Essen-Bredeney. An einer Essener Schule wurden Stolpersteine verlegt für acht ehemalige Schüler. Sie waren von NS-Schergen deportiert und ermordet worden.
Herbert Weis trug den Judenstern und wurde nur 29 Jahre alt. Ihm widmet sich nun ein Stolperstein vor seiner alten Schule an der Ruschenstraße in Bredeney, dem Platz der heutigen Goetheschule. Auch wird sieben weiteren Opfern der NS-Zeit gedacht. Mit einer Gedenkstunde am Gymnasium im Essener Süden wurde auch eine begleitende Ausstellung eröffnet.
Herbert Weis erhielt Ostern 1933 das Zeugnis der Reife mit der Gesamtnote gut. Er emigrierte nach Frankreich, studierte erfolgreich Aeronautik und rationelle Mechanik an der Universität Paris. Weis erhielt ein Stipendium der renommierten Harvard-Universität. Fast wäre er in Sicherheit gewesen. Doch dann brach der Krieg aus. Herbert Weis wurde in das Konzentrationslager Sobibor in Polen deportiert und dort am 23. Juli 1943 ermordet.
Acht Schicksale, acht Stolpersteine
Eines von insgesamt acht Schicksalen, derer nun mit Stolpersteinen gedacht wird. Das Projekt des Künstlers Gunter Demnig erinnert an von den Nationalsozialisten verfolgte, deportierte und ermordete Menschen. Quadratische Gedenktafeln aus Messing werden vor den letzten frei gewählten Wohnstätten der Opfer in den Boden eingelassen, oder auch vor ihren Schulen, so wie im Fall von Herbert Weis.
In Berlin hatte die Argentinierin Valeria Vegh Weis von den Stolpersteinen erfahren. Sie ist die Enkelin von Ricardo Weis, der anders als sein Bruder Herbert fliehen konnte. Zusammen mit Yola Kretschmann forschte sie über ihren im Holocaust ermordeten Großonkel. Nahm Kontakt auf zu Birgit Hartings, in Essen zuständig für die Verlegung der Stolpersteine. Die schließlich fragte nach bei der Goetheschule.
Gedenktafel im zweiten Stock der Essener Schule
Schulleiterin Dr. Nicola Haas sind die Schicksale jüdischer Schüler bewusst. Eine seit dem Jahr 1999 im zweiten Stock hängende Gedenktafel finde aber wegen ihrer abgelegenen Lage nur wenig Beachtung. Schnell wurde beschlossen, ein Denkmal zu setzen vor dem früheren Bredeneyer Realgymnasium, das nach dem Krieg mit der zerstörten Rüttenscheider Goetheschule verschmolzen war. Laut Nicola Haas der richtige Schritt gegen das Vergessen: „Es fällt schwer, noch mit Zeitzeugen in Kontakt zu kommen. Einzutauchen in das Unfassbare. Unsere Schüler haben sich in aller Ernsthaftigkeit mit den Lebenswegen der NS-Opfer befasst. Es kommt auf jedes einzelne Schicksal an.“
Doch im Schularchiv waren keine Informationen zu finden über Herbert Weis und seine Leidensgenossen. Da übernahm Lehrer Sven Herdemerten mit seinem Geschichtskurs die Aufgabe, nachzuforschen. Der 18-jährige Schüler Michael Iouchkov berichtet von schwieriger Recherche: „Im Internet gab es wenig, doch das Haus der Essener Geschichte und die Alte Synagoge Essen konnten uns weiterhelfen.“ Die Schüler erhielten Zugang zu Wiedergutmachungsakten und teilweise auch zu Geburtsurkunden. In einigen Fällen konnten Fotografien gefunden werden.
Das hebräische Wort Shoa steht für ein „großes Unheil“, den Völkermord
Fotoausstellung
Im Vestibül der Goetheschule finden sich nun acht große Plakate mit Fotografien und Informationen zu den ermordeten jüdischen Schülern Kurt Artur Arnstein, Leo Behr, David Griffel, Kurt Rudolf Kern, Ernst Arthur Krombach, Heinz Wolfgang Nassau, Werner Schüler und Herbert Weis. Zu sehen sind dort auch Arbeiten eines Kunstkurses. Mit Lehrerin Dagmar Bieniek waren die Schüler der Frage nachgegangen, ob und wie es aus heutiger Sicht möglich sein könnte, sich künstlerisch mit den Verbrechen der NS-Zeit auseinanderzusetzen.
„Das Thema der Shoa begleitet uns durch die Schullaufbahn“, sagt Michael Iouchkov. Das Wort Shoa stammt aus dem Hebräischen und bedeutet so viel wie „Die Katastrophe“ oder auch „Das große Unheil“. Es steht für den nationalsozialistischen Völkermord an etwa 6,3 Millionen Juden während des Zweiten Weltkrieges. Seine Auseinandersetzung damit habe ihn sensibilisiert: „Wenn man sich einem konkreten Schicksal beschäftigt, wird das greifbarer“, sagt er. „Man fühlt sich verbunden mit den Opfern der NS-Zeit.“
Dr. Claudia Kauertz leitet das Haus der Essener Geschichte und zeigt sich berührt über dieses weitere Kapitel wichtiger Erinnerungskultur: „Dies hier sind in Essen die Nummern 384 bis 391 im Verzeichnis der Stolpersteine. Wenn Schüler sich mit Einzelschicksalen beschäftigen, wird das historische Bewusstsein geschärft.“ Gerade in heutiger Zeit müsse an die Gräueltaten im Faschismus erinnert werden.
Die Biografien der NS-Opfer werden bei der Zeremonie um die Stolpersteine verlesen
In der Zeremonie an der Schule verschmelzen berührende Musik und bewegende Worte. Mechthild Müller-Notthoff und Annette Wieseler leiten den Schulchor, der mit dem Traditional „Yeder Ruft Mikh Ziamele“ und „Ihr Mächtigen“ der israelischen Songwriterin Naomi Shemer-Sapir Atmosphäre schafft. Mit ihrer Violine transportiert Deborah Berlicu den Schmerz des Titelthemas von „Schindlers Liste“. Während die acht Betonblöcke im Pflaster versenkt werden, verlesen Schüler die Biografien der Ermordeten. Anschließend werden auf den sorgfältig gereinigten Stolpersteinen rote Rosen abgelegt. Ein stummer Gruß über die Jahrzehnte.