Essen. Turgay Tahtabaş lebt seit 31 Jahren in Essen, engagiert sich, hat jetzt das Bundesverdienstkreuz erhalten. Trotzdem gehöre er nicht einfach dazu.
Für sein „Engagement in der Einwanderungsgesellschaft“ hat Turgay Tahtabaş jetzt das Bundesverdienstkreuz erhalten. Der heute 55-Jährige kam 1989 aus der Türkei nach Essen, arbeitete als Müllmann und erkannte früh, dass Bildung der Schlüssel zur Integration ist, nicht nur für die eigenen drei Kinder. 2015 organisierte er spontan Deutschunterricht für die Flüchtlinge im Karnaper Zeltdorf und gründete bald das „Zukunft Bildungswerk“, das mit ehrenamtlichen Bildungsbegleitern für viele Kinder die Weichen stellt. Auf neue Herausforderungen reagiert es stets mit passgenauen Angeboten: von der Ferienschule bis zur Corona-Homeschooling-Hotline. Hier spricht Tahtabaş über die Auszeichnung und seine Wünsche an die Stadtgesellschaft.
In Deutschland musste Turgay Tahtabaş ganz unten anfangen
Herr Tahtabas, Sie haben den Talent Award Ruhr und den Deichmann Förderpreis für Integration gewonnen, sind mit dem Landesverdienstorden ausgezeichnet worden. Anfang Dezember waren Sie zum Tag des Ehrenamtes auf Schloss Bellevue in Berlin zu Gast, wo Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Ihnen das Bundesverdienstkreuz verlieh und sagte: „Sie tun unserem Land gut“. Was bedeuten Ihnen die Auszeichnung und der Dank des Staatsoberhauptes?
Ich hatte ja keinerlei Erwartung, für meine Arbeit irgendwann ausgezeichnet zu werden, aber die Auszeichnung tut gut. Ich bin in einem türkischen Dorf mit 5000 Einwohnern aufgewachsen, habe hier in Deutschland ganz unten angefangen und bestimmt nie gedacht, dass ich einmal neben dem Bundespräsidenten stehen werde. Ich brauchte viel Geduld im Leben. Wenn mir jetzt ein deutscher Bekannter, der mich früher skeptisch begegnet ist, auf Facebook gratuliert und meine Arbeit lobt, bedeutet mir das fast so viel wie die Anerkennung des Bundespräsidenten.
Frank-Walter Steinmeier hat in seiner Rede darauf hingewiesen, dass in Deutschland viele Kinder mit Migrationshintergrund „mit der Erfahrung vieler, kleiner Nadelstiche der Ablehnung und Ausgrenzung aufwachsen“ und so entmutigt werden. Die Gesellschaft habe noch nicht verinnerlicht, dass Deutschland ein Land mit Migrationshintergrund ist. Was wünschen Sie sich von der Stadtgesellschaft in Essen?
Ich wünschte mir mehr Begegnungen – und dass anerkannt wird, dass wir Realität sind: Es gibt eine Menge türkischstämmige Menschen in Essen, die eine Wohnung, ein Zechenhaus erworben haben, die ein Unternehmen gegründet und sich hier etwas aufgebaut haben: Diese türkische Mittelschicht wird zu wenig zur Kenntnis genommen. Mein Sohn verdient als Ingenieur gutes Geld, er ist in Essen groß geworden, empfindet sich als Kosmopolit und trotzdem sehen manche Menschen auf der Straße in ihm nur den „Ausländer“ – weil er schwarze Haare hat!
Er ist seit 31 Jahren Essener – und muss es immer noch betonen
Der Bundespräsident hat gesagt, dass Sie und die 14 Mitausgezeichneten mit ihrem Engagement in der interreligiösen WG, im Sprachcafé oder eben im Zukunft Bildungswerk die „Einwanderungsgesellschaft quasi von innen, aus der Mitte heraus“ gestalten. Fühlen Sie selbst sich in der Mitte der Gesellschaft angekommen?
Ich denke, meine Arbeit wird wahrgenommen: Von dem jungen Mädchen, das in unserem Deutschkurs war, heute studiert und sich bedankt, dass wir ihr geholfen haben, von meinen 5000 Facebook-Freunden oder vom Oberbürgermeister, der mir gratuliert. Ich freue mich sehr, wenn ich anderen ein bisschen Hoffnung geben kann. Ich wünschte mir nur, dass allgemein gesehen wird, dass wir ein Plus für unsere Gesellschaft bedeuten, dass wir dazugehören. Leider ist das nicht selbstverständlich, leider sind wir wohl noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ich möchte einfach nur als Essener gesehen werden: Ich bin ja seit 31 Jahren hier – und muss es immer noch betonen.