Essen-Gerschede. Immer wieder stehen am Pausmühlenbach in Essen-Gerschede Keller unter Wasser. Anwohner sehen einen Zusammenhang mit Kanalarbeiten der Stadtwerke.

„Ein Camper werde ich nicht mehr“, sagt Heinrich Derks und lächelt. Seinen Humor hat sich der 83-Jährige bewahrt. Dabei war ihm alles andere als zum Lachen zumute. Vier lange Monate hat Heinrich Derks in einem Wohnwagen gelebt – in seinem Garten. Denn seine Souterrainwohnung im Pausmühlenkamp in Gerschede war buchstäblich abgesoffen. „Als ich aufgestanden bin, stand ich knöcheltief im Wasser“, berichtet der Senior. Das war am 4. Juni, einem Freitag.

„Die ganze Nacht über hatte es geregnet, aber das hatten wir öfter schon mal“, erzählt Heinrich Derks. Die Emschergenossenschaft wird später von einem extremen Starkregen sprechen. Derks kann förmlich zusehen, wie das Wasser durch die Fugen in seine Wohnung eindringt. Das Wohnzimmer, das Schlafzimmer, die Küche – alles steht unter Wasser.

Wasser im Keller, das gab es in der Pausmühlenstraße in Gerschede auch früher schon, berichten Anwohner. Aber seit die Stadtwerke dort einen riesigen Abwasserkanal bauen, habe das Ausmaß deutlich zugenommen.
Wasser im Keller, das gab es in der Pausmühlenstraße in Gerschede auch früher schon, berichten Anwohner. Aber seit die Stadtwerke dort einen riesigen Abwasserkanal bauen, habe das Ausmaß deutlich zugenommen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

In der Nachbarschaft sieht es ähnlich aus. Keller laufen voll, noch in der Nacht rückt die Feuerwehr an. In den Tagen danach häuft sich der Sperrmüll in der ruhigen Wohnstraße nahe des Pausmühlenbachs. „Die Couch hat es überlebt“, erzählt Heinrich Derks. Die übrige Einrichtung ist hin, die Wohnung ist nicht mehr bewohnbar. Der 83-Jährige wird ausquartiert in einen gemieteten Wohnwagen. Die Versicherung übernimmt die Kosten.

Wasser im Keller, das gab es immer wieder mal rund um den Pausmühlenbach, berichten Anwohner übereinstimmend, von denen mancher schon seit Jahrzehnten hier lebt. „Aber in diesem Ausmaß gab es das bisher nicht“, erzählt Monika Walter. Sie und ihr Mann Reinhold wohnen in der Pausmühlenstraße gleich neben dem Bachlauf. Seit besagtem Starkregen Anfang Juni gab es fünf Mal Hochwasser, berichtet das Ehepaar. 70 Zentimeter hoch Stand das Wasser in ihrem Keller. „Wir waren hilflos.“

Die Bauarbeiten am Pausmühlenbach sind Teil des Emscherumbaus

Anwohner vermuten, dass eine Zusammenhang gibt mit der Baustelle der Stadtwerke. Der städtische Versorger baut seit Monaten entlang des Pausmühlenbachs einen gigantischen Abwasserkanal. Auf einer Länge von 3,5 Kilometern werden im unterirdischen Vortrieb gewaltige Rohre mit einem Durchmesser von 1,60 bis 2,80 Meter verlegt. Um die Maschinen herabzulassen, wurden 20 Baugruben ausgehoben, zwei davon unmittelbar an der Pausmühlenstraße, jede ist bis zu neun Meter tief.

Die Kanalarbeiten sind Bestandteil des sogenannten Emscherumbaus. Jahrzehntelang dienten die Emscher und ihre zahlreichen Zuflüsse als Köttelbecken. Nun wird das Abwasser in riesige Sammler verbannt, auch am Pausmühlenbach.

Die Stadtwerke haben bis zu neun Meter tiefe Schächte an der Pausmühlenstraße gebaut.
Die Stadtwerke haben bis zu neun Meter tiefe Schächte an der Pausmühlenstraße gebaut. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Haben die Anwohner recht mit ihrem Verdacht? Ihre Schilderungen erinnern an das Grundwasserproblem in Karnap. Dort funktionierten marode Kanäle lange Jahre wie eine Drainage. Als die Stadtwerke die Rohre erneuerten, suchte sich das Grundwasser neue Wege. Plötzlich standen Keller unter Wasser.

Am Pausmühlenbach in Gerschede liegen die Dinge anders, betont Maximilian Dichtl. Auch er habe sich gefragt, „woher das viele Wasser plötzlich kommt“, sagt der Bauleiter der Stadtwerke. Ja, mit fast schon detektivischer Akribie habe er sich auf die Suche nach der Ursache gemacht. Nur: Lösen konnte er den Fall nicht.

Der neue Sammler sei nur zum Teil in Betrieb, noch werde über das alte Kanalsystem entwässert. Die Kanäle seien überprüft worden. „Da war alles intakt.“ Obwohl während der Bauarbeiten tonnenschwere Lkw durch die Straße donnerten, wie Anwohner berichten.

Die Stadtwerke Essen vermuten, dass Hausanschlüsse defekt sind

Dichtl vermutet, dass Hausanschlüsse defekt sind oder Rückschlagklappen, die das Wasser zurückhalten sollen, wenn der Kanal vollläuft, nicht mehr richtig funktionieren. An einem kompletten Straßenzug? Unwahrscheinlich.

Technische Ursachen, bedingt durch den Bau des Abwassersammlers, schließt Dichtl aus. Sogenannte Bypässe, die provisorisch um noch offene Baugruben gelegt werden, und aufgrund ihres geringen Durchmessers die Wassermenge drosseln, sodass es bei Starkregen zu einem Rückstau kommt – so etwas gebe es im Unterlauf des Sammlers nicht. Auch an den vorhandenen Überlaufbecken sei baulich nichts verändert worden.

Umbau des Emschersystems

Zentraler Baustein des Emschersystems ist ein 51 Kilometer langer Abwasserkanal entlang der Emscher von Dortmund bis Dinslaken. Dieser Kanal ist bereits in Betrieb. Nach und nach werden auch die Nebenläufer der Emscher umgebaut. Das sogenannte Mischsystem wird entkoppelt, Frisch- und Abwasser werden von einander getrennt. 2027 soll der Umbau abgeschlossen sein.

Könnte es aber sein, dass der Sammler und die mächtigen Schachtbauwerke das Grundwasser beeinflussen? Sucht es sich auch hier neue Wege? Dichtl hält das für unwahrscheinlich. Selbst wenn es so wäre, dürfte das Grundwasser bei Starkregen nicht so schnell ansteigen, betont der Bauleiter.

Für die betroffenen Anwohner ist das unbefriedigend. Nachbarn erwägen bereits rechtliche Schritte, sollten ihre Keller abermals volllaufen. Einer will einen Gutachter einschalten, berichtet Reinhold Walter.

Maximilian Dichtl appelliert indes an die Geduld. In der Pausmühlenstraße wird ein neuer Kanal verlegt mit 50 Zentimeter Durchmesser. Der alte Kanal bringt es nur auf 40 Zentimeter, stellenweise sogar nur auf 30. Der Abwassersammler soll im Frühjahr ans Netz gehen. Dann wäre auch extremer Starkregen kein Problem mehr.

Heinrich Derks will sich darauf nicht verlassen. Inzwischen ist er in seine Souterrainwohnung zurückgekehrt. Nun wartet er darauf, dass eine andere Wohnung im Haus frei wird, sodass er umziehen kann. „Ich bleibe hier nicht wohnen.“