Essen. Das Naturheilmobil in Essen kümmert sich seit einem halben Jahr um Obdachlose. Der Verein sucht weitere Räume, wo Wohnungslose genesen können.

  • Seit einem halben Jahr ist das Naturheilmobil in Essen unterwegs.
  • Zielgruppe sind vor allem Obdachlose.
  • Jetzt kämpft der Trägerverein für weitere Hilfsangebote.

Seit einem guten halben Jahr ist das grüne Naturheilmobil regelmäßig in der Essener Innenstadt anzutreffen. Ein Team aus Ehrenamtlichen unter der Leitung von Heike Goebel kümmert sich dort um Obdachlose und ergänzt die Angebote des Essener Arztmobils. Doch es gibt weiteren Bedarf. Gesucht wird ein Raum zum Gesundwerden – und zum Sterben. Was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der „Naturheilpraxis ohne Grenzen“ (NOG) bei ihrer Arbeit erleben.

Den Verein NOG gibt es seit vier Jahren, die stationäre Praxis für Bedürftige ist in den Flüchtlingshäusern an der Papestraße in Holsterhausen ansässig. Im November 2021 kam das Naturheilmobil für Wohnungslose dazu. Im Oktober soll eine weitere Praxis für bedürftige Senioren in Altenessen eröffnen. „Ein zusätzliches Fahrzeug, eine Pflegekraft und vor allem Räume, in denen Obdachlose sich nach einem Krankenhausaufenthalt erholen oder auch in Ruhe sterben können, wären hilfreich“, sagt die Vereinsgründerin Heike Goebel. „Auf der Straße kann man nicht gesund werden.“

Im Naturheilmobil in Essen gibt es Salben, Tees, Massagen und Gespräche

Im Naturheilmobil gibt es Salben und Schmerzmittel, Massagen und Physiotherapie, Müsliriegel, Tee und Vitaminpulver und – wenn nötig – auch neue Socken und Schuhe. „Manchmal kommen Menschen zu uns mit offenen Wunden und vom Wundwasser durchtränkten Schuhen. Die können wir so nicht wieder wegschicken“, sagt Heike Goebel. Eigentlich wollte sie Ärztin werden, doch jetzt arbeitet die promovierte Ingenieurin bei der Emschergenossenschaft. Weil sie trotzdem Menschen helfen will, absolvierte sie die Ausbildung zur Heilpraktikerin und gründete den Verein NOG als Ergänzung zu schulmedizinischen Angeboten.

Bei NOG arbeiten Heilpraktiker, Physiotherapeuten, Psychologen, Ärzte und Fußpfleger ehrenamtlich zusammen, um Menschen in Not das Leben ein bisschen zu erleichtern. Da der Organisationsaufwand zunimmt, ist jetzt eine Verwaltungsstelle geschaffen worden.

Obdachlose kommen selten in die Praxisräume in Holsterhausen

Die Praxis an der Papestraße öffnet dienstags von 16 bis 20 Uhr. Vorbeikommen können alle Bedürftigen ohne Termin, vom Kind bis zum Senior. „Wir kontrollieren nicht, ob jemand wirklich bedürftig ist, das läuft auf Vertrauensbasis“, sagt die Vorsitzende. Zu jeder Sprechstunde kämen etwa 30 Patienten. „Obdachlose erreichen wir hier nicht so gut, auch deshalb, weil die nicht gern in geschlossene Räume kommen, nicht gern im Wartezimmer sitzen, weil sie möglicherweise riechen oder ihre Hunde dabei haben“, vermutet Heike Goebel. „Aber mein Herz schlägt besonders für die Obdachlosen.“

Weitere Praxis in Altenessen ist geplant

Essen ist die Keimzelle des Gesamtprojekts „Naturheilpraxis ohne Grenzen“, das es zwischen an mehreren Standorten in Deutschland gibt.Weitere Praxen des Vereins gibt es in Bielefeld, Schwerin, Duisburg, Köln und Frankfurt. In Essen soll im Oktober eine Praxis für Senioren in Armut in Altenessen an der Thiesstraße dazukommen. Infos unter h.goebel@nog-praxen.deoder auf www.nog-praxen.de

So habe sie im vergangenen Jahr bei der Stadt auf die Notwendigkeit eines mobilen Angebots hingewiesen und um Unterstützung gebeten. Mit Erfolg: Der Verein bekam mit Hilfe der Krupp-Stiftung einen ausgedienten Rettungswagen, den die Mitglieder für ihre Zwecke umbauen und neu lackieren konnten. „Wir sind auf Sponsoren angewiesen“, sagt die Vorsitzende.

Das grüne Naturheilmobil steht vor den Praxisräumen des Vereins „Naturheilpraxis ohne Grenzen“ an der Papestraße in Holsterhausen.
Das grüne Naturheilmobil steht vor den Praxisräumen des Vereins „Naturheilpraxis ohne Grenzen“ an der Papestraße in Holsterhausen. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Zu Beginn sei es nicht einfach gewesen, an die Obdachlosen heranzukommen. „Aber das Mobil fällt schon auf und inzwischen haben wir das Vertrauen der Menschen gewonnen.“ Man gehe nicht mit dem erhobenen Zeigefinger an die Sache, sondern nehme die Patienten, wie sie sind. Manches entwickele sich langsam. „Manchmal nehmen sie erst einen Müsliriegel gegen den Hunger mit und fragen dann später mal nach Vitaminen.“

Das Naturheilmobil steht an jedem ersten, dritten und fünften Mittwoch im Monat von 16.30 bis 18.30 Uhr auf dem Parkplatz an der Südseite des Hauptbahnhofs und von 19 bis 21 Uhr am Pferdemarkt vor der Kirche St. Gertrud. „Der Bedarf ist groß, meist kommen etwa 20 Leute, ohne Termin, ohne Krankenkassenkarte. Am Hauptbahnhof kümmern wir uns hauptsächlich um die Trinkerszene, an St. Gertrud erreichen wir die Menschen, die dort zur Essensausgabe kommen“, erklärt die Vorsitzende, die zuletzt SPD-Politikerinnen und -Politikern die Arbeit der „Naturheilpraxis ohne Grenzen“ vorstellte und für ihre weiteren Pläne warb.

Die Patienten nehmen ihr Hab und Gut mit in den Wagen

„Hierher können die Menschen kommen, auch wenn sie riechen, getrunken oder Drogen genommen haben.“ Wenn sie lange warten müssten, werde der ein oder andere auch schon mal ungeduldig und schimpfe. Dann müssten die Ehrenamtlichen die Wogen glätten. „Viele nehmen es sehr persönlich, fühlen sich nicht respektiert, wenn sie warten müssen“, beschreibt Heike Goebel die besondere Gemütslage einiger Patienten.

„Die Obdachlosen nehmen alles mit rein in den Wagen, ihr gesamtes Hab und Gut, die Suppe und die Bierflasche. Alles kein Problem.“ Manchmal seien auch Gespräche wichtiger als Schmerzmittel oder Salben oder das Team helfe kurzfristig bei der Vermittlung einer Wohnung.

Viele befinden sich in einem gesundheitlich schlechten Zustand

Viele Patienten hätten eine große Scheu, sich auszuziehen, im Mobil gelinge das aber besser als in der Praxis. „Wir sehen oft wirklich schlimme Dinge, offene Wunden, teils mit Madenbefall“, sagt Heike Goebel. Manchmal sei der Zustand der Patienten so, dass die Ehrenamtlichen auf das Arztmobil verweisen oder gar den Rettungsdienst rufen müssten. Inzwischen gebe es viele Stammpatienten. „Da macht man sich dann schon Sorgen, wenn sie plötzlich nicht mehr kommen. Dann suchen wir auch mal nach ihnen und sind froh, wenn sie irgendwo wieder auftauchen und nicht tot unter irgendeiner Brücke liegen.“