Essen.. Üben, wo es niemandem weh tut: Im „Skills Lab“, dem neuen Lehr- und Lernzentrums des Uniklinikums, lernen angehende Mediziner an hochsensiblen Puppen und Geräten die richtige Behandlung im Notfall. Die WAZ hat mal mitgemacht bei Ultraschall, Herzdruck-Massage und Lungenuntersuchung.
Ich kann die Realität nicht ausbleben - Marius Crasmöller schon. Während ich die an der Kreuzung vorbeirauschenden Autos als störend finde, mich bei der Erstversorgung eines Verkehrsunfallopfers im Weg fühle, spricht der angehende Arzt kompetent und freundlich mit dem Radfahrer, der am Boden liegt. Der junge Mann ist bei Bewusstsein, erinnert den Unfallhergang jedoch nicht. „Schmerzen?“ Ja, aber auf die Frage nach dem „Wo?“ bekommen Marius Crasmöller und ich nur eine vage Antwort und sind damit bei der Erstversorgung des Patienten auf uns selbst gestellt.
So muss es sich anfühlen, als Sanitäter oder Notfallmediziner zu einem Unfall gerufen zu werden - oder im „Skills Lab“ des neuen Lehr- und Lernzentrums der medizinischen Fakultät der Essener Uniklinik den Ernstfall zu proben. Und dazu gibt es in dem weitläufigen Gebäude, in dem ich zum „Training praktischer Basisfähigkeiten“ für angehende Ärzte angetreten bin, viel Gelegenheit. Dabei ist Punkt eins recht lahm. „Händedesinfektion“ steht auf dem Plan. Da kann ich doch kaum was falsch machen.
Simulations-Gerät kostet 15.000 Euro
„Doch!“, sagt Maria Goetjes. Ich desinfiziere zu kurz und nicht gründlich genug, drücke mit der Hand den Griff herunter statt mit dem Ellenbogen und spätestens unter der Schwarzlicht-Lampe wird deutlich - Hygiene im Krankenhaus ist ein Thema für sich. Gut eine Minute verreibe ich Desinfektions-Mittel, bis ich Blut abnehmen darf. Ein Silikonarm mit schön ausgeprägten Venen liegt auf dem Tisch. Handschuhe an und los? „Nein“, erklärt mir Philip Meerman, „der Arm muss desinfiziert werden.“
Modernste Technik für 16 Millionen Euro
Die Simulations-Arena der medizinischen Fakultät der Uniklinik Essen arbeitet mit modernster Technik. Mittels einer 270 Grad-Projektion werden Szenarien skizziert. Vom Unfall auf einer belebten Kreuzung bis hin zur Verletzung in einem Waldstück oder dem Herzinfarkt im heimischen Wohnzimmer werden Filme auf die Wand projiziert, authentische Hintergrundgeräusche verstärken den Umgebungscharakter. Für Untersuchungen sind technisch ausgeklügelte Spezial-Puppen angeschafft worden. Diese ermöglichen die Diagnostik vieler Erkrankungen und Behandlungsformen.
16 Millionen Euro hat der Bau gekostet - und dazu haben Studenten maßgeblich beigetragen. Aus den damals noch zu zahlenden Studiengebühren sind drei Millionen Euro in das Projekt geflossen. Die „sparenden“ Studenten sind wegen der Planungs-Vorlaufphase allerdings gar nicht mehr in den Genuss der neuen Einrichtung gekommen.
Sprühen, wischen, sprühen: Dann schiebe ich die Nadel in den Arm und es passiert - nichts. „Sie haben die Vene nicht getroffen und außerdem die Nadel viel zu langsam geschoben. Dann tut es dem Patienten weh.“ Beim fünften Versuch - jeder Patient hätte an dieser Stelle schon nach einem kompetenten Arzt verlangt - treffe ich. Endlich! Schnell (drei Versuche!) lege ich noch einen Zugang für eine Infusion und bin eigentlich recht froh, dass Studenten solche Übungsplätze haben und im Bedarfsfall nicht an mir herum laborieren.
Ich übe an einem Probanden stabile Seitenlage und an einer Puppe Herzdruck-Massage, darf an einer ausgeklügelten Simulations-Puppe mit dem Ultraschallgerät arbeiten und an einer weiteren Puppe verschiedene Lungenkrankheiten abhören - rasselndes Atemgeräusch und flacher Atem sind erstaunlich klar auszumachen. „15.000 Euro kostet so ein Simulations-Gerät“, sagt Hanjo Groetschel. Klar, dass derlei Ausstattung ein Luxus ist. Doch der kommt den Studenten - und später - den Patienten zu Gute.
Ganz auf den Fall konzentriert
Letzte Station im Skills Lab-Rundgang: die Simulations-Arena. Philip Meermann ist einmal mehr der Simulations-Patient, während ich mit einer Notarzt-Jacke zum Unfallort eile. Wo taste ich was ab - und vor allen Dingen warum? Marius Crasmöller leitet den Einsatz und geht auf alle meine Fragen routiniert ein. „Wir legen großen Wert darauf, dass Studenten der höheren Semester diese Veranstaltungen leiten“, sagt Groetschel. Erklären, ausprobieren, Feedback-Runde. „So lernt man mehr als in jeder Vorlesung.“
Hinzu kommt: Jeder Schritt wird mit moderner Video-Technik aufgezeichnet. „Man weiß zwar während des Einsatzes schon oft, wo es hätte besser laufen können. Aber wenn man sich das selber noch einmal anschaut, wird es klarer“, sagt Andreas Fidrich. Ob er vergessen kann, dass es sich lediglich um eine Simulation handelt? „Auf jeden Fall. Der virtuelle Raum erzeugt eine authentische Umgebung und nach einigen Minuten ist man so auf die Arbeit konzentriert, dass man das Gefühl hat, es wäre der Ernstfall.“
Und genau darum geht es: Im größten zusammenhängenden medizinischen Lehrgebäude seiner Art in Deutschland soll angehendes medizinisches Personal für den Ernstfall an Sicherheit gewinnen.