders als die Comedian Harmonists, deren Leben und Werk mit Filmen und Wiederveröffentlichungen wach gehalten wurde, ist er in Vergessenheit geraten. Seine detailreiche Biografie erzählt ein Stück deutscher Kulturgeschichte und zugleich von einem mutigen Künstler, der den Wechsel von der großen Freiheit in ein Unrechtsregime nicht überlebt hat.