Essen. Erst Corona, dann die Flut. Mehrere Gasthäuser an der Ruhr sind vom Hochwasser schwer getroffen worden. Ein Besuch vor Ort in Horst und Heisingen
Das Wasser ist gewichen, der Schlamm längst wieder von Hof und Straße gekehrt und der über 100 Jahre alte Dielenboden im Gastraum gewischt. Er scheint das Hochwasser nahezu unbeschadet überstanden zu haben. Doch an Normalität ist im Haus Großjung in Steele-Horst so schnell nicht zu denken.
„Ich muss erstmal sehen, wie ich wieder an Strom komme“, ruft Wirtin Bettina Buchholz einem Passanten zu, der ihr am Dienstagmorgen „alles Gute“ wünscht. Wann alles wieder gut ist, lässt sich allerdings noch nicht sagen. Bettina Buchholz hofft, dass sie in einer Woche, vielleicht in anderthalb Wochen wieder öffnen kann. Am letzten Juli-Wochenende sind zwei Hochzeiten in ihrem Haus gebucht. Den Paaren möchte sie die Feier gern ermöglichen. Ihre Zuversicht ist groß: „Das werde ich schaffen.“
Vom Ausmaß des Hochwassers überrascht
Keine 100 Meter Luftlinie liegt die beliebte Ausflugsgaststätte von der Ruhr entfernt, die am vergangenen Donnerstag nach den kräftigen Regenfällen einen Pegel von etwa sieben Metern erreichte und meterhoch über das Ufer trat. „Keiner hätte gedacht, dass das Wasser so hoch steigen könnte“, sagt Bettina Buchholz, die schon mehrere Fluten erlebt hat. „Vielleicht waren wir da zu blauäugig.“
Die Pumpen, die in früheren Zeiten das Wasser immer verlässlich vom Haus fernhielten, reichten am Donnerstag nicht mehr aus. Die Terrasse wurde über einen Meter hoch überspült. Im Gastraum und in der Küche kletterte das Wasser drei Ziegelreihen hoch. Der Bierkeller stand komplett unter Wasser, genauso die Kegelbahn. Eine neue anzuschaffen, würde mehrere zehntausend Euro kosten. Bettina Buchholz weiß bereits: „Die Kegelbahn werde ich aufgeben.“
Schäden im Haus Großjung noch nicht bezifferbar
Wie hoch die restlichen Schäden sind, kann die 55-Jährige noch nicht überblicken. Am Mittwoch wird der Elektriker kommen, neue Kabel verlegen, einen neuen Schaltkasten installieren. Auch der Stromverteiler muss ersetzt werden. Erst dann kann der Netzbetreiber Westnetz den Strom wieder anstellen. So lange laufen die Kühltruhen, die auf dicken Balken hochgebockt sind, weiter mit dem Strom der Nachbarn.
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Die Bierkühlung im Keller ist auf jeden Fall hin. Ob es die Zapfanlage überstanden hat, der Herd in der Küche weiß Bettina Buchholz noch nicht. Ob die Versicherung für die Schäden aufkommen wird, weiß sie auch nicht.
Klar ist, dass der Verpächter des Traditionslokals nicht nur die Elektrik erneuern muss sondern auch die Heizungsanlage. Er wird auf dem Schaden sitzen bleiben, eine Elementarversicherung gebe es in dieser Lage an der Ruhr nicht. Wirtschaftlich betrachtet, erzählt er, wäre es besser, die Gaststätte zu schließen und Wohnungen daraus zu machen. Doch das 1761 erbaute Haus ist wohl schon von Beginn an ein Gasthaus gewesen und seit Generationen in Familienbesitz. Das soll so auch bleiben.
Nach Corona nun dieser Rückschlag für die Wirtin
34 Jahre führt Bettina Buchholz das Gasthaus mit Leidenschaft. Die Corona-Pandemie mit monatelanger Schließung war bereits eine harte Zeit für sie. „Ich war froh, dass ich da so gut durchgekommen bin und nun wieder eine Perspektive hatte“, meint sie. Ihr Geschäft lief nach dem Lockdown im Mai gut an. Doch nun hat sie das Hochwasser wieder zurückgeworfen. Es hat nicht nur einen Schaden angerichtet, der in die Zehntausende gehen dürfte, sondern es hat ihr auch zwei Wochen des so wichtigen Sommergeschäfts geraubt. „Das kann man nicht wieder rausholen. Das ist ein immenser Ausfall.“
Mut macht Bettina Buchholz die große Hilfsbereitschaft, die sie in den vergangenen Tagen erleben durfte. Nachbarn brachten Möbel in Sicherheit, wuchteten den großen Bauernschrank auf die Anrichte in der Küche, hievten das Klavier auf einen der Tische, organisierten am Fluttag einen Diesel-Generator, so dass die Pumpen weiter laufen konnten. „Auch viele Stammgäste haben ihre Hilfe angeboten. Das ist rührend“, sagt Bettina Buchholz.
Viele Helfer im Fährhaus „Rote Mühle“ in Heisingen
Einige Kilometer flussabwärts spülen Ester und Roderich Drößer schlammverschmierte Weingläser in einem Bottich auf dem Hof der „Roten Mühle“. Neben dem Ehepaar aus Heisingen haben sich gleich mehrere Helfer vor dem Fährhaus eingefunden, das besonders schwer von der Flut getroffen wurde. Roderich Drößer kennt die Wirtsfamilie Soyk zwar nicht persönlich. Aber ihm ist wichtig, dass das Ausflugslokal überleben kann. „Das darf nicht vor die Hunde gehen“, sagt er, der häufig mit dem Fahrrad an der „Roten Mühle“ vorbei fährt.
Tatjana und Peter Soyk sind froh über jede helfende Hand. Die Ruhr, die das Gasthaus quasi umfließt, hatte den gesamten Biergarten überschwemmt. Im Gasthaus stand das Wasser bis etwa zur Thekenkante, die Möbel, der Kühlschrank schwammen durch den Raum. Der Herd, die Spülmaschine, die Kühltheken - alles unter Wasser.
Wirtsleute wurden mit Hubschrauber gerettet
Die Soyks mussten am Donnerstag mit dem Hubschrauber vom Dach ihres Hauses gerettet werden. Der Feuerwehr war die Fahrt mit dem Schlauchboot wegen der heftigen Strömung zu gefährlich. Hochwasser sind die Soyks, die die Gaststätte seit 20 Jahren besitzen, gewohnt. „6,20 Meter Pegel sind kein Problem“, erzählt die Wirtin. Doch als das Wasser die Unterkanten der Laternen im Biergarten erreichte, „da wussten wir, dass das kein normales Hochwasser ist.“ An eine Flucht war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu denken. Als dann noch der Strom ausfiel, rief Peter Soyk die Feuerwehr.
Hochwasser in Essen- Umweltschäden noch nicht abzuschätzen Fünf Tage später ist der gröbste Dreck aus der Küche gewischt, der Tresen wieder sauber. Der Strom fließt zum Glück wieder. Die Trocknungsgeräte können laufen. Das Wasser zum Reinemachen muss auf einer Platte erwärmt werden. Welchen Schaden das Hochwasser angerichtet hat, können die Wirtsleute aber noch nicht sagen. Die Küchen- und Kühlgeräte konnten sie noch nicht ausprobieren. Erst muss alles richtig trocknen. Der Gutachter, der das Gebäude unter die Lupe nehmen soll, war auch noch nicht da.
„Rote Mühle“ hofft auf große Spendenbereitschaft
Fest aber steht: Eine Versicherung, die den Schaden übernehmen könnte, gibt es nicht. Die Soyks müssen ihn irgendwie selbst regulieren. Tatjana Soyk sagt, sie habe Bedenken, ob sie es schaffen. Auf der Internetseite haben sie einen Spendenaufruf gestartet. Taxi Süd beispielsweise hat schon 500 Euro zugesagt. „Jeder Euro hilft“, sagt Tatjana Soyk. Ihr Mann Peter macht derweil schon wieder Pläne. Vielleicht könne man in der zweiten Augustwoche den Biergarten wieder öffnen. „Möglicherweise erstmal mit einem kleineren Angebot. Aber Hauptsache es geht weiter.“