Essen. Die SPD erobert mit 31 Prozent die Vormachtstellung in Essen zurück, die CDU erhält 22,7 Prozent. Grüne können Stimmenanteil mehr als verdoppeln.

Die Bundestagswahl 2021 bringt in Essen die alte Vormachtstellung der SPD zurück, wenn auch im Vergleich zu früher auf niedrigem Niveau: Die Sozialdemokraten kommen nach Auszählung der 452 Stimmbezirke auf 31,06 Prozent, das sind fast vier Prozentpunkte mehr als vor vier Jahren. Umgekehrt verliert die CDU deutlich und kommt noch auf 22,75 Prozent, was einem Minus von fast fünf Prozentpunkten entspricht. Die Grünen konnten ihren Stimmenanteil in Essen mit 16,67 Prozent (Bundestagswahl 2017: 7,6 Prozent) mehr als verdoppeln.

Lesen Sie auch:

Spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen im Südwahlkreis

Im Südwahlkreis kam es zum erwarteten Kopf-an-Kopf-Rennen, das fast bis zuletzt spannend blieb. Nach Auszählung der 212 Stimmbezirke lag der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer mit 30,72 Prozent nur hauchdünn vor SPD-Kandidat Gereon Wolters, der auf 30,04 kam. Die Erststimmen-Strategie von Hauer – er erhielt viele Erststimmen von Wählern, die mit Zweitstimme FDP wählten – hat somit funktioniert. Bei den Zweitstimmen lag die SPD auch im Süd-Wahlkreis klar vorn.

Im Nordost-Wahlkreis ließ SPD-Bundestagsabgeordneter Dirk Heidenblut erwartungsgemäß nichts anbrennen und holte 37,82 Prozent CDU-Herausforderer Florian Fuchs kam auf 22,78 Prozent. Ebenfalls klar an die SPD ging der Wahlkreis Mülheim/Essen-Nordwest. Hier lag Sebastian Fiedler nach Auszählung von 216 der 218 Stimmbezirke mit 36,30 Prozent klar vorn – auch die Stimmen aus dem Großraum Borbeck trugen hierzu vieles bei.

Essens CDU-Chef Hauer kritisiert Laschet, weil der in Fettnäpfchen trat

Matthias Hauer, der auch Essens CDU-Vorsitzender ist, äußerte sich kritisch über das Ergebnis der CDU auf Bundesebene: „Wir sind jetzt auf Augenhöhe mit der SPD. Die SPD jubelt darüber, für uns ist das ein Dämpfer – wir peilen deutlich stärkere Ergebnisse an.“ Auf die Frage, warum das diesmal nicht gelungen ist, weist Hauer zunächst darauf hin, dass es „Vorfälle gegeben hat, wie das Thema Masken, wo wir Vertrauen verloren haben“. Diejenigen, die sich an der Vermittlung von Masken-Deals bereichert hätten, seien aber nicht mehr im Parlament und nicht mehr aufgestellt worden; außerdem habe sich die Union einen Verhaltenskodex gegeben.

SPD-Kandidat Gereon Wolters wird am Schluss des Wahlabends für seinen Einsatz beklatscht. Im Südwahlkreis fehlten ihm nur etwas mehr als tausend Stimmen.
SPD-Kandidat Gereon Wolters wird am Schluss des Wahlabends für seinen Einsatz beklatscht. Im Südwahlkreis fehlten ihm nur etwas mehr als tausend Stimmen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Hauer nimmt auch Armin Laschet nicht von Kritik aus: „Es hat auch das ein oder andere Fettnäpfchen unseres Spitzenkandidaten gegeben.“ Er habe aber keinen anderen Kandidaten erlebt, der Fehler „so klar benannt hat“ – und zwar sowohl die eigenen als auch die der Regierung. Das gelte zum Beispiel für das deutsche Engagement in Afghanistan.

Auf Nachfrage nach weiteren Gründen für das schlechte Abschneiden der CDU erklärte Matthias Hauer, dass man zwar aus der Regierung heraus, jedoch mit einem neuen Kanzlerkandidaten zur Wahl angetreten sei. „Der Lichtblick des Abends ist, dass es keine Mehrheit für Rot-Rot-Grün gibt.“

SPD freut sich über ein Ergebnis, mit dem man noch vor Monaten kaum gerechnet hat

Deutlich freudiger war die Stimmung bei der Essener SPD, wo nach der ersten Hochrechnung Jubel aufbrandete. „Das ist ein Ergebnis, mit dem man vor vier, fünf Monaten nicht rechnen konnte“, sagt Bundestagskandidat Gereon Wolters zu den bundesweiten Zahlen der SPD. Die SPD sei verlacht worden. Man habe sogar in Frage gestellt, ob es für eine Partei, die bei 13 Prozent steht, nicht überheblich ist, mit einem Kanzlerkandidaten anzutreten. Natürlich sei es aus Sicht der SPD ein glücklicher Umstand gewesen, dass die beiden anderen Kandidaten keine gute Performance hingelegt hätten.

Im Südwahlkreis hat Wolters als Kandidat 160 Termine absolviert. Die Stimmung auf der Straße habe er vor wenigen Wochen als geradezu euphorisch wahrgenommen. „In den letzten Tagen hat man gemerkt, dass es enger wird.“

Die Spannung blieb bis zuletzt, Bürgermeister Rudi Jelinek sagte es so: „Ich bin seit 42 Jahren in der SPD. So einen spannenden Wahlkampf habe ich noch nicht mitgemacht.“ Und mancher denkt schon weiter: „Es ist nicht mehr lange bis zur Landtagswahl. Den Rückenwind müssen wir mitnehmen.“

Bei den Essener Grünen purzelten die Rekorde: Über 800 Mitglieder zählt die Partei inzwischen, und bei der Bundestagswahl haben sie ihr Ergebnis kurzerhand mehr als verdoppelt. Das feierte die Partei ausgelassen im „Felis“, einer Gaststätte im Schatten der Kreuzeskirche, wo der jetzige und künftige Bundestagsabgeordnete Kai Gehring triumphierend auf den grünen Balken im Fernsehen verwies: Der ging von allen am höchsten, sagt der 43-Jährige und bilanziert: „Wir sind als Grüne über uns hinaus gewachsen. In der Gesamtbetrachtung ist das ein sehr guter Tag für uns.“

AfD verlor in Essen fast 3,4 Prozentpunkte gegenüber 2017

Federn lassen musste die Essener FDP, die bundesweit eines ihrer besten Wahlergebnisse erzielte, in Essen jedoch rund zwei Prozentpunkte gegenüber 2017 verlor. Damals gab es 12,5 Prozent, jetzt noch 10,56 Prozent. Essens FDP-Chef Witzel wirkte trotzdem euphorisiert angesichts der nun winkenden Machtbeteiligung in Berlin. Etwas gedämpfter ging es bei der Essener AfD zu, die 3,4 Prozentpunkte verlor und nur noch auf 8,1 Prozent kam. Die Benachteiligung in den medialen Darstellungen und Debatten sei dabei der Hauptgrund, so Parteichef Günter Weiß.

Katzenjammer auch bei den Essener Linken, deren Ergebnis in Essen mit jetzt 3,99 Prozent mehr als halbiert wurde: Das sei katastrophal, da gebe es auch nichts schönzureden, sagt Ezgi Güyildar, Direktkandidatin im Süden.